Das Bild der Woche zum Aufregerthema der Woche - dem Pannenmeiler Krümmel - stammt von Dora Heyenn, Fraktionschefin der Linken in der Bürgerschaft. “Ich versuche doch auch nicht, den Boden trocken zu wischen, während die Badewanne überläuft. Aber genau das macht Vattenfall“, giftete Heyenn in der Bürgerschaft gegen den schwedischen Staatskonzern, der das Atomkraftwerk an der Elbe betreibt.

Ja, Krümmel: Seit Inbetriebnahme 1983 wurden mehr als 300 Störfälle registriert - das Kraftwerk zählt zu den anfälligsten. Doch die Ereignisse der vergangenen Tage haben die Stimmung endgültig kippen lassen: Ein Trafobrand in Krümmel führte zu Stromausfällen und Wasserrohrbrüchen in Hamburg. Es hätte noch schlimmer kommen können - die Sicherheit der Bürger ist plötzlich ein Thema. Vattenfall heizte mit einer katastrophalen Informationspolitik die Verunsicherung noch an. Zuletzt musste Konzernchef Tuomo Hattaka einräumen, dass nach dem Trafo-band mindestens ein defektes Brennelement im AKW entdeckt worden ist.

Nun überbieten sich Politiker bundesweit in den Forderungen nach der Stilllegung des Meilers. Die aufgeflammte Diskussion über die Atomenergie kann sich zum Störfall für das schwarz-grüne Bündnis entwickeln. Schließlich haben CDU und GAL konträre Positionen zur Atomenergie: Die Grünen wollen so schnell wie möglich aussteigen. Die CDU dagegen, mit Ole von Beust als oberstem Umweltschützer der Bundes-Partei, plädiert für längere Laufzeiten.

Dabei hatten sich die Schwarz-Grünen alles so schön ausgemalt: Im Bundestagswahlkampf wollten CDU und GAL, sonst meist ein Herz und eine Seele, endlich einmal ihre Gegensätze austragen. Das war durchaus klug, weil völlig gefahrlos, denn Hamburg hat seit dem Verkauf der Hamburgischen Electricätswerke (HEW) nichts mehr mitzubestimmen in der Atompolitik.

Aber plötzlich ist alles anders: Jetzt ist eine politische Haltung der Koalition zum AKW Krümmel gefragt, das nur 34 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt. Es geht um den Schutz der Hamburger Bevölkerung. Bis die schwarz-grünen Koalitionäre in der heiklen Krümmel-Frage zu einer gesichtswahrenden Sprachregelung fanden, verging ein bisschen Zeit. Umweltsenatorin Anja Hajduk (GAL) wollte den Koalitionspartner nicht brüskieren und stellte am Mittwoch in der Bürgerschaft, ganz senatstragend, sehr vorsichtig eine Frage in Richtung Vattenfall: "Warum wird nicht auf einen Weiterbetrieb verzichtet?"

Am Donnerstag endlich legte sich auch von Beust fest. Das Vertrauen in eine sichere Versorgung sei "stark erschüttert" worden. "Gelingt es Vattenfall nicht, dieses Vertrauen wiederherzustellen, bin auch ich der Überzeugung, dass das Kraftwerk endgültig vom Netz gehen muss", sagte von Beust nach einem Treffen mit Vattenfall-Manager Rainer Schubach.

Dabei können CDU und GAL von Glück sagen, dass Hamburg heute keinen direkten Einfluss mehr auf die Atompolitik hat. Wäre die Stadt noch Mehrheitsaktionärin bei den HEW, der Ernstfall für das schwarz-grüne Bündnis wäre wohl spätestens jetzt da. Man darf sogar fragen, ob es je zu Schwarz-Grün gekommen wäre, wenn die Energiepolitik noch vom Rathaus aus gesteuert würde.

Dass früher von der Schaltzentrale der Macht aus Schlachten um die Atomenergie geschlagen wurden, ist ein wenig in Vergessenheit geraten. Die Frontlinien verliefen unter anderem zwischen dem SPD-geführten Senat und den HEW, die in den 80er-Jahren die vier Atommeiler im Umland betrieben: Brunsbüttel, Brokdorf, Stade und eben Krümmel.

Manch einer wird sich verwundert die Augen reiben, aber der Senat hat die Stilllegung der vier AKW bereits 1986 beschlossen. Über den Aufsichtsrat machte der Senat damals Druck auf die HEW, sich aus dem Atomgeschäft zurückzuziehen. Der damalige Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) verkündete: "Der Ausstieg ist machbar." Ganz so einfach war das Abschalten nicht, weil Hamburg nicht allein das Sagen hatte.

Umweltsenator Jörg Kuhbier (SPD) präsentierte 1988 ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, das den Ausstieg als wirtschaftlich machbar einstufte - mit konkreten Daten für die Stilllegung. Danach wäre für das AKW Krümmel schon 1996 das Aus gekommen ... Dann geschah lange nichts, bis der Senat 1992 - die SPD regierte allein - dem Unternehmen eine Satzungsänderung aufs Auge drückte. Die HEW sollten sich von der Nutzung der Atomenergie abwenden, "sobald dies betriebswirtschaftlich für sie vertretbar ist". Eine schwammige Klausel, aber immerhin.

Als das Geld in den öffentlichen Haushalten Mitte der 90er-Jahre knapp wurde, fingen die Rathauspolitiker an, das Tafelsilber zu verkaufen. Stück um Stück wurde der 77-Prozent-Anteil an den HEW in klingende Münze verwandelt. Mit der Gestaltungsfähigkeit in der Atompolitik war es bald dahin. Letzter Akt: Auf seiner Hauptversammlung beschloss der neue Eigentümer Vattenfall Europe am 22. August 2002 eine Neufassung des Paragrafen 2, in dem die Unternehmensziele festgelegt sind. Die Ausstiegsverpflichtung wurde ersatzlos gestrichen.

Man kann es auch so sagen: Nie war Hamburg von der Stilllegung des AKW Krümmel weiter entfernt als heute.