Unterschied zwischen CDU und SPD bei der großen Schulreform: Die CDU schluckt die ungeliebte Primarschule, die SPD verschluckt sich daran.

Hamburg. Für die SPD war es eine Horrorwoche - und das kurz nach der desaströsen Bundestagswahl. Die Partei findet in der Schulpolitik einfach nicht zu einer gemeinsamen und überzeugenden Position. Dabei hatten alle SPD-Abgeordneten noch die mahnenden Worte des designierten SPD-Chefs Olaf Scholz im Ohr, der nach dem Wahldebakel Geschlossenheit gefordert hatte. Der emotionale Tiefpunkt für die Genossen war der Auftritt von Ex-Parteichef Mathias Petersen in der Bürgerschaft. Er kündigte den mühsam gefundenen Fraktions-Kompromiss auf und stimmte dem schwarz-grünen Reformwerk zu.

Rund ein Viertel der 45 SPD-Abgeordneten hält die Primarschule für einen richtigen Schritt auf dem Weg zur Schule für alle - dem Fernziel der SPD. Die Mehrheit der Fraktion lehnt das schwarz-grüne Reformprojekt jedoch ab - aus schulpolitischen oder auch nur strategischen Gründen, schließlich ist man Opposition. Das war die Ausgangslage. Bis unmittelbar vor der Fraktionssitzung am Montag hatte sich Fraktionschef Michael Neumann darum bemüht, beide Lager unter einen Hut zu bringen. Es kam ein dreiseitiger Antrag heraus, der aber nicht mehr ist als ein Formelkompromiss.

Das alles wäre vermutlich nicht weiter aufgefallen, wenn Petersen nicht für den großen Knall gesorgt hätte. In der Fraktion hatte er zwar in einer sehr emotionalen Rede begründet, warum er für die Primarschule ist. Nur sagte er nicht klar, dass er für das Schulgesetz stimmen werde.

Petersen hat mit seinem unabgesprochenen Alleingang alte Wunden wieder aufgerissen. Seit dem Stimmzettelklau bei der SPD-Urwahl des Bürgermeisterkandidaten 2007, der ihn um den Erfolg brachte, hat er sich immer weiter isoliert und lässt sich kaum mehr einbinden. Jetzt gibt es erste Stimmen, die Petersen auffordern, die Fraktion zu verlassen.

Wie groß der Druck im SPD-Kessel ist, zeigt auch eine kleine Begebenheit am Rande. Fraktionschef Neumann setzte sich vor der Abstimmung in der Bürgerschaft zu seinem Abgeordneten-Kollegen Thomas Böwer. Er schreibe gerade an einer wissenschaftlichen Arbeit über Karl Liebknecht, sagte Neumann. Der habe ja als einziger SPD-Abgeordneter 1914 im Reichstag gegen die Kriegskredite gestimmt und sei daraufhin unter Mithilfe von Genossen an die Front geschickt worden. Böwer fasste das bestenfalls als schlechten Scherz auf angesichts des Streits über das Schulgesetz. "Ich habe vor der Front keine Angst. Ich würde einen guten Offizier im Generalstab abgeben", entgegnete Böwer. Er enthielt sich der Stimme.

Dass die schulpolitischen Erschütterungen bei der CDU geringer waren, liegt auch daran, dass die meisten Kritiker der Primarschule nicht in der Bürgerschaft sitzen. Und der Abgeordnete und Schulexperte Robert Heinemann wurde flugs zu einem halbstündigen Privatissimum bei Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) gebeten, nachdem er Bedenken hinsichtlich des finanziellen Konzepts geäußert hatte. Heinemann ließ sich überzeugen und stimmte dem Schulgesetz zu. Die einzige Unions-Abweichlerin war Alexandra Dinges-Dierig, die sich der Stimme enthielt. Doch Dinges-Dierig wurde das als unmittelbarer Amtsvorgängerin von Goetsch zugestanden.

Großer Verlierer der Woche war Walter Scheuerl, der Sprecher der Reformgegner von der Volksinitiative "Wir wollen lernen". Scheuerl schrieb, Goetschs Primarschulpläne hätten eine "Tradition in der NS-Pädagogik des Erziehungswissenschaftlers Peter Petersen". Nach einhelligem Protest bat Scheuerl um Entschuldigung.

Der unsägliche Vergleich brachte nun die FDP in große Schwierigkeiten, die sich ihm als Bündnispartner angedient hatte. Die FDP-Bundestagsabgeordneten Burkhardt Müller-Sönksen und Sylvia Canel hatten noch mit Scheuerl feixend die Bürgerschaftsdebatte verfolgt, dann erst wurde ihnen die Brisanz der Äußerung offensichtlich deutlich. Canel forderte daraufhin den Rückzug Scheuerls vom Sprecherposten. Doch FDP-Chef Rolf Salo will die strategische Partnerschaft nicht aufgeben. Es habe sich nur um die Privatmeinung Canels gehandelt, sagte er. Salo: "Für mich ist die Sache mit der Entschuldigung erledigt."

Die aufgeladene Debatte über die Schulreform hat eine neue Unübersichtlichkeit geschaffen. Und nicht jeder hat derzeit die Gelassenheit von SPD-Fraktionschef Michael Neumann, der zum Wochenschluss mit Blick auf Parteifreund Petersen die Bibel zitierte. "Herrgott, gib mir die Kraft zu ertragen, was ich nicht ändern kann!"