Ein Jahr lang durften zwei Brüder ihrem großen Talent nachgehen. Doch die Genehmigung wird nicht verlängert, was die Familie vor große Probleme stellt. Die CDU kritisiert deshalb die Behörde.

Hamburg. Patrick und André verbringen jeden Tag auf dem geschwungenen Grün des Golfclubs Falkenstein. Auch wenn ihre Altersgenossen die Schulbank drücken, perfektionieren sie dort ihre Fähigkeiten im Putten, Pitchen und Abschlagen – und die sind beachtlich: Mit einem Handicap von 2,9 (Patrick) und 3,1 (André) bewegen sich die beiden 14 und 15 Jahre alten Brüder aus Lokstedt im Spitzenfeld des Hamburger Golfsports. Sie sind so gut, dass sie in Falkenstein als Fördermitglieder zu äußerst günstigen Konditionen spielen können. Ihre Eltern könnten sich eine Mitgliedschaft nicht leisten.

Annett und Jens Harms leben in normalen finanziellen Verhältnissen und tun alles dafür, das Talent ihrer Söhne zu fördern. Vor zwei Jahren haben sie ihr Haus in Barmstedt bei Hamburg verkauft. Anstatt ihre Zeit mit Haus- und Gartenarbeit zu verplempern, wollten sie ihre Söhne lieber zum täglichen Üben, zu Turnieren und Meisterschaften fahren.

Für das vergangene Schuljahr genehmigte die Schulbehörde Patrick und André eine Schulbefreiung. „Durch die Ganztagsschule ist es nicht mehr möglich, Schule und Leistungssport zu verbinden“, sagen die Eltern. Also ließen sie ihre Söhne über eine Fernschule unterrichten. Das funktionierte gut. Vor und nach dem Golfspielen bearbeiteten die Jungs das Lernmaterial. Ihr Ziel, ein guter Realschulabschluss, schien greifbar: Wie früher auf dem Gymnasium lagen ihre Zensuren meist im Einser- und Zweierbereich.

Jetzt hat die Schulbehörde der Fernbeschulung ein Ende gesetzt. Sie lehnte eine Verlängerung der auf ein Jahr befristeten Schulbefreiung ab. Nach den Ferien sollen die Brüder wieder eine „normale“ Schule besuchen. Für die Eltern heißt das, sie haben das Schulgeld von 4000 Euro vergebens gezahlt. Zudem wird ihren Söhnen das Schuljahr vermutlich nicht angerechnet. Es sei denn, die Familie lässt sich auf ein zweifelhaftes Angebot ein, das ihnen die Schulbehörde gemacht haben soll: Wenn sie den Widerspruch zurückziehen, den sie gegen die Behördenentscheidung eingelegt haben, darf André Klasse 11 und Patrick Klasse 10 besuchen. Das habe ihnen ein Vertreter der Schulbehörde am Mittwoch gesagt.

Nachdem die Eltern über den Schulleiter des Gymnasiums, das ihre Söhne früher besuchten, die Schulbefreiung im Juni 2013 beantragt hatten, ging die schriftliche Erlaubnis der Behörde erst im September bei ihnen ein. „Dadurch haben die Jungen zwei Monate Unterrichtszeit verloren“, sagt Jens Harms. „Ein Vertrag mit der Fernschule kommt nämlich erst zustande, wenn ihr die Schulbefreiung vorliegt.“

Patrick begann mit dem Unterrichtsmaterial der neunten Klasse. Weil die Fernschule ILS, an der die Brüder angemeldet wurden, Schüler nicht in die zehnte Klasse aufnimmt, musste auch André zunächst Stoff aus der Neunten bearbeiten und in den drei Kernfächern eine Prüfung ablegen. Das schaffte er in nur vier Monaten, bekam zwei Zweien und eine Eins. Danach nahm er sich die Materialien der zehnten Klasse vor, auch da lag er gut im Zeitplan. Mitte Juni beantragten die Eltern, wieder über den Schulleiter, eine Verlängerung der Schulbefreiung. Sie begründeten das erneut mit den Turnieren, an denen die Brüder teilnahmen, und ihrem Wunsch, sich später als Golftrainer oder Profispieler eine Existenz aufzubauen. Das Zeugnis der Klassenstufe 9 von André fügten sie an; ein anderes hatten die Brüder ja noch nicht bekommen.

Am 3. Juli kam die Ablehnung der Schulbehörde. Begründung: Die Befreiung von der Schulpflicht setze neben einem wichtigen Grund voraus, dass „hinreichender Unterricht gewährleistet“ ist. Golf stelle keinen wichtigen Grund dar; eine Befreiung hätte schon im vergangenen Jahr nicht erfolgen dürfen. Zudem weise das Zeugnis von André nur Noten in drei Fächern auf, der Fernunterricht könne also nicht als gleichwertig zum Pflichtunterricht gewertet werden. „Wir waren wie vor den Kopf geschlagen. Schließlich hatte die Behörde doch im Jahr zuvor alles geprüft und genehmigt“, sagt Annett Harms.

Sie reichten ein Schreiben der ILS nach, in dem der Sachverhalt mit Andrés drei Noten erklärt wurde, und belegten mit aktuellen Leistungsspiegeln, dass die Jungen in allen vorgeschriebenen Fächern beschult wurden. Keine Reaktion. Sie wollten mit dem Landesschulrat sprechen, doch der war im Urlaub. André und Patrick hörten auf zu lernen. Ohne eine Schulbefreiung war die Fernschule gezwungen, die Bearbeitung und Benotung ihre Einsendungen einzustellen.

Am 1. August widersprachen die Eltern der Entscheidung der Schulbehörde schriftlich. Am vergangenen Mittwoch wurden sie zum bereits erwähnten Gespräch gebeten. Neben den anderen für sie unerfreulichen Einzelheiten erfuhren sie auch, dass die Entscheidung, die Befreiung nicht zu verlängern, behördenintern schon seit Oktober bekannt war. „Zu diesem Zeitpunkt hätten wir die Jungen noch auf eine Regelschule geben können und hätten viel Zeit und Geld gespart“, sagt Jens Harms.

Um Stellungnahme gebeten äußerte sich die Schulbehörde knapp: „Für Golfunterricht fällt die Schule selbstverständlich nicht aus. Andernfalls würde in den nächsten Jahren für jedes dritte Schulkind eine Unterrichtsbefreiung zugunsten von Hobbykursen beantragt werden!“ Bis auf diesen Fall habe die Schulbehörde wegen sportlicher Aktivitäten auch noch nie eine Schulbefreiung erteilt – das regelten die Schulen eigenständig.

„Offenbar hat die Behörde im Fall von André und Patrick von Anfang an schlampig gearbeitet und fahrlässig gehandelt“, sagt Karin Prien, schulpolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion. „Wenn eine Schulbefreiung erteilt wurde, kann man sie nicht einfach widerrufen“ Dass niemand vernünftig mit der Familie geredet hat und sie jetzt noch „quasi erpresst“ werde, sei „ein politischer Skandal“. Das Verhältnis zwischen Bürgern und Verwaltung müsse von Berechenbarkeit und Vertrauen geprägt sein.

Im Übrigen komme es in Hamburg immer wieder vor, dass herausragende Tennis- und Hockeyspieler von der Schulpflicht befreit würden, sagt Prien. Die Politikerin will den Sachverhalt in Kürze mit einer Kleinen Anfrage an den Senat klären und fordert eine angemessene Lösung. Die Brüder sind maßlos enttäuscht. „Wir haben konsequent gelernt, um die Schule schnell durchzuziehen“, sagen sie. Sie befürchten einen Leistungsabfall, wenn sie wieder täglich zur Schule gehen müssen.