Teil 6 der Hamburger Begegnungen: Heute sprechen Susanne Jung vom Ella Kulturhaus und Corny Littmann vom Schmidt Theater über die Kraft des Humors, die Lehren aus Flops und über Träume

St. Pauli. Es wird ein Gedankenaustausch voller Esprit, das schon mal vorweg. Und wo treffen sich zwei Kulturschaffende zum unterhaltsamen Meinungswechsel? Natürlich auf einem roten Plüschsofa.

Dieses steht, wie geschaffen, einladend im Foyer des Schmidt Theaters am Spielbudenplatz. Susanne Jung, die mit U-Bahn und Rad aus Langenhorn gekommen ist, bestellt Holunderbionade. Corny Littmann, für den es von zu Hause nur wenige Fußminuten sind, lässt den geliebten Kuchen links liegen und bittet um Kaffee und Aschenbecher. Der Mann pafft wie ein Schlot. In Hotels trägt er manchmal „Geschäftsführer“ als Berufsangabe ein, bisweilen auch schlicht und ergreifend „Impressario“. Das sagt alles.

Ein abtastendes Vorspiel haben beide nicht nötig. Man kennt einander in der Szene, na klar, viel persönlich gesprochen haben beide Seiten aber noch nie. Das ändert sich geschwind; denn das Gespräch führt schnörkellos zur städtischen Kulturförderung. Littmann nippt am Kaffeepott, steckt sich eine neue an, ist im Nu in Hochform: „Das öffentliche Subventionssystem ist völlig irrsinnig.“ Es fördere Institutionen, nicht die Kultur.

Der erste Dampf ist abgelassen.

Susanne Jung wirft kurz ein, dass sie sich die Qualmerei erfolgreich abgewöhnt habe, und berichtet dann, wie es in ihrem Kulturhaus Ella wirtschaftlich läuft: „Wir müssen jedes Jahr mächtig strampeln, um finanziell über die Runden zu kommen.“ 28 solcher Stadtteilzentren gibt es in Hamburg. Neben allen möglichen Veranstaltungen steht die kulturelle Bildung vor Ort im Mittelpunkt – im nachbarschaftlichen Duett mit Schulen und sozialen Einrichtungen. Das Ella unterhält auch ein rollendes Sofa, das mit verschiedenen Künstlern und Ideen Kultur transportiert, zum Beispiel auf Bauspielplätze, in Kitas oder Elternschulen. Sie erhält rund 120.000 Euro jährlich an Mitteln des Bezirks sowie 22.000 Euro von Stiftungen und Sponsoren. Zusätzlich müssen 20.000 Euro selbst erwirtschaftet werden. Zum Vergleich: Sein Jahresetat beträgt 13,8Millionen Euro.

Zwar arbeiten Frau Jung und Herr Littmann im gleichen Metier, doch könnten die Rahmenbedingungen unterschiedlicher nicht sein. Sie war schon mehrfach bei ihm im Theater, oft auch privat, er noch nie bei ihr. Auch das soll sich nach diesem Gespräch ändern.

Ella muss mit 1,5 fest angestellten Mitarbeitern und ein paar Minijobs klarkommen, Littmann beschäftigt 220 Leute. Sie freut sich über 23.000 Besucher im Jahr, davon rund 4000 bei kostenpflichtigen Veranstaltungen; er heißt jährlich 420.000 Gäste willkommen. In Langenhorn stehen 130 Stühle und ein Rolltresen, im Schmidt Theater und im Tivoli gibt es 1070 schön rot gepolsterte Plätze. Sie verkauft ihre Eintrittskarten meist für 10 bis 13 Euro, bei ihm liegt der Durchschnittspreis zwischen 27 und 30Euro. Klein und fein, sagt man über das Ella in Langenhorn, illuster und weltstädtisch über das Angebot auf dem Kiez.

Gemeinsamer Berührungspunkt ist der seit zwölf Jahren organisierte Comedy Pokal. Während die Vorausscheidungen in den diversen Stadtteilzentren präsentiert werden, steigt am Spielbudenplatz am ersten Februarmontag 2015 das große Finale. Zum 13.Mal wird das so sein. Spontan erklärt sich Littmann bereit, in Langenhorn in der Jury zu sitzen. Handschlag drauf!

Beide hören aufmerksam zu, was der andere so zu erzählen hat. Gegenseitige Sympathie ist zu spüren. So sollen sie sein, die Hamburger Begegnungen: die Hand auszustrecken, im wahrsten Sinn des Wortes, den Blick über den Tellerrand zu richten, frei von Scheuklappen, Neues zu erfahren. Typisch hamburgisch ist das. Jeder hat seinen Stolz. Und für beide bedeutet das Wirken hinter den Kulissen – und im Falle Littmann manchmal auch auf der Bühne – die Welt.

Apropos Bühne: Wie groß ist sie jeweils? Zwölf Quadratmeter sind es in Langenhorn, auf dem Kiez 72. „Aus behördlicher Sicht sind wir gar kein Theater“, wirft Corny Littmann zu ihrer Verblüffung ein, „sondern ein gastronomischer Betrieb mit Aufführmöglichkeit“. Grund: Für den ordnungsgemäßen Status eines Theaters bedarf es fest installierter Reihenbestuhlung.

Bei ihm jedoch stehen auch Tische, einzelne Sessel und Sofas in lockerem Durcheinander. Daher habe es längere Zeit keine Aufnahme in den Deutschen Bühnenverein gegeben. Begründung: „Die machen gar kein Theater.“ Littmann weiß nicht genau, ob er wüten oder lachen soll. Der Humor obsiegt.

„Über behördlichen Quatsch könnte man ein eigenes Comedyprogramm verfassen“, meint er. Sie stimmt zu. Dann setzt er noch einen drauf: „Wer jemals eine Taxiquittung mit der Kulturbehörde abgerechnet hat, kann verstehen, warum ich gar keine Subventionen haben will.“ Er kriegt keinen Cent von der Stadt. Gut für einen streitbaren Geist seiner Klasse, dass er nach vielen Jahren am Existenzminimum längst schwarze Zahlen schreibt. So kann er es sich leisten, unbequem zu sein und anderen auch mal auf den Wecker zu gehen. Provokation macht dem Mann Spaß.

Susanne Jung erfreut sich des Temperaments und der Unabhängigkeit ihres Gegenübers, hat mal genickt, mal den Kopf geschüttelt. Sie wägt ab, auch weil sie von staatlichen Geldquellen abhängig ist, vom Bezirksamt Nord 87.000 Euro Zuschuss erhält und auch künftig noch mit Behörden kooperieren muss. „Manchmal hat man schon das Gefühl, mehr Verwalterin als Gestalterin zu sein“, formuliert sie bedächtig. Es gebe bürokratische Hindernisse, keine Frage, allerdings auch „enorm engagierte Menschen mit Herz“ auf dem Amt.

Herr Littmann stimmt zu, verweist indes auf „ein starres und schwachsinniges Fördersystem“. Dieses kritisiere er, nicht handelnde Personen wie „unsere wirklich hervorragende Kultursenatorin“. Förderung müsse jenen zugutekommen, die tatsächlich Kultur schaffen, wie den Stadtteilzentren. Er verlange nicht nach mehr öffentlichen Mitteln, sondern nach einer Umwidmung der vorhandenen Töpfe: „Es muss geprüft werden, wie mehr und besseres Theater für das gleiche Geld entsteht.“

Flexibel sei das System in der Tat nicht, meint auch Frau Jung. Sie wünsche sich mehr Wertschätzung für Theater wie für kulturelle Bildung. Das vorhandene Geld müsse besser verteilt werden. Ihre Meinung: „Neue Künstlergruppen und Kreative überhaupt haben es schwer.“ Ein Innovationsfonds könne ein Lösungsansatz sein.

Beide Seiten verstehen sich, auch bei anderen Themen. Im Sauseschritt folgt ein Stichwort dem nächsten. Es geht um Entdeckung von Talenten, Favoriten für die kommende Spielzeit, der Nähe zum Publikum, um Rückschläge. „Flops haben mich zu dem gemacht, was ich bin“, bekennt Littmann. Susanne Jung liebt die Arbeit im Team, fühle sich jedoch oft als Einzelkämpferin oder Motor. Er nickt.

Jetzt lachen beide. Sie schildert Situationskomik im Alltag. Er genießt das Vergnügen, andere Menschen zu beobachten. Sie könne sich königlich über den „Tatortreiniger“ oder „Shaun das Schaf“ amüsieren, er könne sich den Bauch halten bei Monty Python, den Marx Brothers oder der Ohnsorg-Legende Henry Vahl.

Ein Hund auf der Straße lenkt ab. Frau Jung erzählt von ihrem achtjährigen Pudel Eddy, der sie raus in die Natur ziehe. Corny Littmann bringt seine französische Bulldogge Carlos ins Gespräch, der bei der „Schmidtparade“ oder der „Villa Sonnenschein“ sogar auf der Bühne stehe. Sie zeigen sich via Smartphone gegenseitig Fotos ihrer vierbeinigen Lieblinge. Auch in Sachen Sympathie für die Kiezkicker vom FC St. Pauli und Humor als Lebenseinstellung besteht Einigkeit.

Sie lauscht interessiert, als er von der großen Rolle eigener Produktionen für den Geschäftsbetrieb spricht. Von Gastauftritten alleine könne man nicht leben. Die „Heiße Ecke“ als erfolgreichstes deutschsprachiges Musical im Schmidts Tivoli werde jetzt im September zum 3000. Mal aufgeführt und habe 1,7 Millionen Zuschauer verbucht. „Die Königs vom Kiez“, im Herbst vergangenen Jahres gestartet, biete ein ähnliches Potenzial.

Sie beschreibt das Engagement junger, noch unbekannter Künstler als gewichtiges Pfund. Sie philosophiert von Soziokultur an der Basis und möchte ihr Kulturzentrum nach und nach erweitern, er plant mit dem Schmidtchen gleichfalls am Spielbudenplatz ein neues Theater mit 150 Plätzen und initiiert einen Wettbewerb für junge Autoren und Komponisten. Motto: „Neue Musicals braucht das Land“.

Und wie ist es um den Spaßfaktor im Beruf bestellt? „Glücklicherweise ist er auch nach 27 Jahren im Job nach wie vor stark präsent“, entgegnet sie. „Ich liebe Veranstaltungen. Ich mag auch Sommerpausen, freue mich aber immer auf die Zeit danach.“ Das Feuer brenne nach wie vor. Während der finanzielle Druck gestiegen sei, fühle sie sich unverändert „sehr selbstbestimmt“.

„Ja, auch ich liebe meinen Beruf“, meint Corny Littmann. Sein großer, mittlerweile gut laufender Betrieb habe den Spaßfaktor noch gesteigert. Es sei ein herrliches Gefühl wahrhaftiger Freiheit, selbst entscheiden zu dürfen, ob man entwickeln, inszenieren, spielen oder ganz einfach Urlaub machen wolle.

Und Träume? Kurzes Atemholen. „Mehr Geld für ein größeres Kulturhaus in Langenhorn“, sagt Susanne Jung sofort. „Ein Theater in Havanna“, ergänzt Corny Littmann seinen Traum. Wieder sind sie sich einig.

„Wir arbeiten daran“, sagen beide praktisch unisono.