Wahlkampf mit Pattex und Pinzette - leichte Übung für Renate Künast. Realpolitische Verbraucherzentrale in der Traumwelt.

Hamburg. Auch Traumwelten brauchen eine realpolitische Verbraucherzentrale. "Damit die Leute nicht abgezockt werden", sagt Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, während sie "Grünland" inspiziert, ein wenig mehr als ein Quadratmeter großes Modell ihres Parteiprogramms. Sollten auch in politischen Wunschwelten fragwürdige Produzenten ihr Unwesen treiben? Die ehemalige Umweltministerin hätte allen Grund, das zu denken: Vor Jahren setzte sie sich gegen die Agrarlobby durch und führte das Biosiegel ein, lange bevor Eisläden in der Schanze damit warben.

Wahlkampf mit Pattex und Pinzette - eine der leichteren Übungen für die grüne Spitzenpolitikerin. Dazu gehört beispielsweise auch, Sonnenblumen und Leihfahrräder im Maßstab 1:87 aufzukleben. Am 9. September soll die sehenswerte Ausstellung "Utopia" im Miniatur Wunderland eröffnen. Bis dahin haben Modellbauer in Tausenden Arbeitsstunden die Ziele großer Parteien nachgebaut. Zur Bundestagswahl soll ein breites Publikum für Politik interessiert werden, sagen die Wunderland-Betreiber.

Modellbau, Synonym für spießige Hobbykeller, wie passt das mit der einstigen Sponti-Partei zusammen? Tatsächlich mussten für "Grünland" erst neue Minimuslime angefertigt werden - Fachhändler hatten nur Modelle aus den 70er-Jahren parat: gebückte Frauen mit Kopftuch. Auch sonst bleibt politisch alles korrekt: "Lass uns drüber reden" ist auch im Jahr 2009 Motto, so tanzen im Mehrgenerationenhaus Rentner gemeinsam mit jungen Steuerzahlern, Punks und Polizisten plaudern in geselliger Runde beim alkoholfreien Bier, man ist ja im Dienst. "Solche Gespräche sind wichtig, denn Entfremdung schürt Konflikte", sagt Renate Künast.

Vielleicht gilt das auch für den ehemaligen Regierungspartner, die SPD. Deren Modell ist noch nicht fertig, aber pikanterweise fährt durch die Sozi-Traumwelt ebenfalls eine Stadtbahn, das gleiche Modell wie das der Grünen. "Wie alle Parteien klauen die bei uns Ideen", sagte Grünen-Fraktionsvize Krista Sager.

Auch die anderen Utopien wachsen. Im FDP-Land fährt durch die "Mehr-Netto-Allee" ein Leichenwagen mit Verkehrsschildern im Kofferraum - ein Symbol für Bürokratieabbau. Die Linke lehnte den Bau einer "perfekten Welt" ab, man kämpfe schließlich noch um Gerechtigkeit, und so sind Demonstranten und Finanzhaie zu sehen. Die CSU errichtet Biergärten am Brandenburger Tor. Und der Hamburger Koalitionspartner der Grünen, die CDU? Plan ist, 10 000 Figuren schwarz-rot-golden zu färben und das Wort "Wir" zu formen. Ob das zum Individualismus der Grünen passt, muss sich noch zeigen.