Über einen Monat nach dem Brandanschlag vom 16. November haben 150 Gläubige in der Kirchenruine von Over Heilgabend gefeiert.

Over. "Ein wenig riecht es ja nach Rauch", sagt eine Frau. Ja, es habe etwas Experimentelles, antwortet der Mann neben ihr. Ein seltsamer Dialog an einem ungewöhnlichen Ort: In der ausgebrannten Kirchenruine im Elbdorf Over feiern an Heiligabend mehr als 150 Leute den ersten Gottesdienst seit den beiden Brandanschlägen auf das Gotteshaus in diesem Jahr.

Es ist Heiligabend, 15 Uhr. Der wohl ungewöhnlichste Gottesdienst Deutschlands 2009 beginnt. Kaum ein Quadratzentimeter freier Platz ist in der evangelischen Kirche. Frauen und Männer, Jungen und Mädchen sitzen auf Klappbänken - oder stehen, wo nur irgendwo ein Platz für sie ist. Ein 40-Kilowatt-Generator der örtlichen Feuerwehr hat die Kapelle zuvor nur notdürftig geheizt. "Es ist kühl", begrüßt Pastor Peter Schwarz seine Gemeinde. "Aber wer hätte vor einem Monat gedacht, dass wir hier die 24. Tür öffnen werden." Zuletzt war das Kirchenhaus in Over am 16. November von einem noch nicht gefassten Brandstifter angezündet worden.

Eine Folie ist über die verkohlten Dachbalken gespannt und schützt die Menschen vor Nässe. Die Plane hat einen wundervollen Effekt: Sie lässt den grauen, trüben Himmel an diesem Tag in einem herrlichen Blau schimmern. Altarraum und Kanzel hat das Feuer zerstört. Das Dach über dem Kopf fehlt, und es zieht - etwa so wie vor mehr als 2000 Jahren: "Es ist wahrscheinlich die Kapelle", sagt Pastor Schwarz, "die dem Stall in Bethlehem am ähnlichsten sieht."

In seiner Predigt mahnt Pastor Peter Schwarz einen Stimmungswechsel in den Herzen und Köpfen seiner Gemeinden an: Es sei Zeit, von der anfänglichen "Jetzt-erst-recht"-Haltung abzukehren. Denn das hieße, sich von der finsteren Botschaft des Brandstifters abhängig zu machen. Das Werk der Zerstörung habe auch Zusammenwachsen und Zusammenhalt gebracht, sagt er. "Das ist die Botschaft, die uns frei macht von Jetzt-erst-recht."

Viele Kinder sind an diesem Heiligabend in der ausgebrannten Kapelle. Die Kälte kriecht langsam in die Körper der Gottesdienst-Teilnehmer. Nach 45 Minuten sind die Füße kalt. Ein Satz, der wohl in keiner Kirche Deutschlands an diesem Abend so gesagt worden sein dürfte, fällt am Ende des Gottesdienstes: "Ist es noch warm genug, dass wir noch ein Lied singen?", fragt Pastor Schwarz und lächelt. Ja, die Gemeinde will

Am Ende erhält jeder Besucher sogar noch ein kleines Feuer: Die Kinder, die am Krippenspiel mitgewirkt haben, schenken jedem am Ausgang eine brennende Wunderkerze.