Der Eigentümer der Roten Flora hält sich für einen Kunstinvestor mit reichlich Gemeinsinn - andere sehen ihn als knallharten Geschäftsmann.

Hamburg. Klausmartin Kretschmer sitzt in einem alten Backsteingebäude am Oberhafen, wo die Straßen noch aus Kopfsteinpflaster bestehen, auf einem goldgefassten Sofa. Der große Saal im 2. Stock ist hell, hat viele Fenster und Säulen, und in der Mitte stehen zwei weiße Flügel. Kretschmer kann leider nicht Klavier spielen. Er handelt mit Immobilien. Er sieht jünger aus als 52. Er ist hemdsärmelig, freundlich und erzählt gerne von Spielplätzen. Und davon, wie wichtig es ist, sich im Leben immer das Kindliche zu bewahren.

Gerade hat er seinen Teddybären in die Ecke geschmissen. Hat die Lust an ihm verloren. Das Problem ist nur, dass das Stofftier aus Stein ist. Und als eines der letzten besetzten Gebäude zum europaweiten Symbol für den Kampf gegen das herrschende System herhalten muss. Morgen wird rund um die Rote Flora das Schanzenviertel wieder in einen Ausnahmezustand versetzt. Und aus Tanz wird in der Nacht Militanz.

Seit 2004 wird das Schanzenfest nicht mehr angemeldet. Seit 2005 eskaliert dort regelmäßig in der Nacht die Gewalt. Ein Katz-und-Maus-Spiel mit Ansagen sozusagen. Tausende von Polizisten gegen sogenannte erlebnishungrige Jugendliche, denen Politik am Arsch vorbeigeht. Diesmal wollte Kretschmer das Fest anmelden. Er hat das dem Bezirk per Fax angeboten. Dort war die Verwirrung groß. Kretschmer liebt die Irritation. Er sagt Sätze wie: "Neue Denkstrukturen erreicht man durch Provokation oder Humor."

Zum Lachen ist heute keinem Verantwortlichen in Hamburg mehr zumute, wenn man ihn auf Klausmartin Kretschmer, der die Rote Flora im März 2001 für 370 000 Mark gekauft hat, anspricht.

Vor zehn Jahren war Kretschmer noch die Lösung. Jetzt ist er das Problem.

"Pokern ist nicht in Ordnung. Natürlich ist es Kretschmers Verdienst, dass es lange ruhig um die Flora blieb, aber jetzt darf nicht ein Spekulationsobjekt aus der Flora erwachsen", hat Gesche Boehlich, GAL-Fraktionsvorsitzende in Altona, gesagt. Dabei ist das Pokerspiel längst im Gange, seit Kretschmer verlauten ließ, dass ihm ein Kaufangebot für das vom Verfassungsschutz überwachte Gebäude in Höhe von 19 Millionen Euro vorliegt. Vom Notar beglaubigt. Gibt es das Kaufangebot, Herr Kretschmer? "Ja", sagt er und lächelt. Und können Sie mir die Unterlagen zeigen? "Nein", sagt er und lächelt, "denn wir haben Vertraulichkeit vereinbart. Und daran halte ich mich."

Im Bezirk bei den zuständigen Stellen glaubt kein Mensch, dass Kretschmer für das marode Haus, das wie ein Vorwurf zwischen all den glänzenden Sanierungsprojekten im Viertel verharrt, wirklich ein konkretes Kaufangebot hat. "Und im Himmel ist Jahrmarkt", heißt es im Altonaer Rathaus.

Klausmartin Kretschmer war zwölf Jahre alt, als er seine ersten Wertpapiere gekauft hat. Kommunalobligationen von Nordrhein-Westfalen mit zehn Jahren Laufzeit und einem Zins von 7,5 Prozent. Er hatte sich das Geld mit dem Austragen von Büchern und der Kirchenzeitung in Recklinghausen verdient. Im Hinterhaus war eine Internationale Versandbuchhandlung, dort gab es regalweise Bücher und Zeitschriften. "Eine Wunderkammer, mein Abenteuerspielplatz." Und er hat Golfbälle gesammelt. Pro Ball gab's eine Mark. "Da kamen an einem Wochenende schnell 200 Mark zusammen." Er hat sich für Aktienkurse interessiert und täglich den Börsenteil in der "FAZ" gelesen. "Als ich das Abitur gemacht habe, hatte ich 100 000 Mark gespart", sagt er. Er hat BWL, VWL und Verwaltungswirtschaft studiert. Mit Anfang 30 hat er sich "in Eppendorf zwei Wohnungen für 500 000 Mark" gekauft. Ein märchenhafter Aufstieg.

In einem Fragebogen hat er auf die Frage nach seinem schönsten Geschenk geantwortet: "Das Bild eines Engels, das über meinem Kinderbett hing, und der Leitspruch von meinem Vater: Geht nicht gibt's nicht."

Menschen, die ihn länger kennen, sagen, dass er Dinge, die er sich vornimmt, auch durchzieht. Er selbst nennt "Beharrlichkeit" als seine Stärke. "Sich nicht vom Weg abbringen zu lassen." Wenn dazu aber Bekannte wie die Designerin Ulrike Krages loben, dass Kretschmer wie kein anderer einen visionären Blick für neue, spannende und oft heruntergekommene Plätze in der Stadt habe, fragt man sich, warum er gerade jetzt die Lust an dem aufregendsten Ort verloren hat. Just sieben Monate, bevor im März 2011 die zehnjährige Rückkaufsfrist der Stadt abläuft. Danach, so das Droh-Szenario, kann er das Gebäude meistbietend verkaufen. Der Vertrag schreibt zwar eine weitere stadtteilkulturelle Nutzung vor, aber wenn sich der neue Eigentümer nicht daran hält, kann nur Kretschmer auf Schadenersatz verklagt werden. So etwas kann man quasi im Kaufpreis mit berücksichtigen.

Da droht eine Menge Unruhe. Und man fragt sich: Ist Kretschmer jetzt eher kauziger Kunstmäzen oder doch knallharter Kalkulator? Warum lässt er, der sich als Kulturinvestor sieht, nicht einfach alles so weiterlaufen? Ist das nur Geschwätz, wenn er sagt, es gehe ihm "nicht um den höchstmöglichen Gewinn eines Grundstücks, sondern um den höchstmöglichen Gewinn für die Volkswirtschaft"?

Kretschmer lehnt sich zurück. Seine momentanen Überlegungen lauten: "Kann ich das Projekt noch mittragen?" Alles habe seine Zeit, und er hat ja schon oft seine Enttäuschung darüber geäußert, dass die Bewohner diesen Ort nicht so genutzt haben, wie er sich das vor zehn Jahren vorgestellt hat. Als Gegenort, als geistige Samenbank, als Spielplatz für Erwachsene, von dem neue Lösungsansätze für die gesellschaftliche Entwicklung ausgehen. Nun sei er eben an einem Punkt, an dem er sich die Frage stellt: "Passt das noch zu mir, zu meiner Persönlichkeit, zu meinen Zielen? Oder wie sehr hindert mich das daran, neue Sachen zu machen?"

Menschen, die es nicht so gut mit ihm meinen, sagen, er brauche schlicht Geld. Kretschmer, dem die Oberhafenkantine, das alte Krematorium am Ohlsdorfer Friedhof und die Riverkasematten gehören, lächelt und erzählt, dass er im Mai zwei neue Objekte in Citynähe erworben hat. Und über ein Objekt in Berlin gerade verhandelt. Publik machen wolle er das aber noch nicht.

Er sagt auch, dass er seit dem Erwerb der Flora nicht einmal in dem Gebäude gewesen sei, keine Mieteinnahmen verbuchen könne und zusätzlich laufende Kosten wie die Grundsteuer habe. Pro Jahr 20 000 Euro.

Aus dem Kreis der Rotfloristen erfährt man, dass die Bewohner die laufenden Kosten für Strom, Wasser, Müll, Gema sowie die Instandsetzungsarbeiten selbst bezahlen.

Dabei hätte die Kuh schon lange vom Eis sein können. Auch wenn das nicht einfach ist bei einem Symbol-Gebäude, das je nach Problemlage die Zuständigkeiten von Bezirk und Liegenschaft sowie der Behörden für Kultur, Stadtentwicklung und Inneres streift. In ersten Annäherungsgesprächen mit dem Bezirk ging es, ohne dass eine Summe genannt wurde, um einen Rückkaufspreis zwischen zwei und zehn Millionen Euro. Doch es kam gar nicht zu konkreten Verhandlungen, weil eine Elefantenrunde im Rathaus um Ole von Beust den Preis für einen Rückkauf an den Verkehrswert der Flora koppelte: 1,3 Millionen Euro. Keinen Cent mehr.

Jetzt liegt das Problem bei Beust-Nachfolger Christoph Ahlhaus. Weil Kretschmer zwei Gespräche platzen ließ, sagt der Bezirk: "Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen." Kretschmer sagt, er wolle gar nichts. Das klingt wie: "Ich will ja nur spielen."

Dabei wird hier mit harten Bandagen gekämpft. Vor Monaten soll Ahlhaus, bei dem sich Kretschmer immer um einen Termin bemüht und den bis heute nicht bekommen hat, eine anonyme SMS mit einer unverhohlenen Drohung bekommen haben. Nach der Affäre in Paris, als Ahlhaus eine Dienstreise verlängert und den Dienstwagen privat genutzt hatte, musste Hamburgs neuer Bürgermeister auf seinem Handy lesen, ob ihm die Aufregung um Paris denn noch nicht genügen würde.

Das klingt nach Gesprächsbedarf.