Pferde als Miterzieher: In Neuenfelde lernen Kinder im Umgang mit Tieren Rücksicht zu nehmen. Trainiert wird auch der Gleichgewichtssinn.

Neuenfelde. Er ist etwa einen halben Meter groß und behaart. Er hat schlechten Atem, aber magische Augen. Manchmal kommt er auf leisen Pfoten, dann ist er wieder wie ein Wirbelwind. Merlin heißt er - wie der Zauberer. Er ist Therapiehund im DRK-Kinderzentrum Neuenfelde und ein bisschen zaubern kann er tatsächlich.

Der vierjährige Australian Shepherd ist als Miterzieher tätig. Und in seinem Job bewirkt er wahre Wunder, auch ohne zusammen mit Frauchen einen speziellen Kurs belegt zu haben. "Er hat zwar keine Ausbildung absolviert, aber wir alle hier verstehen uns auch so mit ihm", erzählt Sabine Suhr, 56, Leiterin des Kinderzentrums und Merlins Frauchen. Mit "verstehen" meint die Sozialpädagogin auch das Einfühlungsvermögen, das die Kinder einem Lebewesen gegenüber entwickeln. "Sie lernen, Rücksicht zu nehmen", so die Leiterin, dies sei mit das Wichtigste. Mit Merlin können die Kinder Spaziergänge machen oder im großzügigen Außengelände spielen.

Sie vertrauen ihm aber auch Sorgen und Geheimnisse an. Dann tröstet er, und die Probleme sind schnell vergessen. Immer wieder kommen Kinder ins Büro der Leiterin. "Dürfen wir mit Merlin spielen?", "Können wir ihm ein Leckerli geben?", heißt es dann. Am Ende einer langen Kita-Woche scheint das selbst für den quirligen Merlin zu viel zu sein. Müde liegt er auf dem grasgrünen Teppich im Büro seines Frauchens. Für ein "Leckerli" steht er schon noch einmal auf, aber eigentlich ist das Berufsfellknäuel schon im Wochenende. Von rund 80 Kindern tagein, tagaus, mit Spielen und Spazierengehen beschäftigt zu werden, macht den stärksten Wirbelwind zum müden Hund. Ein Glück, dass er nicht der einzige vierbeinige "Miterzieher" im Kinderzentrum Neuenfelde ist.

Seit fast 30 Jahren können Kinder und Jugendliche dort ihren Alltag mit Tieren erleben. Die Vierbeiner spielen hier eine wichtige Rolle. Hunde wie Merlin, aber auch Ponys und Katzen werden als pädagogische Unterstützung eingesetzt. Die Hunde und Katzen gehören meist den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Die Ponys werden wechselseitig vom Hausmeister, der Kita-Leitung und einer Mitarbeiterin gepflegt. Aber auch die Kinder übernehmen schon Pflichten. "Pferdeäpfel sammeln sie am liebsten. Das ist ihr Größtes!", so Sabine Suhr.

Merlin muss also nicht allein tätig werden, sondern erfährt Unterstützung von seinen vierbeinigen Pony-Kollegen Sascha, Gismo und Marsia. Immer wieder sieht man Kinder an Pferdestall und Koppel die Tiere streicheln und mit ihnen reden. Einmal pro Woche wird die 21-jährige Marsia zur Hippotherapie, dem therapeutischen Reiten, eingesetzt. Kinder mit Behinderung dürfen dann auf dem Rücken der Ponystute ein ganz neues Körpergefühl erfahren. Im Schritttempo werden ihre Haltung und der Gleichgewichtssinn trainiert, aber auch Selbstwahrnehmung- und Bewusststein geschult.

Die Arbeit mit einem Therapie-Tier ist aber nicht immer so harmonisch und erfolgreich: In der Kita seien seit einiger Zeit gefährliche Tiere, zu denen auch Hunde gehören, behördlich untersagt. Merlins Hauptaufenthaltsraum ist deshalb auch das Büro von Sabine Suhr geworden. Zudem hätten manche Kinder zunächst Angst vor Hunden. Damit sie dennoch von der Wirkung eines Tieres profitieren können, gibt es seit zwei Jahren eine Katze. Myrte wird geknuddelt, wo Merlin zu groß erscheint. Nicht zuletzt hätten einige Eltern zunächst eine Abneigung gegen den Einsatz von Tieren in der Kinderbetreuung. Überzeugungsarbeit werde dann durch "reden, reden, reden" geleistet. "Dennoch sind viele Eltern, die kein Tier halten können, extra in unserer Nähe gezogen", berichtet Suhr. Das gibt dem Konzept "Tiere als Miterzieher" Recht. Wäre auch schade, wenn der "therapeutische Streichelzoo" abgeschafft werden müsste. Denn Therapiehund Merlin ist mittlerweile ein unverzichtbarer Part im Kinderzentrum: Ab und an übernimmt er sogar Führungsentscheidungen. "Neulich haben wir eine Köchin gesucht", berichtet Suhr mit einem Augenzwinkern, "und da hat Merlin uns durch sein Verhalten gezeigt, wer die Richtige für den Job ist."