Vor 60 Jahren wurde das Bildungsinstitut Haus Rissen gegründet. Wo sich einst Amerikaner und Russen trafen, lernen heute Schüler komplexe Stoffe.

Rissen. Der Brite John le Carre, dieser wohl „weltberühmteste“ Autor von Spionagethrillern – die Verfilmung seines Romans „A most wanted Man“ läuft gerade in den Kinos –, war in den 60er-Jahren selber Agent des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6. Stationiert war le Carre eine Zeit lang in Hamburg. Und seine nachrichtendienstliche Aufmerksamkeit galt nicht zuletzt einer prächtigen weißen Säulenvilla in Rissen, denn dort fanden Treffen zwischen Russen und Amerikanern zur Sondierung einer möglichen Entspannungspolitik statt. Und in mehreren Romanen John le Carres spielt eine geheimnisvolle Säulenvilla am Rande einer deutschen Großstadt eine Rolle.

Bei diesem ehrwürdigen Gebäude handelt es sich um den Hauptsitz des renommierten Bildungsinstituts Haus Rissen, das in diesem Jahr sein 60.Gründungsjubiläum feiert. Für das kommende Jahr ist geplant, Le Carre ins Haus Rissen einzuladen, um über seine Agentenzeit zu erzählen.

Nach den Worten seines Direktors Philipp-Christian Wachs ist das Haus Rissen „seit 60 Jahren eine wesentliche Institution in Hamburg, die Orientierungswissen vermittelt. Seit 1954 arbeiten wir mit Schülern, Soldaten und dem Unternehmensnachwuchs der Hansestadt zusammen; wir schulen das Denken im System und versuchen politische, wirtschaftliche, rechtliche und ökologische Aspekte zusammenzubringen. Denn dieses verschränkte Orientierungswissen ist in einer globalisierten Welt absolut notwendig.“ Gerade für Schüler aus der Metropolregion Hamburg ist das Haus Rissen – gegründet 1954 von dem legendären Hamburger CDU-Politiker Erik Blumenfeld – eine wichtige Anlaufstelle geworden.

In der Oberstufe der 11. und 12. Klassen kommt die interdisziplinäre Vermittlung schwieriger Vorgänge in Politik und Wirtschaft oft zu kurz. „Wir machen den Kindern zum Beispiel klar, was die Wirtschafts- und Finanzkrise ist, wir erklären, wie die Zukunft in der Energieversorgung aussieht, wir versuchen, einführende Kenntnisse über die Konflikte im Nahen Osten zu vermitteln“, sagt Wachs. „Das wäre im klassischen Schulfach-Unterricht so nicht zu leisten“. Es sind häufig Lehrer, die das Haus Rissen ansprechen, wenn es um die Vermittlung komplexer Abitur-Themen geht. Das Rissener Institut arbeitet mit eigenen Fachkräften; die zum Teil jahrelang in jenen Regionen gelebt haben, über die sie referieren.

„Unsere 14Lehrkräfte sprechen acht Sprachen“, sagt Philipp-Christian Wachs, der seit 2008 geschäftsführender Vorstand ist. „Ferner ziehen wir externe Experten je nach Bedarf hinzu. Wir liefern den Schülern dann ein maßgeschneidertes Bildungsangebot.“ Das Institut orientiert sich an den Lehrplänen der Schulen und erarbeitet ein individuelles, den Unterricht ergänzendes Programm für jede Schülergruppe. „Wir sind mit 61 Hamburger Schulen verbandelt und werden künftig auch mit weiteren Schleswig-Holsteiner Schulen sowie Schulen in Duisburg zusammenarbeiten“. Bei der Gründung 1954 ging es darum, „der Gesellschaft in der nach-nationalsozialistischen Zeit überhaupt erst einmal eine Mitte zu geben. Heute geht es darum, eine Gesellschaft aus ihrer Mitte heraus zusammenzuhalten. Wir tragen dazu bei, dass junge Menschen zu Bürgern werden. Bürger, die unsere Staats- und Gesellschaftsform verstehen, akzeptieren und dann gegebenenfalls auch weiterentwickeln können. Dazu müssen sie sich aber zunächst eine eigene Meinung bilden können; 16-Jährige müssen künftig verantwortungsvoll mit ihrem Bürgerschafts-wahlrecht umgehen können.“

Das Haus Rissen finanziert sich zu 63 Prozent aus Eigeneinnahmen

Das Haus Rissen hat frühzeitig seinen Schwerpunkt auf die Stadtteilschulen gelegt und will gerade auch Schüler aus bildungsfernen Schichten und mit Migrationshintergrund erreichen. „Ich empfinde das als unseren politischen Auftrag, uns dort besonders zu engagieren“, sagt Wachs. „Die Schüler, die zu uns kommen, sind neugierig und haben Biss. Sie sind engagiert, haben Aufstiegswillen und saugen Wissen wie Schwämme auf. Es gibt bei uns selten reinen Frontalunterricht; wir arbeiten vor allem mit Formaten wie Planspielen.“ Wachs betont: „Es liegt nie an den Schülern; gerade auch Kinder aus bildungsfernen Schichten zeigen ein hohes Maß an Interesse.“ Es liege oft eher an den Lehrern, die ihnen das Verständnis für komplexe Stoffe wie Energieversorgung oder Syrienkonflikt nicht zutrauten. „Es bringt uns in Harnisch, wenn Lehrer, deren Klassen sich zu 70 bis 80 Prozent aus bildungsfernen Schichten zusammensetzen, von vornherein sagen: ‚Ein Seminar zum Wahlrecht? Das können Sie mit unseren Schülern nicht machen! Das verstehen die sowieso nicht.‘ Wir sagen dann: ‚Das lassen Sie mal unsere Sorge sein.‘“

Das Haus Rissen, dessen Kuratoriumsvorsitzender bereits seit 1981 der Unternehmer Michael Otto ist, finanziert sich zu 63 Prozent aus Eigeneinnahmen, hinzu kommen Spenden vieler Hamburger und Unternehmen sowie Förderungen durch Stiftungen und Institutionen, darunter sind jetzt auch die hamburgischen Rotary Clubs.