Im Portugiesenviertel gibt es nicht nur viele Cafés und Restaurants, sondern auch manche Skurrilität zu entdecken.

Hamburg. Sommertage beginnen hier wie im Süden. Vor den Cafés, Tapas-Bars und Restaurants spritzen Kellner die Gehwege mit Wasserschläuchen ab, stellen Tische und Stühle zurecht oder bedienen die ersten Kunden. Der Duft von Kaffee und frischem Gebäck liegt in der Luft, vom Hafen weht eine salzige Brise herüber. Auf ihrem Weg von den Landungsbrücken zum Michel schlendern die ersten Touristen durch die Ditmar-Koel-Straße im Portugiesenviertel.



Vor der Taparia Julio's sitzt Walter Löwenberg. Er hat sich 1971 als Friseur in dem Quartier niedergelassen und ist seitdem aus der Straße nicht mehr wegzudenken. Auf dem Tisch vor sich hat der 72-Jährige einen museumsreifen, batteriebetriebenen Plattenspieler aufgebaut, auf dem eine alte Beatles-Scheibe rotiert. Walter, wie alle ihn hier nennen, singt lauthals mit - in der Hand eine brennende Zigarette, rosa Hemd zur weißen Hose, um den Hals eine goldene Kette, an der zwei kleine Anhänger baumeln: Schere und Kamm. Die Nachbarn auf den Balkonen stören sich nicht an der Musik. Weder das frühstückende Yuppie-Pärchen noch der Dicke, der sich mit freiem Oberkörper in die Sonne gesetzt hat.

Walter kennt fast alle im Viertel. Nach dem Tod seiner Frau vor acht Jahren fand er Trost und Zuspruch bei den Nachbarn. Vor drei Jahren hat er seinen Salon geschlossen, hinter dem er immer noch wohnt. Seitdem ersetzt ihm so manches Restaurant in der Straße sein Wohnzimmer. Dreieinhalb Jahrzehnte hat er seiner Kundschaft die Haare geschnitten. Zunächst waren es Hafen- und Werftarbeiter, die im Viertel wohnten, und Geschäftsleute, die an der Ditmar-Koel-Straße Pelzwaren, Lebensmittel, Blumen und Kurzwaren verkauften. Auch Seeleute gehörten dazu, vor allem skandinavische - schließlich liegen an der Ditmar-Koel-Straße die Seemannskirchen von Schweden, Finnland, Norwegen und Dänemark.


"Später siedelten sich hier Polen und Russen an", erzählt Walter und stellt die Musik lauter. Nach den Beatles dreht sich jetzt eine Schlagerplatte von anno dazumal auf dem Plattenteller. Er springt auf, stellt sich mit ausgebreiteten Armen vor zwei junge Touristinnen und singt schmachtend: "Wir wollen niemals auseinandergeh'n". Die beiden Mädchen lächeln verlegen. Walter Löwenberger lässt sie vorbei und setzt sich schmunzelnd wieder hin. "Zurück zu den Osteuropäern."


Sie übernahmen in den 80er-Jahren die von ihren deutschen Besitzern aufgegebenen Geschäfte und trieben in der Ditmar-Koel-Straße schwunghaften Handel mit Elektrogeräten und Feuerzeugen. Manchmal auch mit geschmuggelten Zigaretten, Wodka und Autos - wie Zbigniew Nawrot, der traurige Berühmtheit erlangte, als er mitsamt seinem Ferrari 1991 in der Hamburger Innenstadt in die Luft gesprengt wurde. "Das war sein Geschäft", sagt Walter und zeigt auf einen Laden schräg gegenüber.


Es war nicht das einzige Mal, dass die Straße Schlagzeilen machte - da gab es Schießereien, Drogendelikte und Schmuggel. Dann wurde es ruhiger in der Ditmar-Koel-Straße. Polnische und russische Geschäftsleute verschwanden. Die portugiesischen Gastarbeiter, die schon damals im Viertel wohnten, übernahmen die Läden und begannen ihren gastronomischen Siegeszug. Frische Fischgerichte, Tapas, süße Nata-Törtchen - aber hauptsächlich wohl das mediterrane Flair mit tutenden Schiffen und kreischenden Möwen haben die Ditmar-Koel-Straße zu einer beliebten Ausgehmeile gemacht.


Walter Löwenberger ist allerdings nicht der älteste "Ureinwohner" hier. In der "Seekiste" verkauft Günther Biller (72) in zweiter Generation maritime Souvenirs, nautische Instrumente, Galionsfiguren und antike Schiffsmodelle. Ein paar Häuser weiter befindet sich der Feinkostladen, den Horst Meyer (69) und seine Frau Helga (67) seit 1962 führen - sie wurde in der Ditmar-Koel-Straße geboren und ist nie aus dem Viertel weggezogen. Sofia Rodrigues (37), die sich vor der Taparia zu Walter an den Tisch gesetzt hat, wuchs hier in einer Dreizimmerwohnung - 75 Quadratmeter für 150 Mark ohne Heizung, Bad und Dusche waren im Treppenhaus. "Erst in den 90er-Jahren wurden die Wohnungen nachgerüstet und bekamen ein eigenes Bad", erinnert sich die Portugiesin. Mittlerweile sind die Mieten hier um ein Vielfaches gestiegen. Immer mehr Künstler, Schauspieler und Werber zieht es in das quirlige Viertel. Neben Feinkost Meyers hat sich Feinkunst Krüger etabliert, eine Galerie, die unbekannte Künstler fördert. Direkt neben Walters Laden, in der ehemaligen Farbenfabrik Bellmann, sitzt Produzent Fatih Akin mit seiner Firma Corazón. "Der war vorhin gerade hier - mit Kind und Fahrrad", sagt Walter. Ihm entgeht nichts, was hier passiert. Wenn er wissen will, was am anderen Ende der nur gut 400 Meter langen Straße los ist, setzt sich Walter Löwenberg, der ehemalige Hafenfriseur, einen schwarzen Helm auf. Dann schwingt er sich auf sein NSU-Moped, ebenso museumsreif wie der Plattenspieler, und tuckert los, die Ditmar-Koel-Straße hinunter.

Die nächsten Folgen

Mittwoch, 29. Juli: Große Brunnen- straße (Ottensen)

Freitag, 31. Juli: Roonstraße (Hoheluft)

Montag, 3. August: Harkortstraße (Altona)