Wer in Hamburg eine größere Summe städtischen Geldes ausgeben will, etwa 84 Millionen Euro für eine Universität, der muss früher oder später mit der Finanzbehörde sprechen.

In dem trutzigen Backsteinbau am Gänsemarkt wird - verkürzt ausgedrückt - entschieden, was die Stadt sich leisten kann. Nicht umsonst gilt der Finanzsenator in der Regel als mächtigstes Senatsmitglied - nach dem Bürgermeister, versteht sich.

Dafür muss er sich mit dem vielleicht unangenehmsten Untermieter arrangieren: dem Rechnungshof. Der residiert ganz oben, im sechsten und siebten Stock der Finanzbehörde, über ihm kommt nur noch der Himmel. Das ist keinesfalls nur metaphorisch zu verstehen, denn tatsächlich ist der Rechnungshof weder Senat noch Bürgerschaft unterstellt. In Artikel 71 der Verfassung der Hansestadt heißt es: "Die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsführung wird durch einen unabhängigen, nur dem Gesetz unterworfenen Rechnungshof überwacht."

Und Präsident Jann Meyer-Abich und seine 130 Mitarbeiter nehmen diese Aufgabe sehr ernst - wenn sie sich zu Wort melden, ist das für die Behörden selten angenehm, der Unterhaltungswert tendiert gen null, Seriosität und Akzeptanz dieser Anmerkungen hingegen gen 100. Kurz: Was der Rechnungshof moniert, setzen die Behörden in aller Regel um. Und wenn nicht, bereuen sie es nicht selten. Beispiel JVA Billwerder: Den Bau des Super-Knasts nach US-Vorbild setzte der damalige Justizsenator Roger Kusch (CDU) gegen Bedenken des Rechnungshofs durch - heute muss sein Nachfolger Till Steffen (GAL) die teuren Überkapazitäten zurückfahren.

In den vergangenen Wochen geriet die bewährte Rollenverteilung jedoch ins Wanken, mehr noch: Jetzt steht erstmals der Rechnungshof selbst im Zentrum politischer Auseinandersetzungen.

Das kam so: Als Wissenschaftssenatorin Herlind Gundelach (CDU) am 4. Juni mit der Drucksache 19/2731 in den Haushaltsausschuss ging, um die Freigabe besagter 84 Millionen für den Bau der HafenCity-Universität (HCU) zu erbitten, erlebte sie ein denkwürdiges Fiasko. Rechnungshof-Direktor Joachim Mose kanzelte die Drucksache als "nicht etatreif" ab. Das war keine Affekthandlung, denn Mose verlas eine vorbereitete Stellungnahme - eine deutliche Reaktion auf die Weigerung der Senatorin, die seit Monaten vorgetragene Kritik des Rechnungshofs ernstzunehmen. Ob eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für den Standort oder die Energieeffizienz des Gebäudes: Keine Forderung habe die Behörde erfüllt und verstoße damit gegen die Landeshaushaltsordnung, die eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zwingend vorschreibt. Das saß. Selbst die CDU-Abgeordneten waren so geschockt, dass sie der Drucksache ihre Zustimmung verweigerten und Gundelach baten, diese zu "überarbeiten".

Dieses Wort, so im Protokoll festgehalten, spielte beim Showdown am Dienstag dieser Woche eine wichtige Rolle. Denn Gundelach erschien diesmal zwar mit sechs und nicht nur mit drei Experten aus ihrer Behörde vor dem Haushaltsausschuss - aber die Drucksache war unverändert. SPD und Linkspartei waren entsetzt, doch CDU und GAL retteten ihre Senatorin durch einen Anfall von Amnesie, indem sie plötzlich meinten, nur neue "Beratungen" gefordert zu haben. Einzig Olaf Ohlsen (CDU) bekannte offen, dass auch er neue Fakten in Schriftform erwartet hatte.

Doch zu dem Zeitpunkt war das Tabu schon gebrochen: Als der Rechnungshof, diesmal in Gestalt von Direktor Olde Friedrichsen, pflichtgemäß seine Kritik wiederholte, wurde daraus ein Bumerang. CDU und GAL verbaten sich die Einmischung in ihre politische Entscheidung zur Förderung von Wissenschaft und HafenCity, Gundelach sprach von "Polemik des Rechnungshofs", und GAL-Fraktionschef Jens Kerstan davon, dass Friedrichsen "sachlich und fachlich falsch" argumentiere, was sein Vertrauen in den Rechnungshof erschüttere. Die Worte waren ihm mitnichten rausgerutscht, sondern beendeten eine ruhig vorgetragene Rede. Auch Gundelach dürfte bewusst gewesen sein, dass das Wort "Polemik" zum Rechnungshof passt wie "Sackhüpfen" zur Queen.

Was treibt die Kritiker der bislang unantastbaren Institution an? Aus dem Senat ist zu hören, dass man den Vortrag von Mose im Stil als überzogen empfunden habe. Darüber werde es noch Gespräche mit dem Rechnungshof geben. Da sich eine Standpauke schon verfassungsrechtlich verbietet, dürfte es dann eher um das Selbstverständnis des Rechnungshofs gehen. Denn das hat sich durchaus gewandelt. Die früher überwiegend nachträglich prüfende Truppe vom Gänsemarkt ist heute wesentlich aktiver und berät schon präventiv, um etwa Fehler bei Bauplanungen zu verhüten. Das wird von den Behörden meist begrüßt, oft sogar gefordert. Aber es provoziert natürlich mitunter Streit mit der Politik.

Teile von CDU und GAL sehen nun offenbar den Punkt gekommen, an dem ihnen der Rechnungshof zu politisch wird. Dort wundert man sich über den Vorwurf, denn im Fall der HCU bahnt sich angesichts der Verweigerung einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ein glatter Gesetzesverstoß an. Offenbar nimmt der Senat den und die von der Linkspartei angekündigte Verfassungsklage in Kauf, um den Baustart im Herbst nicht zu gefährden.

Immerhin sichert das einen Eintrag in eine Art Geschichtsbuch - den nächsten Jahresbericht des Rechnungshofs.