Bülent Ciftlik (SPD) weist den Scheinehe-Vorwurf zurück. Aussagen vor Gericht belasten ihn. Auch Metin Hakverdi muss jetzt Mandat ruhen lassen.

Hamburg. Eine freiwillige Entscheidung klingt anders: "Der Abgeordnete wird sein Mandat jetzt ruhen lassen", erklärte die SPD-Parteiführung am Sonntag. Damit darf auch der Jurist Metin Hakverdi keine Politik mehr in der Bürgerschaft machen, bis seine Rolle in der Scheinehe-Affäre um seinen Parteikollegen Bülent Ciftlik geklärt ist, dessen Mandat ebenfalls ruht. Anlass sind neue Vorwürfe gegen Hakverdi, die in Verhandlungen der Causa Ciftlik am Freitag laut wurden. "Seine Aussage, dass er zu keiner Scheinehe beraten habe, muss sich als wahr erweisen, wenn er Abgeordneter bleiben will", teilten Landeschef Olaf Scholz und Fraktionschef Michael Neumann mit. Ein Rauswurf Hakverdis aus der Fraktion ist damit offen im Gespräch.

In SPD-Kreisen gilt als sicher, dass die Aussagen Hakverdis auch die heutige Fraktionssitzung beschäftigen werden. Der Anwalt aus Wilhelmsburg hatte vergangene Woche zwar eingeräumt, dass ihn damals "auf Vermittlung von Herrn Ciftlik zwei Personen" aufsuchten: Nicole D. und sein ehemaliger Mandant Kenan T., zwischen denen Ciftlik gegen Bezahlung eine Scheinehe vermittelt haben soll. Allerdings dementiert Anwalt Hakverdi erstens, dass es dabei um "irgendeine ausländerrechtliche Beratung" gegangen sei, zweitens, dass er überhaupt an konkreten Beratungen teilgenommen habe. Er habe "den beiden empfohlen", sich durch einen Fachanwalt für Familienrecht beraten zu lassen. "Damit hatte es in dieser Sache sein Bewenden."

Aussagen von Nicole D. vor Gericht ziehen dieses Dementi jedoch in Zweifel: Demnach war Hakverdi bei dem rechtlichen Beratungsgespräch anwesend, das ein damaliger Kanzleipartner leitete. Während des Prozesses sprach Nicole D. zudem über eine Anwaltsrechnung in Höhe von 300 Euro, in der stehen soll, dass Hakverdi bei den Beratungen anwesend war.

Fraglich erscheint auch Hakverdis Aussage, dass "ausländerrechtliche Fragen" keine Rolle bei den Gesprächen gespielt haben sollen: Aus der Anklageschrift geht hervor, dass sein ehemaliger Mandant, Kenan T., bereits vor Jahren aufgrund eines falschen Eheversprechens in rechtliche Schwierigkeiten geraten war. Mit seiner damaligen Frau Heike Z., so gestand er während des Scheidungsverfahrens 1998, habe er eine Scheinehe geführt.

Die Aussage von Nicole D. belastet aber vor allem Bülent Ciftlik schwer. Vergangener Freitag, zehn Uhr im Amtsgericht St. Georg: "Der Vorwurf der Scheinehe ist korrekt" - so beginnt die 33-Jährige ihr Geständnis. Fast zwei Stunden spricht sie: wie der Politiker sie zur Scheinehe mit Kenan T. anstiftete, wie er sich rund 35.000 Euro von ihr lieh, davon aber nur 900 Euro zurückzahlte. Sie erzählt von Drohungen und Verdunkelungsabsichten, von Zeugen, die sie auf Geheiß von Ciftlik zur Falschaussage bewegen sollte. Und davon, wie sie zuerst an einen Scherz glaubte, als Ciftlik ihr im November 2007 am Telefon mitteilte, dass er für Kenan T. eine "Frau zum Heiraten" suche und dass er an sie gedacht habe. Zwei Monate später habe sie ihre Meinung geändert - vor allem weil Ciftlik ihr durch das Eingehen der Scheinehe Hoffnung auf eine "normale" Beziehung gemacht habe. Seit 2005 hatte sie lediglich ein "sexuelles Verhältnis" mit dem Politiker. "Doch ich hatte immer gehofft", sagt Nicole D.

7000 Euro sollte ihr Kenan T. für das falsche Eheversprechen zahlen, 3000 Euro davon habe Ciftlik erhalten. Wie Eheleute zusammengewohnt hätten Kenan T. und sie jedoch nicht. Um kritische Nachfragen der Ausländerbehörde zur Person parieren zu können, hätten sie sich nach der Heirat im Februar 2008 öfter getroffen. "Wir mussten uns ja kennenlernen", sagt Nicole D. Um der falschen Ehe den Anschein einer echten Liebesbeziehung zu geben, sei sie mit dem Imbiss-Besitzer sogar in die Türkei geflogen - wo die türkische Ehefrau des Angeklagten mit den zwei Kindern lebt. Dort habe sie im Wohnzimmer auf der Couch geschlafen. "Wir wollten Urlaubsfotos machen, die wir im Zweifel hätten vorlegen können."

Doch nach einer Durchsuchung ihrer Wohnung im April 2009 geriet auch Ciftlik in den Fokus der Ermittler. Um seine Anwälte zu bezahlen, habe sich Ciftlik 18.000 Euro von ihr geliehen, 17.000 Euro habe er bereits von ihr zur Finanzierung seines Bürgerschaftswahlkampfes erhalten. Zurückbekommen habe sie lediglich 900 Euro - Ciftlik streitet das später ab. "Warum haben Sie das überhaupt gemacht?", fragt der Vorsitzende Richter. "Ich habe ihm eben vertraut", sagt Nicole D.

Öffentlich geriet Ciftlik immer stärker unter Druck. Anfang 2010 habe er sie aufgefordert, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, die die Rechtmäßigkeit der Ehe mit Kenan T. bezeugen sollte, erzählt Nicole D. Als sie sich weigerte, wurde Ciftlik deutlich. "Du glaubst doch nicht, dass du dann einfach wieder lächelnd ins Büro gehen kannst", habe er gesagt. "Er drohte, sein Netzwerk zu aktivieren und dafür zu sorgen, dass ich keinen Job mehr in Deutschland bekomme", sagt Nicole D. Auch sollte sie Zeugen für die Version einer "echten Ehe" finden. Mit einem gewissen "Nick", der ihr als Ex-Staatsanwalt vorgestellt wurde, hätten Kenan T., sie und ihre Schwester im Studio einer mit Ciftlik befreundeten Fotografin Zeugenbefragungen "durchgespielt".

Äußerlich bleibt Ciftlik bei alldem gelassen. Konzentriert sitzt er da, links und rechts seine Verteidiger, die von einer Vorverurteilung ihres Mandanten durch die Staatsanwaltschaft sprechen. Einseitig seien die Ermittlungen geführt worden, viele belastende, aber keinerlei entlastende Indizien habe die Behörde zusammengetragen.

Dann die mit Spannung erwartete Einlassung von Ciftlik. Der Politiker benennt weniger Fakten, konkrete Zeiten, Zeugen, Standorte als Nicole D. - er macht vielmehr Statements. "Ich habe nichts dazu beigetragen, dass diese Ehe zustande kommt", sagt der Politiker. Nie habe er daran gezweifelt, dass sich Kenan T., den er nur flüchtig kannte, und Nicole D. liebten. Das Geständnis seiner Ex-Freundin - Ciftlik weist es komplett zurück. Die Dinge hätten sich nicht ansatzweise so zugetragen, wie sie sie dargestellt habe. Er sei "schockiert", der Vorwurf, er habe Zeugen gebeten, in seinem Sinne auszusagen, sei "empörend". "Ich bin ein Kind dieses Rechtsstaates", sagt Ciftlik mehrfach. Doch warum sollte sich die 33-Jährige so schwer belasten? Ciftlik lässt durchblicken, dass es sich um einen Rache-Akt aus verschmähter Liebe handeln könnte. Er habe sich unlängst verlobt. "Sie hat mir mal gesagt, sie könne es nicht ertragen, wenn ich mit einer anderen Frau eine feste Beziehung eingehe." Am 10. Mai geht der Prozess weiter. Wird dann, wie beantragt, das Verfahren gegen Nicole D. abgetrennt, müsste sie eventuell erneut vernommen werden - dann aber nicht als Angeklagte, sondern als unbedingt zur Wahrheit verpflichtete Zeugin.