Sozialberater kritisieren Verlegung des Grundsicherungsamts und die Sanierungspolitik. Besonders ältere Menschen sind die Leidtragenden.

Wilhelmsburg. Der Hamburger Süden könnte sich laut dem Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt zu einem Szenebezirk für Studenten entwickeln. Auf den Elbinseln erwarte er in zehn bis 15 Jahren Kneipen, Cafés und Geschäfte, die die Gegend für junge Menschen attraktiver machten, sagte der Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen vor Kurzem.

Wilhelmsburg, das bedeutet aber auch 2000 ältere Menschen, die von Grundsicherung leben müssen. Nur noch in Billstedt sei im Bezirk-Hamburg-Mitte die Quote der Alten mit geringstem Einkommen ähnlich groß. Die beiden Sozialberater Isa Bosic, Treffpunkt Elbinsel, und Klaus Gläser, Diakonie, kritisieren im Gespräch mit dem Abendblatt die geplante Schließung der Wilhelmsburger Dienststelle des Fachamtes für Grundsicherung und Soziales als massive Verschlechterung der sozialen Versorgung. Und sie sorgen sich wegen der Folgen eines offenbar zusammengebrochenen Wohnungsmarktes in dem Stadtteil.

Das Bezirksamt Hamburg-Mitte hat bereits ein Transportunternehmen beauftragt, die Wilhelmsburger Dienststelle des Fachamtes für Grundsicherung und Soziales aufzulösen und in die Hamburger City an die Kurt-Schumacher-Allee 4 zu verlagern. Klaus Gläser ist bei der Diakonie Wilhelmsburg hauptberuflich Berater für Menschen in der zweiten Lebenshälfte. "Fatal" nennt er die Entscheidung, die Behörde aus Wilhelmsburg abzuziehen. Die Stadt habe sich eine Klientel ausgesucht, die oft immobil sei, wenig Geld habe und sich nicht wehren könne. Deshalb sehe er sich genötigt, als Anwalt der Senioren aufzutreten und sich öffentlich zu äußern.

Allein am vergangenen Donnerstagvormittag hätten sich die Mitarbeiter des Grundsicherungsamtes in Wilhelmsburg um "65 Fälle" gekümmert, sagt Gläser. Für den Sozialpädagogen ist das ein Indiz dafür, wie wichtig der Standort auf der Elbinsel sei.

Isa Bosic kümmert sich als Leiterin die Treffpunktes Elbinsel um behinderte und nicht behinderte Menschen. Ihre Mitarbeiter beraten bei Behördengängen. Oder spielen eine Partie Canasta mit Menschen, die Gesellschaft brauchen. Die Sozialpädagogin sieht die Behördenzentralisierung als generell strukturellen Fehler: Das schüre das Unverständnis der Sachbearbeiter für den einzelnen Menschen, wenn die Nähe verloren gehe. "Wir fühlen uns veräppelt", sagt Isa Bosic ärgerlich, "wir bauen in Wilhelmsburg eine Schuldnerberatung auf und der Staat zieht sich immer mehr zurück."

Die Kunden der Behörde seien zum Teil dement, sagt Gläser. Für Menschen mit einem Gehwagen bedeute der weitere Weg in die Hamburger City eine Maximalhürde. Isa Bosic fällt dazu spontan eine Frau ein, die Hilfe im Treffpunkt suchte. "Sie sitzt im Rollstuhl und wusste nicht, wie sie zur nächsten Bank kommen solle, um ihr Geld abzuheben. Wie soll sie denn die Behörde in der Konrad-Adenauer-Allee finden?"

100 000 Euro Mietkosten spart die Stadt im Jahr, wenn sie die Wilhelmsburger Behördendienststelle aufgibt. Das Argument lässt Isa Bosic nicht gelten. Wütend funkeln ihre Augen auf. Eine Behörde sei kein Selbstzweck, antwortet sie. "Die Verwaltungsmitarbeiter sollen sich dort aufhalten, wo die Bevölkerung ist, denn für die ist sie ja da." Die Aufgabe der Behördendienststelle bedeute eine massive Verschlechterung der Versorgung. "Für Kunden dieser Behörde", fügt Isa Bosic noch hinzu, "geht es um die Existenz, um alles oder nichts!"

Eine andere Fehlentwicklung sehen die beiden Sozialberater darin, dass kaum mehr freie Mietwohnungen in Wilhelmsburg zu finden seien. Seit eineinhalb Jahren, hat Klaus Gläser beobachtet, gebe es kaum Wohnraum in dem Stadtteil. Der Grund dafür seien umfangreiche Modernisierungsarbeiten der drei großen Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften. Mieter seien in Ersatzwohnungen umgezogen, während die ursprüngliche Wohnung saniert werde.

Der Wohnungsmarkt müsste sich nach den Umbauten also entspannen. Einkommensschwache Einheimische könnten dabei auf der Strecke bleiben, befürchtet Klaus Gläser. Die Frage sei, wie die Mieten in den modernisierten Wohnungen erhöht würden, sagt er. Eine dann neu eingeführte Staffelmiete könnte seiner Meinung nach dazu führen, dass Einheimische sich eine Wohnung in Wilhelmsburg nicht mehr leisten könnten.

Isa Bosic ist aufgefallen, dass zunehmend Private als Vermieter auftreten - etwas, was vorher in Wilhelmsburg nahezu unbekannt war. Privatanbieter verlangten "richtiges Geld", sagt Isa Bosic, die zurzeit selbst in Wilhelmsburg auf Wohnungssuche ist. Für Hartz-IV-Empfänger sei es undenkbar, an diese Wohnungen heranzukommen.

Eine Bevölkerungsgruppe tritt in Wilhelmsburg zunehmend in Erscheinung: Bulgaren. Tagelöhner, die für drei bis vier Euro in der Stunde bei der Container-Entladung eingesetzt würden, sagt Klaus Gläser. Morgens am Stübenplatz sei zu beobachten, wie sie zur Arbeit eingesammelt würden. Die Bulgaren, so heißt es, würden mit zehn oder zwölf Menschen zusammen in einem Zimmer schlafen. Manche übernachten im Auto. Die bulgarische Bevölkerungsgruppe, sagt Klaus Gläser, mache schon die Hälfte der Kundschaft bei der Wilhelmsburger Tafel aus.