Das Hamburger Landgericht lässt Reemtsma-Entführer zwangsvorführen. Wollte Drach seinen Bruder um die Lösegeldmillionen erpressen?

Neustadt. Es ist nicht eben wenig, was die Justiz auffährt, wenn es mal wieder heißt: Thomas Drach ante portas. Strenge Sicherheits-Checks, bewaffnete Polizisten und mit schusssicheren Scheiben ausgestattete Gerichtssäle gehören unbedingt dazu. Doch wird der ganze Aufwand in ein seltsames Licht gerückt, wenn alle Prozessbeteiligten im Saal sind - aber vom Angeklagten jede Spur fehlt. Wo steckt Thomas Drach?

Noch in der Justizvollzugsanstalt Billwerder sei er, klärt das Landgericht gestern Vormittag auf. Drach soll während des Transports zum Gericht eine Schlafbrille tragen, damit er den Fahrtweg nicht sehen kann. Doch weil er sich weigert, muss die Kammer nun über eine Zwangsvorführung beraten. Nach einer halben Stunde verkündet die Vorsitzende Richterin Ulrike Taeubner: Drach muss kommen und die Augenbinde auf dem Weg tragen. Ob es ihm passt oder nicht. Die Maßnahme, die sein Verteidiger Helfried Roubicek als Angriff auf die Menschenwürde verurteilt, zeugt von der besonderen Vorsicht der Justiz im Umgang mit Drach.

Der Schwerverbrecher gilt als skrupellos und soll über exzellente Kontakte zur Unterwelt verfügen. Für die Behörden besteht daher immer eine Fluchtgefahr. Deshalb sind die Sicherheitsvorkehrungen immens: Zuschauer erreichen den Saal nur über einen Nebeneingang, einige müssen bei der Kontrolle sogar ihre Schuhe ausziehen.

Zwei Stunden später als geplant erscheint Drach im Gerichtssaal 288. Er trägt eine graue Windjacke, Turnschuhe, eine schwarze Jogginghose, aber keine Brille mehr. Äußerlich hat er sich seit dem Prozess um die Entführung des Multimillionärs und Sozialforschers Jan Philipp Reemtsma kaum verändert, allein die Haare sind lichter geworden und an den Schläfen ergraut. Auch wenn es ums Pöbeln und Poltern geht, ist Drach ganz der Alte. Thomas Drach war der Kopf jener Bande, die Reemtsma 1996 entführte und im Keller eines abgelegenen Hauses in der Nähe von Bremen 33 Tage gefangen hielt. Erst als seine Familie umgerechnet rund 15,3 Millionen Euro zahlte, wurde Reemtsma freigelassen. 2001 verurteilte das Landgericht Thomas Drach zu 14 Jahren und sechs Monaten Haft, im April 2012 sollte der heute 51-Jährige entlassen werden. Eigentlich.

Doch nun steht Drach erneut vor Gericht - wegen "versuchter Anstiftung zur räuberischen Erpressung". Diesmal droht ihm, sofern er zu mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wird, Sicherungsverwahrung - Drach käme dann wohl nie wieder auf freien Fuß.

+++ Millionen aus Reemtsmas Lösegeld liegen in Spanien +++

+++ Chronologie der Reemtsma-Entführung +++

Es geht um die Lösegeldmillionen, über deren Verbleib er bisher beharrlich geschwiegen hatte, um - so die Vermutung der Staatsanwaltschaft - nach Haftende ein Luxusleben führen zu können. Doch schwante ihm Böses, als sein wegen der Wäsche der Lösegeldmillionen verurteilter Bruder Lutz 2009 aus der Strafhaft in Rheinbach entlassen werden sollte. Aus Angst, er könne das Geld "für eigene Zwecke verschleudern", habe er geplant, ihn über Dritte zur Herausgabe der noch versteckten Lösegeldmillionen zu nötigen, so die Anklage.

Sein Verteidiger hingegen gibt eine 17 Punkte umfassende Erklärung ab, 50 Minuten lang referiert Roubicek. Das Verfahren sei mangels "hinreichenden Tatverdachts" einzustellen, die Anklage eine Farce. Die Drach zur Last gelegte Straftat existiere "ausschließlich in der Vorstellungswelt der Staatsanwaltschaft". Einseitig und falsch habe die Anklagebehörde die private Korrespondenz von Drach interpretiert.

Die Anklage leitet ihre Vorwürfe indes aus vier Briefen ab, die Drach im Februar 2009 seiner Mutter Helga und seinem auf Ibiza lebenden Freund Hans-Georg M. geschrieben hatte. Zwei wurden im Knast abgefangen, zwei erreichten die Empfänger. Es sind Pamphlete, die nur so strotzen vor Gossenjargon - ein Umstand, den Drachs Verteidiger auf die Widrigkeiten der seit mehr als zehn Jahren währenden Isolationshaft zurückführt. In einem Brief scherzt Drach erst über die Finanzkrise und sein Pech beim Lottospielen, dann erteilt er Instruktionen: "Wenn du nichts zu tun hast, dann fang meinen Bruder ab. Er hat sechs Monate Zeit, 30 Millionen Euro zu besorgen." Das wäre etwa das Doppelte des damaligen Lösegeldes. Er traue der "Ratte" nicht, Hans-Georg M. könne ihn ja mit "zwei Leuten aus Spanien" abholen und ihm "das Maul stopfen", wenn er aufmucke. "Fehlt nur ein Euro, mache ich die Ratte platt." Er sei für ihn ein "dummes, feiges Versagerschwein".

Breitbeinig fläzt sich Drach auf seinen Stuhl. Es ist ein bizarrer, ein selbstgefälliger Auftritt. Ob sein Bruder ihm Geld schulde, will die Richterin wissen. Schließlich habe er Lutz Drach 2009 angezeigt, weil der 5,5 Millionen Schweizer Franken aus dem Lösegeld in Drogengeschäfte investiert haben soll. Es habe eine "geschäftliche Absprache" mit seinem Bruder gegeben, an die der sich nicht gehalten habe, windet sich Drach. "Worum ging es?", hakt die Richterin nach. "Das haben Sie in 15 Jahren nicht erfahren, das werden Sie heute nicht erfahren", sagt Drach im rheinischen Singsang. Im Übrigen sei der Prozess ein "absurdes Theater" - es gehe doch um "familieninterne Angelegenheiten". Der Prozess wird fortgesetzt.