Wie Volker Grassmuck, Professor an der Leuphana Universität, die Zukunft der Medien und der Gesellschaft sieht

Lüneburg/Harburg. Die Medienlandschaft ist im Umbruch. Volker Grassmuck forscht für die EU in Lüneburg, wie eine öffentlich-rechtliche Grundversorgung der Bürger mit Informationen im Internet künftig aussehen könnte. Im Gespräch mit Abendblatt-Redakteur Rolf Zamponi äußert sich der Professor für Mediensoziologie zur Zukunftsstrategie der Medien, die Bedeutung von Zeitungen, über den Stellenwert von Journalismus in der Gesellschaft – sowie über die Medien in der Metropolregion.

Hamburger Abendblatt:

Wie sieht die Situation der Medien in zehn Jahren aus?

Volker Grassmuck:

Die Menschen gehen künftig mit Informationen anders um. Das Internet weckt Interesse an Transparenz und Partizipation. Der Geist des Netzes ist, alle Informationen auf Knopfdruck zu finden. Für die Zeitungen wird es darauf ankommen, die Informationsquellen zu bewerten. Heute werden vor allem meinungsstarke Artikel gelesen. Es ist aber bisher wenig gelungen, das Interesse auf aufwändig recherchierte Stücke zu lenken. Sie müssen mehr im Mittelpunkt stehen. Sonst verroht der Journalismus durch Zuspitzen und Übertreiben. Die Herausforderung lautet: Der Dialog mit den Lesern muss ausgebaut werden. Sie müssen Interesse an gut recherchierten Artikeln entwickeln, die sie aufklären. Ich bin überzeugt: In unseren Land gibt es ein großes Interesse an einem solchen Qualitätsjournalismus.

Zeitungen und Zeitschriften klagen über einen Rückgang von Auflagen und der Anzeigenerlösen. Als Hauptgrund gilt das Abwandern von Lesern und Inserenten in das Internet. Wie berechtigt sind die Klagen?

Grassmuck:

Wenn man allein auf die Zahlen schaut, berechtigt. Seit 25 Jahren gehen die Abonnements-Zahlen jährlich um zwei bis vier Prozent zurück, also schon bevor das Internet zum Massenmedium geworden ist. Bei den Einnahmen aus der Werbung gibt es seit 15 Jahren sogar ein jährliches Minus von vier bis sechs Prozent.

Bleiben wir zunächst bei den Anzeigen.

Grassmuck:

Tatsächlich hat sich die Situation unwiederbringlich zulasten der Druckmedien verschoben. Im Internet lässt sich sofort ermitteln, wie die Werbung wahrgenommen wird. Mehr noch. Die Inserenten können feststellen, welche Seite ein Nutzer vorher gelesen hat, was er liest und wie lange er sich in eine Anzeige vertieft. Das erlaubt, so weit es der Internet-Nutzer zulässt, ein genaues Profil von seinen Bedarfen zu erstellen. Für die Print-Medien wird es künftig also herausfordernder.

Für die Zeitungen und Zeitschriften kommt es darauf an, ihre Verluste wieder auszugleichen. Was tun?

Grassmuck:

Zum einen stehen Print-Medien auch alle Möglichkeiten im Internet für ihre Online-Ausgaben zur Verfügung. Die gute Nachricht: Im Bereich der Musik haben jetzt die Einnahmen aus den digitalen Verkäufen erstmals die Verluste bei den CD ausgeglichen. Damit scheint es möglich, dass dies auch im Verhältnis Online/Print passieren wird. Außerdem haben Zeitungen und Zeitschriften noch einen Trumpf im Ärmel.

Welchen?

Grassmuck:

Ihre Archive. Bei den Menschen macht sich die Erkenntnis breit, dass man bei großen Themen über die Vergangenheit informiert sein muss. Dies online anzubieten, kann eine Menge Interesse bringen. Das zahlt sich auch finanziell aus. Bemerkbar und damit als Anbieter interessant wird man auch durch Videos, die Zeitungsthemen ergänzen und durch Meldungen auf den sozialen Portalen wie Facebook. Solche Meldungen werden dort weitergetragen und bringen eine Zeitung ins Gespräch.

Der digitale Trend ist unumkehrbar?

Grassmuck:

Ja. Es wird lebensbedrohlich für alle Medien, die sich der Herausforderung nicht stellen. Papier wird es zwar weiter geben. Sicher ist dies für Bücher oder längere Aufsätze. Aber auch in der Wissenschaft gibt es inzwischen Leute, die keine physische Bibliothek mehr haben, weil sie die Inhalte von Büchern auf eine Festplatte übertragen haben.

Verändert der Trend von Print- zu Digital-Medien auch den Journalismus?

Grassmuck:

Hier gibt es eine zweite gute Nachricht: Am Bedarf an Journalismus hat sich nichts geändert. Er ist eine der Schlüsselfunktionen einer Demokratie und Voraussetzung um sich eine Meinung zu bilden. Fakten für Leser zu übersetzen, war schon immer eine wichtige Aufgabe. Sie wird noch wichtiger. Beispiel EU. Ihre Themen wie etwa der Ausbau von Breitbandkabel für das Internet, der Verkehr, die Agrarwirtschaft und der Handel müssen erklärt werden. Da besteht gerade im Regionalen ein großer Bedarf. Wer diesen Bedarf befriedigt, gewinnt.

Welche Rolle spielen dabei Regionalzeitungen wie das Hamburger Abendblatt?

Grassmuck:

Eine wichtige. Sie kommen dieser Aufgabe nach, im Norden macht das neben dem Abendblatt auch der NDR über Radio, Fernsehen und genau wie die Zeitungen über das Internet.

Welche Rolle werden Blogs spielen?

Grassmuck:

Sie beeinflussen schon heute die Meinungen, wobei nicht alle journalistisch geprägt sind. Sie spielen aber nur eine Rolle, wenn sie verbindlich sind, kontinuierlich erscheinen und in Sozialen Netzwerken vertreten sind. Zeitungen wie die „Frankfurter Allgemeine“ holen sich Blogger in ihr Online-Angebot. Genau wie bei der Werbung kann ihr Erfolg leicht an der Zahl der Klicks gemessen werden. Möglich, dass sich künftig immer mehr erfolgreiche Blogger als Journalisten selbstständig machen und umgekehrt. Das Internet gibt ihnen die Möglichkeit dazu.

Ist es bedrohlich, wenn Leser sich immer mehr im Internet bewegen und sich nur für spezielle Themen interessieren?

Grassmuck:

Es besteht die Gefahr, dass solche Menschen einen Tunnelblick bekommen und nicht mehr nach links und rechts sehen. Aber in den USA hat eine Untersuchung jetzt ergeben, dass über die verschiedenen Medien hinweg sehr wohl weiterhin eine vielfältige Gesamtöffentlichkeit entsteht. Ich gehe davon aus, dass die Menschen über den Tellerrand hinaus schauen wollen und sich freuen, wenn sie in einer Zeitung auf ein Thema aufmerksam werden, mit dem sie gar nicht gerechnet haben. Das ist dann eine positive Überraschung für sie.

Wie muss also die Strategie der Zukunft aussehen?

Grassmuck:

Die Zeitung muss nicht neu erfunden, sie muss ergänzt werden. Bei aktuellen Ereignissen muss Online schaffen, was der Druck nicht kann. Ein Beispiel wäre Leser auf dem Laufenden zu halten, wenn über Nacht bei Hochwasser die Pegel eines Flusses steigen. Geschwindigkeit ist wichtig. Hintergrund, Analyse und Kommentar sind die Aufgaben von Zeitungen: Sie müssen über die Rohnachrichten hinaus führen. So liefern Zeitungen einen Mehrwert.