Verfahren bei Jugendlichen dauerten laut Lenders zu lange. Das habe der Fall der Bus-Prügler gezeigt. Justizsenator Steffen bestreitet das.

Hamburg. Der Fall der beiden Bus-Prügler von Bahrenfeld macht für Joachim Lenders den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Hamburger Justiz deutlich. "Das beste Konzept", sagt der Chef der Polizeigewerkschaft DPolG, "nützt nichts, wenn die beteiligten Stellen nicht genügend Personal haben, um es auch umsetzen zu können." Anlass für seine Kritik ist der Fall des mutmaßlichen Haupttäters Salem El G. Der wartet wegen einer anderen Straftat bereits seit einem Jahr auf seinen Prozess. "Das dauert einfach viel zu lange", sagt Joachim Lenders. "Junge Straftäter nehmen das Gewaltmonopol des Staates nicht ernst, wenn sie ein Jahr nach einer solchen Tat noch keine echten Konsequenzen gespürt haben."

Dabei hatte es im November 2007 an markigen Worten nicht gemangelt, als der Senat das behördenübergreifende Konzept "Handeln gegen Jugendgewalt" vorstellte. Strafe müsse spürbar sein und "auf dem Fuße" folgen. Intervention schon bei notorischem Schulschwänzen; schnelle Strafen und eine umfassende Betreuung für jugendliche Gewalttäter. Das Konzept sah eine Vernetzung der Behörden für Inneres, Justiz, Schule und Soziales vor. Gut zwei Jahre später sieht es so aus, als sei das System nicht voll funktionstüchtig.

Im Falle der Bus-Prügler von Bahrenfeld, die vor zwei Wochen einen 19-Jährigen schwer verletzt haben, scheint das System versagen: Beide hatten Hunderte Fehlstunden in der Schule - ohne Konsequenzen. Und Salem El G. steht noch immer nicht vor Gericht wegen der ersten Tat aus dem vergangenen Jahr.

Laut Gerichtssprecher Conrad Müller-Horn habe die Richterin wegen "der Vielzahl der zu verhandelnden Sachen" entschieden, schwerere Verfahren vorzuziehen. Zudem wollte sie das Verfahren gegen einen Komplizen von G. abwarten, um weitere Informationen für dessen Verfahren zu erlangen.

Laut Staatsanwaltschaft soll G. auf der Reeperbahn einen Mann zu Boden geschlagen und ihn mit Füßen gegen den Kopf getreten haben. Den hinreichenden Tatverdacht der Staatsanwaltschaft schien sie nicht zu teilen. Das Verfahren gegen G. hat die Richterin allerdings auch nicht zurückverwiesen. "Jugendgerichte sind außergewöhnlich hoch belastet", sagt Marc Tully, zweiter Vorsitzender des Hamburgischen Richtervereins. Allerdings könnten sich Jugendstrafsachen ohnehin länger hinziehen, weil dort etwa die Jugendgerichtshilfe einbezogen werden müsste - anders als bei Erwachsenen.

DPolG-Chef Lenders: "Da ist von rechtzeitiger Intervention und frühzeitigem Eingreifen nichts zu spüren. Dies ist leider kein Einzelfall, sondern die Regel." Uwe Koßel, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft GdP, sieht das genauso: "Schon nach der ersten Tat müssen junge Täter die Härte des Gesetzes spüren. Und zwar schnell." Auch werde die Prävention vernachlässigt. So müsse schon bei notorischen Schulschwänzern härter eingegriffen werden, zum Beispiel durch Beteiligung der Bezirklichen Ordnungsdienste. Eltern müssten konsequenter mit Geldstrafen zur Einhaltung der Schulpflicht ihrer Kinder animiert werden können.

Laut Schulbehörde wurden im vergangenen Jahr 949 Fälle von Schulschwänzern registriert. Dabei hat die Behörde 518 Bußgelder verhängt und 230 Hausbesuche bei den Eltern angeordnet. Es kam auch zu Strafanzeigen gegen Eltern. "Das Schwänzen ist ein Alarmzeichen, dass in den Familien etwas nicht stimmt. Aber es ist nicht die Ursache für Gewalttaten", sagt Behördensprecherin Brigitte Köhnlein. "Dennoch werden wir uns anhand der aktuellen Fälle anschauen, ob man beim Umgang mit den Schulpflichtverletzungen etwas verbessern kann." SPD-Innenexperte Andreas Dressel sieht Nachholbedarf bei der Zusammenarbeit der Behörden. "Das Konzept gegen Jugendgewalt darf nicht zum Papiertiger werden. Wenn ein Bereich vernachlässigt wird, floppt das Ganze."

Justizsenator Till Steffen (GAL) sieht das Handlungskonzept dagegen nicht als gescheitert an. "Die beiden Tatverdächtigen sind bereits volljährig und gehören daher nicht zu der Gruppe, auf die das Konzept Handeln gegen Jugendgewalt originär zielt. Gleichwohl ist es unser Bestreben, die Verfahrensdauer in diesem Bereich kurz zu halten." Und das gelinge auch "ausweislich einer durchschnittlichen Dauer von 3,6 Monaten zwischen Anklageerhebung und Absetzung des Urteils beim Jugendschöffengericht, wo mittelschwere Fälle wie dieser verhandelt werden". Zur Verfahrensdauer im konkreten Fall wollte sich Steffen nicht äußern.