Im Tierpark ist der ehemalige Chef Claus Hagenbeck, 70, zurückgekehrt. Um Unklarheiten persönlich aufzuklären, wie er sagt.

Lokstedt. Erst ein Knacken, dann ein Knirschen, schließlich ein Riss. Er zieht sich wie ein Spinnennetz über die Spezial-Glasscheibe auf der Großbaustelle in Stellingen. Hinter dieser Scheibe sollen die Besucher des Tierparks Hagenbeck bald die Eisbären in ihrem neuen Zuhause bestaunen. Sie werden noch etwas warten müssen - das Eismeer, die 20,5 Millionen Euro teure neue Attraktion, wird wohl erst im Mai eröffnet. "Die Scheibe muss erst ausgewechselt werden", sagte Stephan Hering-Hagenbeck gestern dem Abendblatt. Einen Eröffnungstermin wolle er erst nennen, "wenn wir ihn auch halten können".

Es ist nicht der einzige Riss, der Stephan Hering-Hagenbeck Sorgen bereiten wird. Viel schwerwiegender ist der Riss durch die Familie. Was bisher nur Insider wussten, ist seit Anfang der Woche publik: Die beiden Familienzweige, die auf die Söhne des Hagenbeck-Gründers zurückgehen, sind offenbar heillos zerstritten.

Auf der einen Seite steht Joachim Weinlig-Hagenbeck, der als Geschäftsführer fürs Kaufmännische zuständig ist; auf der anderen Stephan Hering-Hagenbeck (der sich vor allem um die Tiere, weniger um die Bilanzen kümmerte) und sein Schwiegervater Claus Hagenbeck. Der 70-Jährige ist offensichtlich so sehr um die Zukunft und den Ruf des Traditionsunternehmens besorgt, dass er am Montag spektakulär aus dem Ruhestand an die Spitze zurückkehrte.

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Im Tierpark selbst herrschte gestern Aufbruchstimmung: Die Präriehunde steckten nach ihrer Winterruhe die Köpfe aus ihrem unterirdischen Bau und genossen die Frühlingssonne; die frei laufenden Maras tobten über die großen Wiesen, auf denen die Krokusse sprossen. Doch bei den Menschen herrschte eher Ratlosigkeit. "Wir wissen auch nicht mehr, als in der Zeitung steht", war bei Pflegern aus dem Elefantenhaus zu hören. "Wir können nichts sagen, weil wir selbst nichts wissen", hieß es in der Verwaltung.

Am Nachmittag gab es dann Neuigkeiten. Per Presseerklärung stellte Claus Hagenbeck klar, dass er im Einvernehmen mit seinem Schwiegersohn Stephan Hering-Hagenbeck ins Unternehmen zurückkehrt. Der ist jetzt zwar nicht mehr Geschäftsführer der diversen Hagenbeck-Gesellschaften, kümmert sich aber weiter um den Tierpark und vor allem das Eismeer - freigehalten von der Abarbeitung bestimmter Problemfelder, wie sich Claus Hagenbeck ausdrückte.

Warum der Senior-Chef ins operative Geschäft zurückkehrt und welche Problemfelder er seinem Schwiegersohn abnehmen will, machte er ebenfalls deutlich: Er sei "für wenige Monate befristet" zurückgekehrt, "um die ihm in den letzten Wochen bekannt gewordenen weiteren Unklarheiten um diverse Verträge der Gesellschaften (u. a. städtebaulicher Vertrag), die von Herrn Weinlig-Hagenbeck bisher allein und verantwortlich bearbeitet wurden, persönlich aufzuklären". Danach werde sein Schwiegersohn "seine erfolgreiche Tätigkeit für die Hagenbeck-Gesellschaften und für meine Familie im vollsten Vertrauen von uns allen" wieder aufnehmen.

Und Joachim Weinlig-Hagenbeck? Der wurde nach eigenen Angaben von dem geplanten Wechsel völlig überrascht und nur kurzfristig in Kenntnis gesetzt. Dem widersprach Claus Hagenbeck vehement: Joachim Weinlig-Hagenbeck sei "in einem internen Schreiben ausführlich über die sachlichen Gründe des Rücktritts von Dr. Hering-Hagenbeck informiert" worden. Weinlig-Hagenbeck sprach von "einem familiären Konflikt" und sagte: "Wir müssen miteinander reden." Bis gestern Mittag hatte es allerdings noch kein klärendes Gespräch gegeben.

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Auch wenn sie (noch) nicht miteinander sprechen: Jetzt wird das Familienunternehmen wieder von der Doppelspitze geführt, die bereits von 1988 bis 2004 die Geschicke des Tierparks geleitet hatte. Dieses Konstrukt ist im Gesellschaftervertrag festgeschrieben - denn auf diese Weise wird jeweils ein Nachkomme von Carl Hagenbecks zwei Söhnen Heinrich und Lorenz an die Spitze des Unternehmens entsandt. Eine problembelastete Konstellation - denn beide Seiten sind gleichberechtigt, niemand ist der Chef des anderen. Es kann also nur funktionieren, wenn beide Partner gut miteinander können. Wenn nicht, kommt es schnell zu einer gegenseitigen Blockade. So, wie es jetzt wohl passiert ist.

Der Konflikt zeichnete sich bereits vor vier Monaten ab. Damals hatte Claus Hagenbeck seinem Mitgesellschafter Joachim Weinlig-Hagenbeck öffentlich schwere Fehler vorgeworfen. Dabei geht es um zwei Millionen Euro, die die Stadt Hamburg dem Tierpark 1996 vorgestreckt hatte - und nun zurückfordert.

Ob die Forderung der Stadt berechtigt ist, darüber wird seit Längerem gestritten. So geht Joachim Weinlig-Hagenbeck davon aus, dass die Zahlungsverpflichtungen nicht existieren, weil sie sich auf einen alten Vertrag bezögen, der gar nicht umgesetzt worden sei. Das sieht Seniorchef Claus Hagenbeck anders und befürchtet schweren Schaden für das Ansehen des Traditions-Tierparks. Es sei selbstverständlich, hatte er damals gesagt, "dass die Hagenbecks sich so verhalten wie in den letzten 150 Jahren und als ordentliche hanseatische Kaufleute offene Forderungen bezahlen". Spätestens jetzt war das Tischtuch zwischen den beiden zerschnitten. Weinlig-Hagenbeck sieht es als Affront gegen seine Person, dass ihm sein Mitgesellschafter öffentlich und ohne Rücksprache in den Rücken fällt. Claus Hagenbeck wiederum sieht den Ruf seiner Familie, ja den ganzen Tierpark bedroht.

Um die rechtliche Situation um die Zahlungsforderung zu klären, war mit der Stadt verabredet worden, ein Gutachten über die 16 Jahre alten Verträge erstellen zu lassen. Das liegt inzwischen vor. Über den Inhalt wollte Weinlig-Hagenbeck sich gestern nicht äußern. "Alle Unterlagen sind bei meinem Mitgesellschafter Claus Hagenbeck zur Prüfung", sagte er. Er warte jetzt auf ein Gespräch. Erst danach solle die Stadt die Unterlagen bekommen.

Die Stadtentwicklungsbehörde, die zunächst sehr gedrängt und sogar eine Klage angedroht hatte, zeigt sich inzwischen geduldig - und betont zurückhaltend. Zum aktuellen Stand der Causa Hagenbeck sagte Sprecher Frank Krippner nur einen Satz: "Die Stadt ist weiter in klärenden Gesprächen mit der Hagenbeck-Gesellschaft." Genaue Angaben, mit wem konkret verhandelt werde, wollte er wegen des laufenden Verfahrens nicht machen.

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Bei so viel Ärger fallen die paar Wochen Verzögerung beim Eismeer kaum noch ins Gewicht. Positiv ausgedrückt: Das größte und mit 20,5 Millionen Euro kostspieligste Bauprojekt bei Hagenbeck seit der Eröffnung des Tropen-Aquariums 2007 ist nach fast drei Jahren Bauzeit so gut wie fertig. Auf 8000 Quadratmetern werden künftig 15 Tierarten aus den Polargebieten leben, zum Teil haben sie ihre neuen Quartiere bereits bezogen. "Wir reden jetzt nur noch von Wochen", sagte gestern Stephan Hering-Hagenbeck. Das Eismeer sei eine ebenso komplexe wie technisch hochmoderne Anlage, die in einer "ohnehin sehr sportlichen Zeit" trotz dreier harter Winter fertiggestellt worden sei. "Kleinere Probleme waren zu erwarten", so Hering-Hagenbeck. "Wir arbeiten hier mit 5,3 Millionen Liter Wasser. Das ist schwer und senkte nach dem Einfüllen das Gebäude etwas ab, sodass undichte Stellen entstanden, die nochmals verpresst werden mussten."

Von den zukünftigen Bewohnern des Eismeers sind die meisten bereits da. Sechs Seebären und zwei Kegelrobben tauchen durch die Becken. Eisbärin Viktoria ließ sich von den Arbeiten bei ihrem Winterschlaf nicht stören. In den nächsten Tagen wird ihre Gesellschaft, Eisbärmann Blizzard, aus Rostock erwartet. 19 Esel- und vier Königspinguine fühlen sich in der Anlage für polare Pinguine offenbar wohl. Als i-Tüpfelchen will Hering-Hagenbeck den Besuchern eine Zuchtgruppe Walrosse präsentieren. Ob die es allerdings bis zur Eröffnung schaffen, ist ungewiss.

Geschafft ist hingegen die vollständige Finanzierung des Großprojektes. 20,5 Millionen Euro hat das Eismeer gekostet, die Stadt unterstützte den Bau 2009 mit 7,5 Millionen Euro aus Mitteln des Konjunkturpakets II. Seit Zoogründung vor 105 Jahren erhält Hagenbeck keine staatlichen Gelder für den laufenden Betrieb (täglich werden 35 000 Euro benötigt), sondern muss sich über Eintrittsgelder und Spenden finanzieren. Allerdings bekam der Tierpark manchmal Zuschüsse, etwa 2005/06 für Wasser sparende Technik von der Umweltbehörde. Ungleich größer ist das finanzielle Engagement bei Projekten zur Entwicklung und Sicherung des Tierparks. Viermal hat Hagenbeck, abgesehen von einer Anschubfinanzierung für das Delphinarium 1969 (eine Million D-Mark), öffentliche Zuschüsse beantragt: insgesamt 24 Millionen Euro. Nach Angaben des Senats flossen 2002 für die Mitfinanzierung des Orang-Utan-Hauses 4,6 Millionen Euro, 2005/2006 waren es zehn Millionen Euro für Tropen-Aquarium und Elefantenhalle, 2007 1,5 Millionen Euro für die Erneuerung des Panoramafelsens.