Was bedeutet die Einigung zwischen Hamburg und Vattenfall für die Stadt und für die Bürger? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Hamburg. Der Hamburger Senat hat sich offenbar mit Vattenfall und E.on über die angestrebte 25,1-prozentige Beteiligung an den Versorgungsnetzen für Strom, Fernwärme und Gas geeinigt. Nach Informationen des Abendblatts hat sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) in dieser Woche bereits mit Vattenfall-Konzernchef Øystein Løseth getroffen, um die Vereinbarung perfekt zu machen. Der Senat erhofft sich mit der Beteiligung mehr Einfluss auf die Energiepolitik des Konzerns. Vattenfall will der Stadt eine Garantierendite für die Beteiligung zusichern. Der Konzern geht mit der Einigung zudem auf seine Kritiker zu und kann mehrere Konfliktfelder befrieden.

Nach Abendblatt-Informationen verzichtet Vattenfall unter anderem auf den Bau der umstrittenen Fernwärmetrasse vom Kohlekraftwerk Moorburg nach Altona. Stattdessen wollen Stadt und Unternehmen gemeinsam ein Gas- und Dampfturbinenkraftwerk (GuD) bauen. Als Standort ist das Gelände der Müllverbrennungsanlage in Stellingen im Gespräch. Die Trassengegner hatten befürchtet, dass Vattenfall die Baukosten auf die Kunden umlegen werde, was zu erheblichen finanziellen Mehrbelastungen bei den 415.000 angeschlossenen Haushalten geführt hätte. Außerdem wurde kritisiert, dass Fernwärmeversorgung mit Kohlebefeuerung Hamburgs Klimaschutzzielen zuwiderlaufe.

Offiziell will sich niemand äußern. Sowohl bei der Stadt als auch bei den Energieunternehmen Vattenfall und E.on heißt es: "Zu laufenden Verhandlungen nehmen wir keine Stellung." Wenn es etwas zu verkünden gebe, werde dies auch passieren. Nach Abendblatt-Informationen ist dies für kommenden Dienstag im Rathaus geplant. Am Nachmittag will Olaf Scholz die Details zur Beteiligung der Stadt an den Versorgungsnetzen öffentlich vorstellen.

Was aber bedeuten die Einigungen hinter verschlossener Tür für die laufende Volksinitiative oder für das Kraftwerk Moorburg? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen:

Ist die laufende Volksinitiative zum Rückkauf der Netze mit der Einigung nun hinfällig?

Nein, sie bleibt aktuell. Die Volksinitiative fordert den vollständigen Rückkauf der Versorgungsnetze durch die Stadt. Das Volksbegehren war erfolgreich. Bis zum 8. Dezember muss sich der Senat dazu äußern, wie er mit dem Volksbegehren umgehen wird. Am 15. Dezember entscheidet schließlich die Bürgerschaft darüber, ob das Volksbegehren angenommen wird. Ist das - wie zu erwarten ist - nicht der Fall, kann die Initiative einen Volksentscheid organisieren. Frühestmöglicher Termin ist laut Regularien April 2012, bisher hat die Initiative auf den Tag der Bundestagswahl im Jahr 2013 spekuliert, um genügend Menschen mobilisieren zu können. In der Einigung zwischen Stadt und Vattenfall ist ein Sonderrücktrittsrecht enthalten, für den Fall, dass die Initiative den Volksentscheid gewinnt. Mit anderen Worten: Dann wäre der Vertrag null und nichtig.

Wird die Fernwärme jetzt teurer?

Das ist gut möglich. Anders als bei Strom und Gas ist der Bereich der Fernwärme nicht reglementiert. Hier hat Vattenfall das Monopol. Kunden können nicht zu anderen Anbietern wechseln und daher wenig gegen Preiserhöhungen unternehmen. Da Vattenfall künftig eine Sondernutzungsgebühr für die Fernwärme an die Stadt zahlen muss, ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Gebühr auf die Kunden umgelegt wird. Dies hätte zur Folge, dass der Preis steigt.

Was bedeutet die Einigung für das Kohlekraftwerk Moorburg?

Ohne Fernwärmeleitung hat Vattenfall keinen Abnehmer für die Wärme, die bei der Stromproduktion als Abfallprodukt entsteht. Diese Wärme bleibt womöglich also ungenutzt. Welche Pläne Vattenfall mit dem Kraftwerk hat, ist noch offen. Ohne den Verkauf der Fernwärme dürfte es allerdings schwieriger werden, das Kraftwerk wirtschaftlich zu betreiben.

Was hat die Stadt von der Einigung?

Zu allererst kann Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ein Wahlversprechen einhalten. Er hatte angekündigt, sich mit 25,1 Prozent an den Versorgungsnetzen beteiligen zu wollen. Dies hat er nun umgesetzt. Gleichzeitig verspricht Vattenfall eine Umsatzrendite für die Beteiligung - die Stadt bekommt also Geld in noch unbekannter Höhe. Die Sondernutzungsgebühr spült jährlich etwa drei bis fünf Millionen Euro in die Stadtkasse. Weil die Fernwärme künftig nicht durch das Kohlekraftwerk Moorburg, sondern durch ein Gas- und Dampfturbinenkraftwerk produziert wird, wird rechnerisch für die Fernwärme weniger CO2 ausgestoßen. Das hat positive Auswirkungen auf die Klimaschutzziele der Stadt.

Was hat Vattenfall von der Einigung?

Vattenfall sichert sich das Monopol an der Fernwärme. Dadurch, dass die Stadt auf den Rückkauf verzichtet, bleiben sowohl das Fernwärmenetz als auch die Erzeugungsanlagen im Besitz von Vattenfall. Anders als bei Stromnetzen, wo die Rendite gesetzlich festgeschrieben ist bei maximal neun Prozent und der Netzeigentümer verpflichtet ist, auch Strom von anderen Anbietern durch die Netze zu leiten, ist der Fernwärmemarkt nicht gedeckelt. Es können höhere Renditen erwirtschaftet werden. Allein im Jahr 2009 hat Vattenfall laut Geschäftsbericht mit der Fernwärme in Hamburg rund 140 Millionen Euro Gewinn gemacht. Außerdem wird Vattenfall wahrscheinlich auch die Konzession für die Stromnetze in den kommenden 20 Jahren bekommen.

Warum sind die Netze so wichtig?

Wer Eigentümer der Netze ist, verdient damit Geld. Denn nicht nur die Vattenfall-Stromkunden werden durch ihre eigenen Netze beliefert. Egal, welchen Stromanbieter man hat, der Eigentümer der Netze verdient mit. Für die Durchleitung von Strom anderer Firmen zahlt das andere Unternehmen eine Gebühr an den Netzbetreiber - im aktuellen Fall also an Vattenfall. Natürlich ist der Netzbesitzer aber auch für die Instandsetzung, die Pflege und den Ausbau der Netze verantwortlich.

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