Plötzlich war der VW-Bus weg. Erst mehr als ein Jahr später hörte Michael Cordero wieder von seinem Auto – und erfuhr, dass die Hamburger Polizei so gut wie nichts unternommen hatte.

Diese Geschichte könnte Mut machen. Jedenfalls all denjenigen, die vorhaben sollten, in Hamburg ein Auto zu stehlen oder dieser Tätigkeit bereits regelmäßig nachgehen. Diese Geschichte sollte aber auch nachdenklich stimmen. Zumindest diejenigen, die bisher an die Cleverness und Hartnäckigkeit der Hamburger Ermittlungsbehörden geglaubt haben. Dabei handelt diese Geschichte bloß von einem ganz gewöhnlichen Diebstahl eines VW-Bullis, T4, Modell California, Farbe Silbergrau, in der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 2013 in Ottensen – doch sie klingt einfach nur unglaublich: „Wir schauten morgens aus dem Küchenfenster und stellten fest, dass unser VW-Bus nicht mehr da war“, sagt Michael Cordero, 43, selbstständiger Fernsehjournalist, „und das war für uns schon mal unfassbar. Noch am Vorabend hatte ich ihn mit Kinderklamotten vollgeladen, die wir einlagern wollten. Jetzt war alles weg. Meine Frau ist bis heute untröstlich über den Verlust dieser Erinnerungsstücke.“ Man muss wissen, dass VW-Bullis extrem begehrt sind. Diese Fahrzeuge werden zum einen hoch gehandelt und sind zum anderen ziemlich leicht zu knacken. Die Corderos hatten rund 25.000 Euro für ihren gebrauchten Bulli im Bestzustand bezahlt – der ideelle Wert des Fahrzeugs, auf das sie jahrelang eisern gespart und mit dem sie ein paar schöne Familienurlaube verbracht hatten, lässt sich dagegen kaum beziffern.

Michael Cordero verbrachte den Rest des Vormittags dieses 25. Juni 2013 auf dem Polizeikommissariat 21 in der Mörkenstraße. Er erstattete Anzeige und schaute sich noch eine Lichtbilderkartei mit den üblichen Verdächtigen an, da ihm eingefallen war, dass sich zwei Tage zuvor ein ihm unbekanntes Pärchen auffällig für den Familienbus interessiert hatte. Doch er erkannte niemanden. Auf seine Frage, ob denn eine Fahndung eingeleitet würde, erhielt er eine wenig feinfühlige Antwort des Wachhabenden: „Das können wir uns sparen, der ist doch längst in Polen!“ Das Gelächter der Polizisten dröhne bis heute in seinen Ohren, sagt Cordero. Im Übrigen stellte sich die Vermutung des Beamten auch noch als grundfalsch heraus.

Was Michael Cordero zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht ahnen konnte, war, dass er nun länger als ein Jahr von den Ermittlungsbehörden nichts mehr hören würde. Was er noch weniger ahnen konnte, war, dass die Ermittler auch praktisch nichts unternehmen würden, was man gemeinhin als „Polizeiarbeit“ zu bezeichnen pflegt – obwohl es hierfür genügend Gründe gegeben hätte ...

„Am 9. September des vergangenen Jahres erhielten wir dann plötzlich ein Schreiben des Landeskriminalamtes, in dem uns mitgeteilt wurde, dass unser Bulli bereits im Juni 2014 in Hamburg aufgefunden worden sei und nun auf Anweisung der Hamburger Staatsanwaltschaft an den ,gutgläubigen Käufer‘ zurückgegeben werden sollte“, sagt Michael Cordero. „Da wir jedoch in der Zwischenzeit von der DEVK entschädigt worden waren, gehörte das Auto inzwischen der Versicherung.“ Cordero informierte die DEVK von diesem Bescheid der Staatsanwaltschaft und erzählte am Abend auch seinem befreundeten Wohnungsnachbarn, dem Rechtsanwalt L., von der erstaunlichen Entwicklung dieses Falles, der seine Vermutung bestätigte: Denn in § 935 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) heißt es, den „gutgläubigen Erwerb von abhanden gekommenen Sachen“ betreffend unmissverständlich in Absatz 1: „Der Erwerb des Eigentums (...) tritt nicht ein, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen war. Das Gleiche gilt, falls der Eigentümer nur mittelbarer Besitzer war, dann, wenn die Sache dem Besitzer abhanden gekommen war.“

Der befreundete Anwalt L. übernahm das Mandat (auch für die Versicherung) und schickte – noch ohne Vollmacht – am 12. September 2014 ein Schreiben an die Staatsanwalt, in dem er der Herausgabe des Autos widersprach. Am 19. September schob er dann – inzwischen mit einer Vollmacht ausgestattet – einen Antrag auf Akteneinsicht hinterher. „Wir wollten verhindern, dass die mutmaßlichen Täter mit unserem ehemaligen Auto unbehelligt wieder losfahren konnten – wir wollten, dass die Täter ermittelt werden“, sagt Michael Cordero.

Die Corderos und die Versicherung erzielten einen Teilerfolg: Der VW-Bulli blieb auf dem Polizeigelände in der Halskestraße in Gewahrsam, die Geschädigten durften ihren ehemaligen VW-Bus besichtigen. „Die Diebe hatten die Felgen und das Radio getauscht, aber alle unseren persönlichen Sachen aus dem Bus waren weg – bis auf das Überbrückungskabel, das ich zum 18. Geburtstag geschenkt bekommen hatte“, sagt Michael Cordero, der weder ein Foto machen, noch das Kabel mitnehmen durfte. „Ich fühlte mich wie ein Verbrecher behandelt, obwohl ich der ehemalige Eigentümer des Busses war.“

Aber die Erlaubnis zur Akteneinsicht oder irgendeine weitere Reaktion der Staatsanwaltschaft blieben aus. „Mit meinem sechsten Schreiben vom 25. November 2014 legte ich bei der Generalstaatsanwaltschaft dann Dienstaufsichtsbeschwerde ein“, erzählt Rechtsanwalt L.. „Am 4. Dezember 2014 erhielten wir dann endlich Akteneinsicht.“ Und spätestens jetzt wird die Geschichte des geklauten VW Bulli der Familie Cordero nicht nur zur Farce – sondern auch zu einem echten Armutszeugnis für die Ermittlungsbehörden: „Wir stellten zu unserem Erstaunen fest, dass der Bulli laut eines neuen Kfz-Briefs einem 43-jährigen Mann türkischer Herkunft gehörte, der bei uns in Ottensen nur eine Straße weiter wohnt. Als Fahrer war sein Sohn eingetragen, der unseren ehemaligen Bulli auch gekauft hatte“, sagt Michael Cordero, „aber die ganze Geschichte wimmelte nur so von Merkwürdigkeiten. Doch der Polizei war offenbar nichts aufgefallen – oder es bestand vielleicht auch einfach kein Interesse an der Aufklärung des Diebstahls.“ Rechtsanwalt L. fügt noch seine Vermutung hinzu, dass auch die zuständige Staatsanwältin – wie die gesamte Hamburger Justiz bei über 30.000 Ermittlungsverfahren pro Jahr – überlastet sein könnte.

Auf jeden Fall ergibt sich aus der Aktenlage ein bemerkenswertes Geschehen: Am 2. Juli 2013 – knapp drei Wochen nach dem Diebstahl – wurde der VW-Bulli mit einer geänderten Fahrzeugidentnummer (FIN) hinter der Windschutzscheibe sowie neuen Papieren auf eine 55-jährige Frau aus Hamburg-Wilhelmsburg zugelassen. Diese Frau wurde bis heute jedoch offenbar nie befragt, wie der Bus in ihren Besitz gelangen konnte.

Am 3. September 2013 wurde der VW-Bulli beim Landesbetrieb Verkehr erneut umgemeldet. Besitzer war jetzt ein Mann, der den gleichen Nachnamen wie die Vorbesitzerin trug.

Am 16. Juni 2014 fiel der Bulli dann zwei Beamten der Neumünsteraner Autobahnpolizei an einer Tankstelle am Schiffbeker Weg in Jenfeld zufällig auf. Sie hatten gerade einen Raser von der Autobahn weggefischt und überprüften dessen Papiere. Am Steuer des teuren Campingmobils saß ein blutjunger Iraner, der angab, für eine Werkstatt für Fahrzeugaufbereitung zu arbeiten. Die schleswig-holsteinischen Polizisten überprüften die FIN. Dabei stellten sie fest, dass die zwar zu einem VW-Kastenwagen mit Wand und Dreiersitzbank passte, aber nicht zu diesem Wohnmobil. Als einer der Beamten unter das Auto kroch, fand er die eingestanzte Original-FIN am Motorblock – die mit dem gestohlenen VW-Bulli übereinstimmte. Das Auto wurde daraufhin von der Hamburger Polizei auf deren Platz in der Halskestraße sichergestellt, doch eine Mitteilung an die geschädigte Familie Cordero sowie an die DEVK-Versicherung wurde nie geschrieben.

Offenbar kam es den Hamburger Ermittlern auch zu keiner Zeit in den Sinn, den jungen Angestellten der Fahrzeugaufbereitungsfirma oder den neuen Halter aus der unmittelbaren Nachbarschaft des Geschädigten oder dessen Sohn mit dem Autodiebstahl in Verbindung zu bringen – obwohl Letzterer bei seiner Zeugenvernehmung eine geradezu abenteuerliche Erklärung ablieferte: Danach hatte er am 6. November 2013 „auf einer Tankstelle zwei Italiener getroffen, die gerade damit beschäftigt waren, Pappkartons aus einem VW-Bulli zu laden“. Er hätte für seine Familie ja schon lange genau so ein Auto gesucht und hatte „gedacht, die beiden Männer wollen wohl verkaufen“. Und welch ein Glück: Das wollten die Männer tatsächlich, und zwar „für 16.500 Euro cash ohne Eintragung“. Daraufhin habe er kurz im Internet recherchiert und festgestellt, „dass es sich wohl um einen sehr guten Preis gehandelt habe, denn dasselbe Modell wurde mit über 25.000 Euro gehandelt“. Schließlich habe man sich dann auf 16.000 Euro geeinigt, in bar.

„Der angebliche Verkäufer, ein Italiener, dessen Pass jedoch seit zehn Jahren bereits abgelaufen war, war für die Polizei nicht auffindbar“, sagt Michael Cordero, „aber es gab laut Aktenlage auch keine Ermittlungen, die über eine normale Datenabfrage hinausgegangen sind.“ Auch sei weder die vom „Italiener“ angegebene Wohnanschrift überprüft, noch der Betrieb für Fahrzeugaufbereitung in Hamm in Augenschein genommen worden. „Wäre ich ein Autodieb: Ich würde in Hamburg gerne arbeiten und sicherlich gut schlafen“, sagt Michael Cordero, der nach 21 Mitgliedsjahren nun auch aus der DEVK rausgeflogen ist. „Sie werden nach dem Schadensfall nicht mehr neu versichert“, hieß es. „Zum Dank hat mein Anwalt aber denen sozusagen noch den Schaden reguliert, indem er dafür gesorgt hatte, dass der geklaute Bus in der Halskestraße in die Kette gelegt wurde.“

Auf Anfrage des Abendblatts teilte die Hamburger Staatsanwaltschaft durch ihre Sprecherin Nana Frombach mit, dass inzwischen beabsichtigt sei, den VW-Bulli an die DEVK-Versicherung auszuhändigen. Dem „gutgläubigen Käufer“ sei eine Frist zur Stellungnahme gewährt worden, die dieser aber habe verstreichen lassen. Nun müsse noch einem Rechtsanwalt Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. „Bei diesem Verfahren ist leider nicht alles optimal gelaufen“, gibt die Sprecherin zu. „Die langen Zeitläufe des Verfahrens resultierten aber auch aus einem überaus regen Schriftverkehr und zu gewährenden Fristen. Darüber hinaus gibt es immer wieder Fälle, wo trotz vieler Indizien ein konkreter Beweis fehlt.“

Michael Cordero weiß jetzt immerhin, wo das Auto steht, das früher einmal ihm gehörte: immer noch unter Obhut der Polizei in der Halskestraße. Er will den Bulli nicht zurück, er hat sich von der Versicherungssumme dasselbe Modell gekauft. Einen Täter wird man wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht präsentieren können. Immerhin: Wenn der „gutgläubige Käufer“ 16.000 Euro an einen bis heute unbekannten Italiener bezahlt hat (und wenn der Bulli der Versicherung ausgehändigt wird), dann müsste er sich das Geld vom Verkäufer zurückholen. Wenn er denn überhaupt bezahlt hat und es diesen „Italiener“ wirklich geben sollte. Zweifel sind wohl angebracht.