“Du lieber Hühnerprinz, Indien ist voller Elefanten, aber ich habe noch keinen einzigen gesehen. Das ist aber gar nicht schlimm, viel schlimmer ist, dass ich dich so lange nicht sehe.

Ich glaube, wenn ich komme und dich umarme, dann lasse ich dich nie wieder los. Dein Affenpapa." So schreibt Jurek Becker an seinen in Berlin lebenden dreijährigen Sohn Johnny. Mehr Worte braucht er nicht, um seine Liebe und Sehnsucht nach Hause zu schicken. Als Motiv zeigt die Postkarte einen imposanten Elefanten, der sich mit wackelnden Ohren zu nähern scheint.

Ich kenne niemanden, der die Kunst des Postkartenschreibens so kultiviert hat wie der Schriftsteller Jurek Becker. Damit versuchte er, die Zeiten der Abwesenheit während seiner vielen Reisen zu überbrücken. Er suchte lange nach originellen Kartenmotiven, um sie später mit kleinen literarischen Liebeserklärungen an seinen Sohn zu füllen, eingeleitet durch originelle Kosenamen wie "Du alte Mohrrübenzwiebel" oder "Du oller Mäusedetektiv". In kurzen Erzählungen oder Denkanstößen ruft er ihn sich ins Gedächtnis und schickt ihm seine Grüße.

Seine Karten, die im Ullstein Verlag unter dem Titel "Lieber Johnny" veröffentlicht worden sind, zeigen: Was wirklich wichtig ist, passt auch auf eine Postkarte. Es lässt sich mit ganz wenigen Worten sagen: Ich bin zwar weit weg, aber ich denke an dich. Ich kann nicht bei dir sein, aber ich schicke dir diese Karte - dann hältst du eine Erinnerung an mich in Händen, und mit dem rückseitigen Bild hast du ein wenig Anteil an meinen Erlebnissen. Wer solche Karten bekommt, ob ganz real im Briefkasten oder virtuell im Netz, hat Grund zur Freude. Es tut gut, wenn jemand in der Ferne an einen denkt und gute Wünsche sendet. Manche Freunde schreiben mir unter ihre Karten sogar: mit herzlichen Segenswünschen oder Gott behüte dich - und erinnern daran, dass Gott im Himmel seine schützende Hand über Reisende und Daheimgebliebene hält.

Bei Jurek Becker klingt das so: "Du olles Gummibärchen, vorhin hat mich unser Gartenhase gefragt: Hast du den Johnny diesmal nicht mitgebracht? Ich habe geantwortet: Nein, er muss in Berlin in den Kindergarten. Da ist er wieder in den Wald gehoppelt, ich glaube, er war sauer. Ich habe ihm hinterhergerufen, dass du das nächste Mal wieder mitkommst, hoffentlich hat er das gehört. Bis bald, mein lieber Hosenklops, dein Papa."

Ulrike Murmann ist Hauptpastorin von St. Katharinen in Hamburg.

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