Die Frauen und Männer der mobilen Teestube Sarah bieten Prostituierten auf dem Kiez Getränke, Süßigkeiten, Kondome und Gespräche an.

Routiniert verstaut Pater Ronald mehrere Thermoskannen voller Tee und Kakao, Süßigkeiten und einige Packen Kondome in abgewetzte große Einkaufstaschen. Während er in der kleinen Wohnung am Hans-Albers-Platz noch ein kurzes Gebet spricht, füllen sich die Klubs und Bars auf dem Kiez mit Gästen. Unten vor dem Haus trudeln die ersten Prostituierten ein. Zu ihnen geht der Franziskaner-Pater hinunter. Pünktlich, wie jede Woche, startet der 63-Jährige um 21 Uhr seine Runde durchs Rotlichtmilieu, einschließlich Herbertstraße.

Pater Ronald ist Mitglied der Teestube Sarah, die offiziell Ökumenischer Dienst St. Pauli e. V. heißt. Der Verein kümmert sich um Prostituierte auf dem Straßenstrich. Zwölf Frauen und Männer, die hauptberuflich als Lehrer, Buchbinder, Sekretärin oder Psychologin arbeiten, gehen abends zum Straßenstrich auf den Kiez und zum Autostrich auf der Süderstraße und verteilen kostenlos Tee, Kakao, Süßigkeiten und Kondome.

"Wir wollen den Frauen als Menschen begegnen, ihnen unsere Freundschaft anbieten", sagt Pater Ronald, der im Alltag das Franziskuskolleg, ein katholisches Haus für internationale Studenten, leitet. Wie allen von der Teestube geht es ihm nicht ums Missionieren, sondern um die Wertschätzung der Prostituierten. Denn obwohl sogar die Stadt Hamburg mit dem Rotlicht-Milieu um Touristen wirbt, werden die Frauen, die dort arbeiten, von der Gesellschaft verachtet. "Wir haben schon miterlebt, dass sie aus Autos heraus beschimpft wurden", sagt Pater Ronald.

Mit ihren Taschen als Erkennungszeichen kommen die Teestubenmitarbeiter und besonders die Mitarbeiterinnen überallhin. Auch auf Hamburgs berühmteste Bordellgasse, die Herbertstraße, die von Frauen normalerweise nicht betreten werden darf.

"Die Frauen in den Bordellen und auf der Straße freuen sich, wenn wir kommen, sie sind ganz natürlich und halten gerne einen Plausch mit uns", sagt Pater Ronald. Viele empfänden es als angenehme Unterbrechung ihrer Arbeit, wenn es einmal nicht ums Geschäft gehe, glaubt der Pater.

"Die Frauen spüren auch die Zuwendung und die Ehrlichkeit in unserem Anliegen", sagt Rolf (56), der sich schon seit 1984 für die mobile Teestube Sarah engagiert. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen, "denn die Teestubenmitarbeiter können nie ganz vor Anfeindungen aus dem Milieu sicher sein", sagt der Physiker. Seine Route ist die Süderstraße mit abschließendem Abstecher auf den Fischmarkt, wo seit den 80er-Jahren immer weniger, zumeist nur noch ältere Prostituierte stehen.

Auf dem Autostrich warten die Frauen länger auf Kunden, da bleibt schon mal Zeit für eine Unterhaltung. "Häufig geht es um alltägliche Dinge, wie das Wetter, die Gesundheit, die nächste Urlaubsreise oder die Familie, denn einige Frauen sind Mütter", sagt Rolf, selber Vater von vier Kindern. Die Gründe, die die Frauen zur Prostitution geführt haben, können vielfältig sein, die Grenze zwischen freiwilliger Entscheidung und Zwang fließend. "Frauen, die eindeutig von Zwangsprostitution und Menschenhandel betroffen sind, begegnen uns hier weniger. Wir treffen auch keine Minderjährigen, die sich mit der Prostitution das Geld für Drogen beschaffen, wie auf dem illegalen Strich in St. Georg", erklärt Rolf. Doch auch auf dem Kiez bekommt er Schicksale mit. "Was mich immer wieder erschüttert, ist die Leichtgläubigkeit, mit der junge Frauen ins Milieu kommen. Sie wollen schnell viel Geld verdienen und bald wieder aufhören. Doch je länger sie im Geschäft bleiben, desto stärker sind die Abhängigkeiten im Milieu", hat Rolf beobachtet.

Wenn Frauen auf einmal nicht mehr kommen, "wissen wir meist nicht, wo sie gelandet sind, ob es ihnen gut geht", erzählt der Wissenschaftler. Er erinnert sich an eine Frau, die er lange Jahre auf dem Autostrich begleitet hatte und die plötzlich verschwunden war. Eines Tages stand sie vor der Teestube. Sie hatte ein neues Leben in einer anderen Stadt begonnen und wollte sich bedanken, dass "wir immer da waren und keine Fragen gestellt hätten, wenn es ihr nicht gut ging. Und dass wir sie mit unseren regelmäßigen Besuchen gestützt hätten", sagt Rolf. Eine seltene Rückmeldung, die ihn in seinem Engagement bestätigt habe.

Der Katholik, der mit einer evangelischen Pastorin verheiratet ist, kam zufällig zur Teestube mit dem biblischen Namen Sarah. "Ich hörte von einem ökumenischen Gottesdienst auf St. Pauli, das sprach mich an. Erst dort erfuhr ich von der Teestube und der Arbeit ihres Gründers Otto Oberforster." Inzwischen ist die Süderstraße fast wie ein Zuhause für Rolf: "Die Menschen, die man so lange begleitet, werden einem vertraut."

Den Anspruch, die Frauen zum Aussteigen zu bewegen, haben die Teestubenmitarbeiter nicht. "Es war anfangs schwer, aber ich lerne damit zu leben, dass ich nichts verändern kann", sagt Rolf.