Interview mit Professorin Sabine Le Borne, die an der TU Hamburg-Harburg lehrt. Sie spricht über Zahlen, Aktien und hierarchische Matrizen.

Harburg. Elf Jahre lehrte sie an der Tennessee Technological University (TTU) in den USA. Seit 1. September steht Professorin Sabine Le Borne an der Spitze des neuen Lehrstuhls für Numerische Mathematik der TU Hamburg-Harburg. Das Abendblatt sprach mit der 42 Jahre alten Wissenschaftlerin über den Zauber der Zahlen, die Unberechenbarkeit von Aktien und die Bedeutung hierarchischer Matrizen.

Abendblatt: Frau Professorin, haben Sie als Mädchen mit Puppen gespielt?

Sabine Le Borne: Natürlich. Ich erinnere mich noch gut, dass auch ich eine Barbie hatte und ihr irgendwann die schönen, langen Haare abgeschnitten habe.

Wann spürten Sie zum ersten Mal, dass Sie ein Faible für Zahlen haben?

Le Borne: In der Schule. Mathe hat mir immer Spaß gemacht. Das Interesse ist langsam mehr und mehr gewachsen.

Liegt diese Leidenschaft im Blut?

Le Borne: Vielleicht, mein Vater Harald war jedenfalls Mathelehrer an einer Realschule. Und auch mein Bruder Rainer hat wie ich Mathe studiert, arbeitet heute als Mathematiker bei einer Versicherung.

Was ist so prickelnd an Zahlen?

Le Borne: Moment, Mathe ist viel mehr als Zahlen. Mich interessieren vor allem logische Strukturen und Zusammenhänge. Die Zahl selbst ist für mich dabei oft gar nicht entscheidend, sondern der Algorithmus, der zur Lösung einer Problemstellung führt. Der Reiz liegt darin, die Existenz und/oder Eindeutigkeit einer Lösung möglichst elegant zu beweisen und einen Algorithmus zu entwickeln, der die Lösung schnell berechnet.

Warum sind Sie mit Ihrem mathematischen Talent nicht Bankerin geworden? Da hätten sie doch bestimmt weitaus mehr verdienen können.

Le Borne: Das ist mir eigentlich nie in den Sinn gekommen. Beim Mathestudium wurde neben Informatik und Physik ja auch Betriebswirtschaftslehre als Nebenfach angeboten. Doch das Fach BWL hat mich einfach nicht so gepackt. Und Finanzmathematik ist noch mal ganz was anderes, eine eigene Disziplin.

Interessieren Sie sich dennoch für die Prozesse an den Finanzmärkten?

Le Borne: Ja, aber mein Interesse war hier nie mathematischer Natur. Als Ende der 90er-Jahre die Internetblase platzte, habe auch ich Geld verloren, das in Aktien angelegt war. Eine heilsame Lehre, seit 2007 investiere ich in diesem Bereich gar nichts mehr.

Da sind Ihnen weitere Verluste durch die US-Immobilienkrise ja zum Glück erspart geblieben.

Le Borne: Wären sie auch so. Mein Mann hat genau diese Krise vorausgesagt.

Vermutlich ist er Immobilien-Experte.

Le Borne: Nein, er ist Mathematikprofessor. Allerdings mit einem ganz anderen Spezialgebiet, der Signalanalyse.

Hilft Ihr Gefühl für Zahlen auch bei ganz praktischen Dingen, etwa der Addition einer Rechnung im Restaurant, im Supermarkt oder beim Shoppen?

Le Borne: Da reduzieren sie mich doch schon wieder auf Zahlen. So viel kann ich Ihnen aber verraten: Wenn ich beim Einkauf nur 20 Euro in der Tasche habe, dann liegen auf dem Band auch nur so viele Waren, dass es an der Kasse zu keiner peinlichen Situation kommt.

Was muss Otto Normalrechner über ihre Schokoladendisziplin hierarchische Matrizen wissen?

Le Borne: Da geht es im weitesten Sinne um Datenkompression. Die Kapazität von Rechenspeichern wird zwar immer größer, bleibt aber endlich. Das merkt mancher Nutzer spätestens bei guten Computerspielen. Die sind durch aufwendige Grafik und viel Bewegung echte Datenfresser. Je besser diese Daten aber komprimiert sind, desto genauer und schneller können sie verarbeitet werden. Was sich letztlich in Tempo und Flüssigkeit der Simulation auf dem Bildschirm niederschlägt. Da es in den vergangenen Jahren zu einer Daten-Explosion gekommen ist, haben hierarchische Matrizen aber auch große Bedeutung in vielen anderen Anwendungen, um diese Fülle an Daten von vornherein sinnvoll zu ordnen.

Sie arbeiteten mehrere Jahre in den USA. Ein Muss für eine Wissenschaftlerin Ihres Fachgebietes?

Le Borne: Auslandsaufenthalte sind immer von Vorteil, sie weiten den Horizont in vielerlei Hinsicht. Für meine wissenschaftliche Arbeit wäre es aber nicht zwingend notwendig gewesen, weil Deutschland auf dem Gebiet der Mathematik und insbesondere der Numerik weltweit mit an der Spitze steht.

Gibt es dennoch Dinge, die Ihnen jenseits des großen Teiches imponiert haben?

Le Borne: Das Kollegium ist sehr international. Ein Großteil der Wissenschaftler stammt aus dem Ausland. Man versteht es einfach meisterhaft, die Besten ihres Fachs an US-Unis zu locken.

In Ihrer beruflichen Vita finden sich namhafte Stationen wie Tennessee, das Max-Planck-Institut Leipzig oder die National Science Foundation in Washington. Warum sind Sie dem Ruf an die TU Harburg gefolgt?

Le Borne: Ich habe sehr gern in den USA gelebt und gearbeitet. Ich bin aber auch sehr heimatverbunden und wollte deshalb als gebürtige Lübeckerin zurück nach Norddeutschland. Dass in Harburg mit dem neuen Studiengang Technomathematik ein neues Institut entsteht, macht die Aufgabe umso reizvoller. An einer technisch geprägten Uni sehe ich zudem sehr gute Anknüpfungspunkte zu meiner Forschungsarbeit.

Womit müssen Ihre Studenten im Umgang mit Ihnen in jedem Fall rechnen?

Le Borne: In den Vereinigten Staaten ist das Feedback über Evaluationen sehr ausgeprägt. Dabei kam immer wieder heraus, dass ich zwar sehr anspruchsvoll sei, aber auch berechenbar. Mit anderen Worten: Die Studenten wissen, was sie können müssen, um durchzukommen. Viel entscheidender ist doch aber, dass sie am Ende auch was gelernt haben.