Es ist ein Milliardenmarkt mit 52.000 Arbeitsplätzen. Doch den Angelsee-Betreibern fehlen die Kunden. Manfred Gericke in Kirchwerder gibt auf.

Hamburg. Gänse ziehen über dem Hower See ihre Bahnen, Mücken fliegen über dem flachen Uferwasser, Heidschnucken fressen das Gras der Wiese ab. Idyllisch geht es am Angelsee in Kirchwerder zu. Die Hauptdarsteller verstecken sich in dem bis zu 23 Meter tiefen Baggersee. Von A wie Aale bis Z wie Zander reicht das Sortiment, das aus elf Arten besteht. „Mehr als zwei Meter lange Welse schwimmen da drin“, sagt Manfred Gericke, der Betreiber des Gewässers in den Vier- und Marschlanden. Eigentlich finden Angler am See des 65-Jährigen ideale Bedingungen vor, doch immer weniger Kunden finden den Weg zu ihm. „Das Tagesgeschäft wird immer weniger“, sagt Gericke. In diesen Wochen läuft das Geschäft nun langsam aus. Der Betreiber des einzigen und letzten Angelsees in Hamburg hört auf.

Mit einer Fuhre Kies fängt für Gericke vor 26 Jahren alles an. „Ich habe hier noch eine Ladung Sand abgeholt“, sagt der Gas- und Wasserinstallateurmeister, der am Ufer auf einer Holzbank sitzt und auf den 8,5 Hektar großen See zeigt. Mitte der 1980er-Jahre wurde auf dem Areal Erde abgetragen und für den Bau der nahe gelegenen Autobahn verwendet. Später wird das Gelände geflutet. Der Hobbyangler – schon als kleiner Junge warf Gericke die Rute aus – spricht mit den Eigentümern und erhält den Zuschlag als Betreiber. Der Baggersee habe zwei entscheidende Vorteile für die Fische: Erstens gelte der hohe Kalkgehalt als ideal. Zweitens ist es selbst in diesem Hochsommer mit Lufttemperaturen deutlich über der 30-Grad-Marke am Grund mit neun Grad Celsius kühl, während am Ufer bis zu 26 Grad gemessen wurden. Die Fische haben dann in der Tiefe ausreichend Sauerstoff fürs Überleben – und zur Fortpflanzung. „Wir haben sehr viel Eigenbrut im Gewässer“, sagt Gericke.

In den Folgejahren baut er die Hower Fischzucht auf, Karpfen und Schleie hält er auch in Becken in Eyendorf im Landkreis Harburg. „Der Fischverkauf lief sehr gut“, sagt Gericke – bis zu Verschärfung der Naturschutzbestimmungen vor fünf bis sechs Jahren. Hinweisschilder auf den Angelsee habe er deswegen abnehmen, den Verkauf von geräuchertem Fisch einstellen, das Schlachthaus und eine Hütte schließen müssen, in der die Kontrolleure Schutz vor Regen oder Sonne hatten. „Wir mussten auch Teiche zuschütten. Wenn sie Fische züchten wollen, dann müssen sie die füttern. Aber das dürfen wir wegen des Naturschutzes nicht“, sagt Gericke. Auch für das Ausnüchterungsbecken kam das Aus: Bevor Fische verkauft werden, erhalten sie vier bis sechs Wochen lang kein Futter, damit das Fleisch fester wird. Die Weiden und Erlen am Ufer durfte er nicht mehr beschneiden. Wildwuchs und mehr Laub waren die Folge. Die Zahl der Gänse sei im Sommer stetig angestiegen, mehrere Hundert kämen von den Nachbarfeldern rüber und würden das Wasser mit Federn und Kot verdrecken. „Teilweise war der See grau. Natur- und Umweltschutz ist völlig in Ordnung, aber wir müssen auch mal regulierend eingreifen dürfen“, sagt Gericke.

Aber nicht nur härtere Regeln im Naturschutz erschweren den Betrieb des Angelsees. „Die Interessen der Leute gehen woanders hin“, sagt Gericke. Hätten früher acht bis zehn Leute pro Tag ihre Angel in den Hower See gehalten, seien es heute nur noch vier im Schnitt. 15 Euro müssen sie für die erste Rute zahlen, jede weitere kostet fünf Euro Aufschlag. Karpfenangler zahlen für das 24-Stunden-Vergnügen 40 Euro. Von Mai bis September darf von 6 bis 18 Uhr gefischt werden, in den anderen Monaten öffnet der Angelsee eine Stunde später und schließt eine Stunde früher. Die meisten Karten würden mittlerweile online gekauft. „Ich gehe zwei- bis dreimal pro Tag an den See und kassiere bei den Kunden ab“, sagt Gericke. Hohe Einnahmen gibt es aber nicht. Auf der anderen Seite seien auch die Kosten relativ gering. Eine vierstellige Summe bezahle er pro Jahr an Pacht. Für den Nachbesatz habe er etwa 2000 bis 3000 Euro pro Jahr ausgegeben. Dennoch sei ein großer Profit mit einem Angelsee nicht zu erzielen, seine Brötchen habe er während der 26 Jahre als selbstständiger oder angestellter Handwerker verdient. „Sie haben hier ein Taschengeld übrig, aber große Sprünge können sie nicht machen.“

Angelfischerei hat einen ökonomischen Nutzen von gut sechs Milliarden Euro

Während Gericke auf das Einsetzen von Forellen – wie es in den sogenannten Put-and-take-Seen üblich ist – seit einigen Jahren verzichtet, geschieht das am Teufelssee direkt hinter der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein noch jeden Tag. Seit 1978 gehört Jan-Willem Jurgens das Gewässer in Bönningstedt, das ebenfalls durch den Bau der Autobahn entstand. Zwei bis drei Mitarbeiter würden für ihn dort in Teilzeit nach dem Rechten sehen. Der Teufel ist am Teufelssee nahe Schnelsen aber nur selten los. „Die Einnahmen sind in den vergangenen zehn Jahren um 40 bis 50 Prozent gesunken“, sagt Jurgens. Vor allem Rentner und Arbeitslose seien Kunden bei ihm, sie hätten aber immer weniger Geld übrig. Er habe auch schon überlegt, das Geschäft einzustellen. Schließlich fielen neben den Personalkosten für das Austauschen und die Reparatur von Netzen 700 bis 800 Euro pro Saison an, das Boot müsse unterhalten werden. Von Dezember bis Mitte März sind Betriebsferien. „Eisangeln lohnt sich nicht“, sagt Jurgens. Aber auch der heiße Sommer in diesem Jahr war nicht perfekt. „18 Grad Celsius, leicht bewölkt, kurz vor oder nach dem Regen sind ideale Bedingungen zum Angeln, denn durch den Regen kommt Sauerstoff ins Wasser“, sagt Jurgens.

Die Jahreszeiten führen zu starken Schwankungen im Geschäft von Georg Heinz. Der kalte Frühling drückte dieses Jahr auf die Umsätze. Seit 1982 führt Heinz das Sportfischercenter Langenhorn, in dem er von Ruten über Rollen und Kunstködern bis zur Bekleidung alles anbietet, was Angler brauchen. Zwar gibt es bei der Handelskammer keine Zahlen über Einzelhändler in dem Bereich, aber Heinz sagt: „Es geben viele Geschäfte auf.“ In der Stadt habe er noch vier bis fünf ernsthafte Konkurrenten. „Vor zehn Jahren waren es mindestens doppelt so viele.“ Auch Heinz hatte vor drei bis vier Jahren deutliche Einbußen und merkte, dass er was tun muss. Zwar liegt die Zahl der Mitglieder im Deutschen Angelfischerverband, der sich im März dieses Jahres 23 Jahre nach der Wiedervereinigung und viel Streit aus dem Deutschen Anglerverband (Ost) und dem Verband Deutscher Sportfischer (West) gegründet hat, relativ konstant bei 800.000. Doch viele Kunden wanderten ins Internet ab. Heinz reagierte und baute seinen Onlineshop auf. „Seitdem geht es wieder aufwärts. Ich bin sehr zufrieden.“

Wie viel Geld Angler heutzutage für ihr Hobby ausgeben, ist schwer zu sagen. Der Berliner Forscher Robert Arlinghaus führte 2004 für seine Doktorarbeit 474 Interviews mit Anglern durch. Demnach gab 2002 direkt im Fachgeschäft jeder Angler im Schnitt etwa 920 Euro aus. Den gesamten ökonomischen Nutzen der Angelfischerei bezifferte der Autor auf mehr als 6,4 Milliarden Euro pro Jahr. „Es gibt zwar keine aktuellere Studie, es ist aber davon auszugehen, dass die Werte zur wirtschaftlichen Bedeutung der Angelei stabil sind“, sagt Arlinghaus, der mittlerweile als Professor am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin tätig ist. „Die inländische Angelaktivität ist durch Vereinfachungen bei den Fischereischeinen in einigen Bundesländern wahrscheinlich sogar gestiegen.“ Etwa 52.000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt vom Angeln ab. In der gewerblichen Seen- und Flussfischerei erlösten 2006 etwa 750 Unternehmen elf Millionen Euro. In Europa stellen die 25 bis 30 Millionen Angler einen Wirtschaftsfaktor von rund 25 Milliarden Euro dar.

Der Hower Fliegenfischerclub kümmert sich nun um den Angelsee

Für großen Ärger sorgten am Hower See in der Vergangenheit immer wieder Diebe, die nachts kamen, viele Fische raubten – und Gericke den Schlaf. Freunde und Bekannte bekamen die Raubzüge mit und informierten ihn. „Die Achtung vor dem Eigentum wird generell weniger“, sagt Gericke. Das ist in Zukunft nicht mehr primär seine Sorge. Die Anlage, die offiziell seine Frau gepachtet hat, soll nun nebenbei weiterlaufen, betrieben vom Hower Fliegenfischerclub. Deren rund 120 Mitglieder müssten dann nach Müll schauen und „sich ein bisschen kümmern“. Ein Nachbesatz finde aber nicht mehr statt. Auch Gericke will ab und an an das Gewässer kommen, aber nicht zum Angeln. Für den Fang hätte er auch keine Verwendung: „Mitarbeiter isst man nicht“, lautet sein Motto, an das er sich weiterhin halten will. Ein Produkt von dort ist allerdings fest in der Küche eingeplant: „Wenn das Wasser klar ist im Winter, können Sie das gut für Ihren Whiskey nehmen.“