Eine Initiative zum Erhalt der geschlossenen Kultgaststätte Silbersack hat fast 900 Mitglieder. Bezirksamtsleiter Andy Grote unterstützt die Aktion.

St. Pauli. Im Fenster hängen noch die ausgeblichenen Preistafeln mit der Astra-Knolle für 1,90 Euro und dem Hinweis, dass die Kellner sofort kassieren sollen. Die Eingangstür ist verschlossen. Doch vier Tage nach dem Ende der legendären Kneipe Zum Silbersack auf St. Pauli lebt eine Gemeinde der besonderen Art auf: Per Facebook haben sich Sympathisanten und Stammgäste aus Deutschland und aus dem Ausland in der Initiative zum Erhalt des Silbersacks zusammengeschlossen: von Punker bis zum Anzugträger. In kürzester Zeit schnellte die Mitgliederzahl auf fast 900. Neben Liebeserklärungen und Treueschwüren diskutieren die Mitglieder Ideen zur Rettung.

Im Mai war die Erna Thomsen, die Wirtin, Inhaberin und Erbauerin der Gaststätte, im Alter von 88 Jahren gestorben . Weil sie die Gaststätten-Konzession besaß, erlosch mit ihrem Tod die Möglichkeit, die Kneipe zu betreiben. Die Erbengemeinschaft will den Silbersack nicht wieder öffnen und das Grundstück verkaufen, hieß es aus dem Bezirk Mitte. Die Erben waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Das Geheimnis des Silbersacks lag in seiner unzerstörbaren Bodenständigkeit und der Tradition: Denn Raum und Gebäude waren seit den 70er-Jahren unverändert. Und Erna Thomsen stand seit Anbeginn hinter dem Tresen. Facebook-Mitglied Jens-Peter Hillers formierte einen Protest, der für St. Pauli neu ist. Denn dort fielen Proteste bislang - wie in der Hafenstraße, bei den Esso-Häusern oder im Bernhard-Nocht-Quartier (BNQ) - heftiger aus.

Der Facebook-Protest ist leise und lösungsorientiert. Selbst überrascht vom Erfolg ihrer Facebook-Gruppe, schlagen die Mitglieder die Gründung eines Vereins, einer Genossenschaft und eine Spendenaktion vor. "Ich wüsste nicht, wann sich so viele und so unterschiedliche Menschen aus so verschiedenen Bereichen zum Protest zusammengeschlossen haben", sagt Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD), selber ein großer Fan vom Silbersack und Verehrer der Kultwirtin Erna.

Grote weiter zum Hamburger Abendblatt: "Mich freut die Initiative sehr, und ich unterstütze sie ausdrücklich." Die breite Unterstützung, die sich jenseits der routinemäßigen Widerstandsstrukturen formiere, sei beeindruckend. "Die Initiative zeigt, dass es beim Silbersack nicht einfach um den Erhalt einer Kneipe, sondern um ein Stück Identität und emotionale Heimat geht, um einen völlig einzigartigen Ort, ohne den sich viele St. Pauli gar nicht vorstellen können."

+++ Hunderte nehmen Abschied von "Silbersack"-Wirtin +++

Jens-Peter Hillers sagt: "Weil das Nachbargrundstück dazugehört, könnte man den Silbersack stehen lassen und überbauen. Das kann für einen Investor lukrativ sein, weil ein Neubau fünf Stockwerke haben kann", sagt er und betont: "Wir wollen die Erbengemeinschaft aber nicht bedrängen." Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Hansjörg Schmidt schlägt eine Bauherrengemeinschaft von St. Paulianern vor. "Wichtig ist, dass die aus dem Quartier kommen", sagt er.

Das stressfreie Feiern im (rotlichtfreien) Silbersack war für viele St.-Pauli-Besucher einer der wichtigsten Pluspunkte. Eine treffende Beschreibung liefert Bea Wagner auf Facebook: "Der Silbersack ist eine Institution auf dem Kiez, ein ehrlicher Laden, eine Begegnungsstätte der besonderen Art. Alle Gesellschaftsschichten, alle Nationalitäten und alle Altersgruppen haben dort zusammen friedlich gefeiert." Die Gäste seien einfache, offene Menschen, die sich selbst treu geblieben seien.

Bea Wagner: "Für mich ist der Silbersack mit unendlich vielen schönen Erinnerungen und Momenten verbunden. In einer Zeit, in der sich das Tempo stetig erhöht, sind solche Oasen für unser aller Herzen ein Stück Heimat. Unser aller zweites Wohnzimmer bleibt!"

Das "Wohnzimmer" war nicht nur bei Kneipengängern beliebt, auch Prominente und Politiker kamen gern in die Silbersackstraße Nummer 9. Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Ole von Beust sprach sogar von "meiner Lieblingskneipe". Unter den frühen Gästen waren Hans Albers, Hilde Knef, Heinz Rühmann und Curd Jürgens. Später kamen Heiner Lauterbach, Ulrich Tukur und Jan Fedder.

Heute postet auch die Politik auf Facebook. So Andy Grote (SPD): "Im Moment müssen wir davon ausgehen, dass die Familie, die den Silbersack nicht weiterbetreiben will, das Grundstück verkaufen wird. Es kommt also darauf an, wer kauft, zu welchen Bedingungen und mit welcher Absicht. Der zukünftige Eigentümer kann sich entscheiden, den Silbersack mit neuem Betreiber zu erhalten. Das wird umso wahrscheinlicher, je stärker auf allen Ebenen der Widerstand gegen einen möglichen Abriss ist!