Uni Hamburg verzeichnet Bewerberrekord. Städteforscher drängen Senat, Bauprogramm auszuweiten. “Kampf um beste Köpfe“.

Hamburg. Renommierte Städteforscher haben Hamburg angesichts der guten Zuwanderungszahlen und der positiven Wirtschaftsentwicklung vor Selbstzufriedenheit und Stagnation gewarnt. Wenn in der Stadtplanung jetzt nicht die richtigen Weichen gestellt würden, drohe die Stadt wieder zu schrumpfen, erklärten der Stadtökonom Dieter Läpple und der Stadtforscher Jörg Knieling im Gespräch mit dem Abendblatt. Die Experten sehen Hamburg trotz der jüngst erreichten Marke von 1,8 Millionen Einwohnern an einem Scheidepunkt. Der vom SPD-Senat beschlossene Bau von jährlich rund 6000 Wohnungen reiche nicht aus, ergänzte der Stadtgeograf von der Universität Hamburg, Thomas Pohl. Stattdessen müssten bis zu 10.000 Wohnungen gebaut werden.

Das Statistische Landesamt Nord hatte vor wenigen Tagen bekannt gegeben, dass in Hamburg wieder mehr als 1,8 Millionen Menschen leben. Im vergangenen Jahr hatte die Zahl der Einwohner um 12.000 zugelegt. Zuletzt lebten im Jahr 1969 mehr als 1,8 Millionen Menschen in der Hansestadt. Die meisten Einwohner zählten die Statistiker im Jahr 1964. Damals zählte Hamburg 1 857 431 Einwohner.

Derzeit ist die Stadt vor allem bei jungen Menschen begehrt. Für das kommende Wintersemester gebe es fast 55.000 Bewerber für das Studium an der Universität, teilte die Hochschule am Freitag mit. Das sind rund 1000 Bewerbungen mehr als 2011. Zur Verfügung stünden jedoch nur 5146 Plätze. Hinzu kommen 2685 Masterplätze.

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"Wachstum ist kein Selbstgänger", sagt Dieter Läpple. Das Bevölkerungswachstum in Hamburg werde im Wesentlichen durch die Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen getragen. Hamburg habe in den vergangenen Jahren von dem Zuzug gut qualifizierter junger Menschen, vor allem aus Ostdeutschland, profitiert. Die Zahlen der Statistiker bestätigen die These von Läpple. Danach beträgt der "Zuzugüberschuss" bei den 18- bis 25-Jährigen seit 2006 rund 57.000 Personen. Bei den 25- bis 30-Jährigen liegt der Überschuss bei rund 30 000. Das bedeutet, dass die Zahl der 18- bis 30-Jährigen in Hamburg in den vergangenen fünfeinhalb Jahren um fast 90.000 gestiegen ist.

"Dieses Potenzial ist erschöpft", sagt Läpple. Um es wieder zu aktivieren, müsse Hamburg massiv in seine Universitäten investieren - und nicht wie in der Vergangenheit dort nur sparen. Weil aufgrund der demografischen Entwicklung Deutschland zwangsläufig weniger, dafür aber mehr ältere Einwohner haben werde, werde es im Konkurrenzkampf der Metropolregionen einen "Kampf um die besten Köpfe geben", sagt Läpple. Unternehmen würden dort gegründet, wo Hochschulabsolventen nach ihrer Ausbildung bleiben wollten. "Zukunftsunternehmen wiederum gehen dorthin, wo sich die jungen, gut ausgebildeten Akademiker niederlassen und Familien gründen." Bereits jetzt sei Hamburg in diesem Punkt ins Hintertreffen geraten, sagt Läpple. So besäßen in der Hansestadt 13,7 Prozent der 905.000 Beschäftigten einen Hochschulabschluss. In München oder Stuttgart lägen die Zahlen bei 22 Prozent, in Dresden bei 21 Prozent. Hinzu kommt, dass Hamburg im Metropolenvergleich auch in anderen Punkten ins Hintertreffen geraten ist. So sei die Zahl der Einwohner der Hansestadt seit 2006 zwar um rund 50.000 gestiegen. München und Berlin haben in dieser Zeit jedoch jeweils um rund 100.000 Einwohner zugelegt.

Ein wesentliches Kriterium für Jungakademiker zur Wohnortwahl dürfte auch der Wohnungsmarkt sein. Daher fordert der Stadtforscher Jörg Knieling von der HafenCity-Uni, die Stadt müsse mehr bezahlbaren Wohnraum anbieten. "Der Druck auf den Markt erhöht das Preisniveau und kann dazu führen, dass Hamburg an seinem bisherigen Erfolg erstickt."

Nach den Worten von Prof. Knieling kann das Fehlen von bezahlbarem Wohnraum schnell zu einem "ernsthaften Entwicklungshemmnis werden". Der SPD-Senat hat das Problem erkannt und versucht, dem Mangel abzuhelfen. Dazu wurde mit der Wohnungswirtschaft zu Beginn dieses Jahres das "Bündnis für das Wohnen" geschlossen. Darin werden die Bezirke, Unternehmen und Genossenschaften verpflichtet, jährlich 6000 neue Wohnungen zu errichten. Ein Drittel davon sollen Sozialwohnungen sein. Der Mieterverein Hamburg schätzt, dass in der Hansestadt zwischen 30.000 und 40.000 Wohnungen fehlen. Insgesamt gibt es in der Hansestadt rund 890 000 Wohnungen. Etwa 260 000 davon werden von dem städtischen Unternehmen Saga GWG und den Wohnungsgenossenschaften angeboten.

Dass der Mangel von bezahlbarem Wohnraum ein wachsendes Problem für Hamburg werden könne, befürchtet auch der Stadtgeograf von der Universität Hamburg, Thomas Pohl. Schon jetzt seien die Mieten extrem gestiegen, sagt Pohl, der im Auftrag der Stadt einen umfangreichen Pilotbericht zur Stadtteilentwicklung miterarbeitet hat. Bei kleinen Altbauwohnungen, ein häufig bei Jüngeren nachgefragtes Segment, habe es allein seit 1990 Steigerungen um bis zu 50 Prozent gegeben.

Das Ziel des Senats, jährlich 6000 neuen Wohnungen zu errichten, reiche daher nicht aus, sagt Pohl. Allein schon deshalb, weil ein Teil der Wohnungen durch Umbau oder Abriss jedes Jahr vom Markt verschwinden würden und immer weniger Menschen immer mehr Quadratmeter Wohnraum beanspruchten. Die Belegungsquote in Hamburg sei von 2,57 Menschen, die statistisch betrachtet im Jahr 1970 in einer Wohnungen lebten, auf derzeit etwa 1,6 gesunken. Aus Sicht von Pohl würden gut 6000 neue Wohnungen pro Jahr selbst dann kaum reichen, wenn die Einwohnerzahl nicht weiter wachsen sollte.

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