Thomas Wulff mischt die rechte Szene in Hamburg auf. Er macht Wahlkampf für die NPD. Der Verfassungsschutz hat den Nazi im Visier.

Hamburg. Dass dieser Auftritt gründlich in die Hose gegangen war, ließ sich Thomas Wulff, eine der schillerndsten Figuren der rechtsextremen Szene, nicht anmerken. Mit eiserner Miene fuhr er am Steuer seines alten sandbraunen VW-Busses an der Einsatzleitung der Polizei vorbei, den leichten Anstieg der Auffahrt zum Seeveplatz hinauf. Und verschwand mit brummendem Motor in Richtung Harburger Innenstadt. Drei Stunden lang hatten sich der bekannte Rechtsextreme und seine Beiredner - der schleswig-holsteinische NPD-Vize Ingo Stawitz und der Berliner Anwalt Wolfram Narath - die Stimmen an diesem eiskalten Januarmittag überschlagend heißgeredet, doch vom viel beschworenen Wahlvolk keine Spur.

Von den 60 teils noch heranwachsenden Neonazis mal abgesehen, die zum Fahnenschwenken aus dem nahen Neuwiedenthal nach Harburg beordert worden waren und wie ferngesteuert klatschten, verirrte sich kein einziger Harburger auf den Seeveplatz. Die einzige Nachricht, die von der sonnabendlichen Kundgebung übrig blieb, deren Wortbeiträge sich an den Polizeihundertschaften und dem Lärm der Gegendemonstranten zerrieb, ist die von der Rückkehr eines der bekanntesten deutschen Rechtsextremen nach Hamburg.

Vor fast 30 Jahren begann die rechte Politkarriere des Thomas Wulff in Bergedorf. Seitdem hat sich der ehemalige Kameradschaftsführer vom Ziehsohn des vor eineinviertel Jahren verstorbenen rechten Mäzens Jürgen Rieger als Beisitzer in den NPD-Bundesvorstand hochgearbeitet. Vor fast zehn Jahren verließ er Hamburg, um in Mecklenburg-Vorpommern Wahlkampf zu machen, doch mit seinem offen radikalen Anstrich, seinem "Hitlerismus", machte er sich bei den "gemäßigten" Rechtsextremen, die der Partei einen neuen Anstrich geben wollten, mehr Feinde als Freunde.

Er erhielt keinen der sechs Sitze im Schweriner Landtag, die die Rechten dank ihres aggressiven Wahlkampfs im strukturschwachen Meck-Pomm 2006 eroberten. Danach suchte er sein Glück in Schleswig-Holstein, doch die Parteigenossen booteten ihn auch dort aus, wählten ihn nicht in den erweiterten Vorstand. Seit Ende 2010 wird der 47-Jährige wieder in Hamburg gesichtet. Bei den hiesigen Nationaldemokraten, die bei der Bürgerschaftswahl am 20. Februar antreten, ist er, auch wenn er selbst nicht kandidiert, maßgeblich in den Wahlkampf eingebunden.

Was will Thomas Wulff in Hamburg? Das fragen sich nicht nur der Verfassungsschutz und die antifaschistische Szene, auch in der Partei werden seine neusten Aktivitäten mit Argwohn betrachtet. Nach dem Tode des Hamburger NPD-Chefs Jürgen Rieger, der im Oktober 2009 in Berlin einem Schlaganfall erlag, entstand ein Machtvakuum an der Elbe, das bislang nicht gefüllt wurde. Bislang erwiesen sich alle Kandidaten als zu schwach. Wulff will offensichtlich diese Lücke schließen. Bereits als Heranwachsender hatte er an Riegers Wehrmachts-Fuhrpark herumgeschraubt, später im Schatten des reichen Anwalts Karriere gemacht.

Mitte der 80er-Jahre wurde Wulff Vorsitzender der Freiheitlich Deutschen Arbeiterpartei (FAP), 1991 war er Mitbegründer der Partei Nationale Liste (NL). Als beide Parteien 1995 verboten wurden, entwickelte er das Konzept der "Freien Nationalisten": Sogenannte Kameradschaften - regionale Gruppen von Neonazis und Skinheads - sollten sich zu Bündnissen zusammenschließen, denn die konnten als Organisationsform nicht verboten werden, so die Idee. Darauf aufbauend, gründete er das Aktionsbündnis Norddeutschland, ein Sammelbecken "Freier Kameradschaften" im Norden.

Ein Coup gelang Wulff, als er kurz vor der sächsischen Landtagswahl 2004 in die NPD eintrat und unter dem Motto "Volksfront von Rechts" viele seiner Kameradschaftskumpane mitziehen konnte. Die NPD erlebte daraufhin (auch in Hamburg) einen signifikanten Mitgliederzuwachs durch die extremen ehemaligen Kameradschaftler - nicht zuletzt Basis der Landtagswahlerfolge.

Doch mit den neuen Parteigenossen, die durch ihren offenen Rassismus und ihre nicht versteckte Gewalttätigkeit auffielen, ging ein Riss durch die NPD, in dem letztlich auch Wulffs rechte Karriere stecken blieb. Diejenigen, die eine "politikfähige" NPD forderten, gingen gegen die "Ultraradikalen" an. Flügelkämpfe und selbst verschuldete Geldnöte lähmen seitdem den parlamentarischen Arm der rechten Szene.

Dass Wulff kein Nationalkonservativer, sondern ein überzeugter Nazi ist, daran lässt er keinen Zweifel. Im Juli 2008 wurde er in Passau festgenommen, weil er bei der Beerdigung des Altnazis Friedhelm Busse eine Hakenkreuz-Flagge zeigte. Wulff musste 1200 Euro zahlen. Auf den damaligen Polizeichef wurde später ein Mordanschlag verübt. Wie aus einer Senatsanfrage der Partei Die Linke hervorgeht, ist er seit 1987 bereits sechsmal rechtskräftig verurteilt worden - wegen Verunglimpfung Andersdenkender, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Beleidigung.

Im November 2010 ist Wulff zum Kreisvorsitzenden der Bergedorfer NPD gewählt worden. Gleichzeitig soll er nach übereinstimmenden Berichten die Leitung von mindestens einer Stiftung übernommen haben, die Rieger aufbaute und dadurch möglicherweise auch über finanzielle Reserven verfügt. Nicht zuletzt konnte er alte Verbindungen auftauen und für den aktuellen Wahlkampf nutzen. Da die Hamburger NPD keine Wahlkampfunterstützungen durch den Bundesvorstand erhält, hat Wulff seinen alten Bekannten Rolf Hanno angezapft. Der über 90-Jährige ist Gründungsmitglied der Hamburger NPD, hat seinen Wohnsitz in Marbella, und hat Wulffs Hilferuf mit einem größeren Geldbetrag beantwortet. Davon will die NPD 100 000 Flugblätter verteilen und 7000 Wahlplakate in der Hansestadt aufstellen, heißt es in einem Bericht des Verfassungsschutzes.

Dass Wulff trotz dieser Erfolge in Hamburg Fuß fassen, eine führende Rolle einnehmen und schließlich Rieger ersetzen kann, daran glaubt der Verfassungsschutz nicht: "Zwar gehört er zu den wenigen Aktivisten, die in der Lage sind, bei öffentlichen Auftritten der NPD frei zu reden", heißt es, weshalb er häufig um Unterstützung gebeten werde. Über seine Führungsqualitäten gebe es jedoch unterschiedliche Ansichten: "Sein Hang zu Egomanie und seine aktionistischen Alleingänge könnten ihm auch hier sehr schnell Probleme bereiten und die angestrebte Parteikarriere verhindern."

Wulff sei eher der "Typ Straßenkämpfer", sagt Innensenator Heino Vahldieck (CDU). Er habe weder das Geld noch die formale und intellektuelle Reputation, die Rieger in der Szene genossen habe. Die NPD sei zwar so wenig schlagkräftig, dass ihr wahrscheinlich jeder Zuwachs willkommen sein müsste. Die rechte Szene habe aber weder in Hamburg noch sonst wo Konjunktur, sagte Vahldieck. Das habe sich nicht zuletzt an der "Aktion Wasserschlag" in Harburg gezeigt.

Ein Prozent der Stimmen "plus x" will die von Geldnöten geplagte NPD in der Hansestadt sammeln, insbesondere um dadurch an Gelder aus der staatlichen Parteienfinanzierung zu kommen.

Bei der Bundestagswahl im September 2009 hatte sie trotz eines "aktiv geführten Wahlkampfs", wie es der Verfassungsschutz formuliert, lediglich 0,9 Prozent der Stimmen für sich verbuchen können. Dass sich dieses Ergebnis ändert, steht nicht zu befürchten.

Bislang ist Wulff, der sich gern mit dem Beinamen "Steiner" schmückt - angelehnt an einen SS-Offizier - und fortwährend mit einer abgewetzten ledernen Arbeitermütze in der Öffentlichkeit zeigt, eher durch Provokationen aufgefallen. Zuletzt, als er in Billstedt den Besitzer eines Tattoo-Studios bespuckt und getreten haben soll, nachdem dieser ein NPD-Plakat abbauen wollte. Nicht zuletzt wird die Kundgebung auf dem Seeveplatz, eine der wichtigsten Stationen im NPD-Wahlkampf, auch parteiintern als Flop gewertet. Es bleibt also das positive Resümee, dass der Großteil der Hamburger für rechte Spinnereien unempfindlich ist.