Früher, als die Welt noch etwas überschaubarer war, gab es ein einfaches Mittel, um Unheil und Unbill fernzuhalten. Es genügte, den heiligen Florian anzurufen, der zum Patron einer weit verbreiteten Lebens- und Denkweise wurde: "Heiliger Sankt Florian/Verschon mein Haus/Zünd andre an!"

Heute hat Florian ausgedient: Der moderne Mensch betet nicht mehr ihn an, sondern den Staat. Er möge uns alle Risiken abnehmen - und das zum Nulltarif. Und auch die Stadt soll uns ein gutes Leben spendieren, mit breitem Kulturangebot, bester Infrastruktur, uns von allen Grausamkeiten verschonen. Erschüttert wird unser Staatsvertrauen nur dann, wenn Entscheidungen in der Nachbarschaft anstehen, die uns missfallen: Dann sollen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide die politisch Verantwortlichen stoppen.

Mehrere Bürgerentscheide zeigen derzeit die Grenzen dieser direkten Demokratie auf. In Iserbrook sollten im Buchenhof-Wald ökologisch effiziente Mietshäuser entstehen, die mit günstigen Mieten dringend benötigten Wohnraum schaffen sollten. Fast mochte man glauben, eine Sonntagsrede werde Wirklichkeit. Doch auf dem Grundstück standen diesem Traum rund 130 der gut 500 Bäume im Wege - und deshalb nach der Bürgerbefragung auch 41 300 Wähler.

Ähnlich deutlich war die Ablehnung, die die Initiative "Hände weg vom Isebek" organisierte. Im zugebauten Eimsbüttel genügte der Ausruf, den Grünzug am Kanal erhalten zu wollen, um sich breite Unterstützung zu sichern. Doch bei genauerem Hinsehen geht es gar nicht mehr um einen zweifellos fragwürdigen Kahlschlag, sondern einen Neubau am U-Bahnhof Hoheluft - an dieser Stelle, wo derzeit ein baufälliger McDonald's-Pavillon steht, möchte die Initiative keinen Bürokomplex, sondern die Grünfläche erweitern .

Die Kunst des Vereinfachens und Zuspitzens beherrscht auch die Initiative gegen das "Haus des Waldes" - ein Informationszentrum im Niendorfer Gehege, das die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald plant. Sogar in Kitas wurde gegen das Infozentrum für Familien mobil gemacht. 2010 dürfte es gegen den vermeintlichen Koloss ein Bürgerbegehren geben.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Der Bürgerzorn richtet sich mal gegen einen Umweltverband, mal gegen eine rot-grüne, mal eine schwarz-grüne Bezirksversammlung - also gegen Institutionen, denen man ökologisches und nachhaltiges Denken auch einmal zutrauen darf. Ja, viel spricht dafür, dass die Welt nicht so eindimensional ist, wie manches Bürgerbegehren sie macht. Bei näherem Hinsehen drängen sich Zweifel an den hehren Zielen so mancher Initiative auf: Geht es um Umweltschutz oder doch das Bedürfnis nach Ruhe und einem hübschen privaten Umfeld?

Derlei Bürgerbegehren bringen eine Stadt kaum weiter; so kann man einen Kegelklub führen, aber kein Gemeinwesen. Gerade Letzteres erfordert das Abwägen von Einzel- gegen Gemeininteressen. Eine Metropolregion lebt eben nicht nur vom Bewahren, sondern auch vom Investieren, eine Stadt ist eine Kulturlandschaft, aber kein Museumsdorf.

Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.