Junge Leute sehen, dass die rechte Szene Zulauf bekommt. Sie wehren sich gegen Neonazis und fordern die Politik zum Handeln auf.

Tostedt. Bereits mit 13 Jahren werden sie "rekrutiert". Sie prahlen mit Schlagstöcken, die sie aufgrund ihres Alters eigentlich noch gar nicht besitzen dürften. Regelmäßig verteilen sie Aufkleber im Ort, auf denen nationalistische, antisemitische oder ausländerfeindliche Hetzsprüche zu lesen sind. Die rechtsradikale Szene in der Samtgemeinde Tostedt wächst langsam, aber stetig an. Besonders die Jugendlichen werden von der rechten Gruppierung angezogen - egal ob Gymnasiasten, Real- oder Hauptschüler.

"Hier im Ort kennt man sich", sagt Timo Versemann und schüttelt nachdenklich den Kopf. "Und immer mehr junge Leute treiben sich in den rechten Kreisen herum." Und der Abiturient steht mit seinen Beobachtungen nicht alleine da. Freunde und Mitschüler des 18-Jährigen stellen ebenfalls fest, dass "hier im Ort etwas ganz gewaltig nicht stimmt." Gemeinsam mit anderen Jugendlichen schloss sich Versemann deshalb zu einer Initiative zusammen, um auf die Missstände im Ort aufmerksam zu machen. In einem offenen Brief an den Jugendausschuss der Gemeinde teilten sie vor einigen Tagen den Kommunalpolitikern ihren Unmut mit und fordern nun ein politisches Vorgehen gegen das Rechtsextremismusproblem. Mehr als 400 junge Menschen unterzeichneten den Brief - ein deutliches Zeichen findet die Initiative. "Es ist schon komisch, dass wir die Erwachsenen auf das Problem aufmerksam machen müssen. Denn eigentlich ist das ganze ziemlich offensichtlich", meint Jan Hendrik Saxe, der gemeinsam mit Timo Versemann den Text des offenen Briefes verfasst hat. "Wahrscheinlich ist es denen nicht so bewusst, weil sie eben die versteckten nationalsozialistischen Symbole nicht kennen und die Rechten nicht in Aktion mitbekommen."

"In Aktion" bedeutet, dass die besagten Jugendlichen regelmäßig bei Partys und Tanzveranstaltungen in Schlägereien verwickelt sind. Sie mischen sich unter die jungen Leute, zeigen jedoch deutlich ihre aggressive, rechtsgerichtete politische Einstellung. "Es gibt leider immer wieder einige, die zwar nicht zur Szene gehören, aber die Rechten immer noch akzeptieren. Damit bieten sie denen ein Forum", sagen die Schüler. "Und dann, wenn die falschen Freunde erst einmal in einer Gruppe involviert sind, können sie ganz schnell wieder neue für ihre extremen politischen Ansichten gewinnen."

Dreh- und Angelpunkt der gesamten rechtsextremistischen Organisation ist nach Meinung der Schüler der Laden "Streetwear Tostedt" in der Niedersachsenstraße 1, der sich selbst als "Norddeutschlands größter Szeneladen" bezeichnet. T-Shirts mit der Aufschrift "Ich habe Bock auf Nazis" lassen erahnen, welche politische Einstellung Inhaber Stefan Silar seinen Kunden präsentieren will. Die Jugendlichen werden dort jedoch nicht nur mit einschlägiger Kleidung ausgestattet. Die Schüler befürchten auch, dass diese in dem kleinen Geschäft, das sich zu einem Art Szenetreffpunkt entwickelt hat, mit dem rechtsradikalen Gedankengut vertraut gemacht werden. "Eine Lehrerin hat uns berichtet, dass diese Leute zum Beispiel in Geschichtsklausuren beim Thema Nationalsozialismus entsprechendes Vokabular benutzen, das sie als Rechtsextrem entlarvt", so Timo Versemann. "Konzentrationslager werden da zum Beispiel zu ,Sammellagern'. Also, die wissen schon, wovon sie sprechen. Aber das finde ich noch wesentlich erschreckender, als wären sie nur Mitläufer."

Bedroht fühlen sich die engagierten Jugendlichen jedoch von ihren rechtsextremen Altersgenossen nicht. "Wenn sie jemanden von uns angreifen würden, dann hätten wir etwas gegen sie in der Hand", sagt Timo Versemann. "Wir wollen auf kooperativem Weg etwas erreichen, denn unser Tostedt soll nicht als rechtes Kaff verschrien werden."

Jetzt wartet die Initiative auf eine Reaktion der Politik. Und diese soll nicht nur etwas gegen die derzeitigen Entwicklungen tun - sondern auch für Orte sorgen, an denen sich junge Menschen positiv mit der Demokratie auseinandersetzten können. "Wir lernen in unserer Kirchengemeinde bereits politische Strukturen kennen", sagt Jan Hendrik Saxe. "Aber viele Jugendliche, die mit sozialen Problemen konfrontiert werden, fühlen sich in diesen dubiosen Gruppen stark. Dagegen muss etwas getan werden."