Das Kroos-Stift hat drei Wohngruppen für Senioren eingerichtet. Ein Modell mit Zukunft.

Heimfeld. Herr Böttger hat sich einen gemütlichen Sessel mitgebracht, in dem er gerne sitzt und die Beine hochlegt. Frau Lohmann hat sich ein kleines Sofa in ihr Zimmer gestellt, auf dem Tisch stehen frische Blumen. Im Gemeinschaftsraum ist der Kaffeetisch gedeckt, im Geschirrspüler steht tatsächlich Geschirr, ein Schale mit Obst ist für alle da, und aus dem Radio dudelt leise Schlagermusik. Menschen laufen hin und her, manche mit Rollator, manche ohne. Viele Türen stehen offen.

Herr Böttger, Frau Lohmann und neun weitere Menschen leben in einer WG – einer Wohngruppe für Senioren. Davon hat man schon gehört, seit die Deutschen immer älter werden, und immer weniger dieser Alten allein sein wollen. Das Besondere dieser WG ist, dass sie nicht auf private Initiative entstanden ist, sondern innerhalb eines bestehenden Altenheims. Gleich drei solcher Wohngruppen für je elf Bewohner hat das Marie-Kroos-Stift in Heimfeld im Frühjahr in einem Neubau in Betrieb genommen: eine für Demenzkranke, eine für Menschen mit hohem Pflegebedarf und eine für jüngere Schlaganfallpatienten, etwa ab 40 Jahren. „Udo Lindenberg wäre zu alt für uns“, scherzt Heimleiterin Regina Lohmann. Das Konzept sehe vor, dass diese Bewohner irgendwann wieder ausziehen, möglichst in ihre gewohnte Umgebung.

Das ganze Projekt gilt als so innovativ, dass die Stadt den 4,3 Millionen Euro teuren Neubau mit 510.000 Euro und das Projekt an sich mit weiteren 200.000 Euro gefördert hat. „Eigentlich fördern wir ja keine stationären Einrichtungen“, sagt Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) bei einem Besuch in dem von hohen Bäumen umgebenen Heim. Die Kosten würde ja die Pflegeversicherung übernehmen. Aber in diesem Fall habe die Stadt eine Ausnahme gemacht. „Es entspricht den Wünschen der Menschen, nicht allein zu leben. Aber privat ohne einen Träger im Hintergrund ist das nur sehr schwer zu organisieren. Daher betrachten wir das als zukunftsweisende Investition, von der wir uns wertvolle Erkenntnisse erhoffen.“ Parallel zum Kroos-Stift haben nach Auskunft der Gesundheitsbehörde sieben weitere Heime in Hamburg ähnliche Gruppen eingerichtet, allerdings keine für Schlaganfall-Patienten.

Im Kroos-Stift können die WG-Bewohner ihre Zimmer komplett individuell einrichten, sie können gemeinsam kochen, feiern oder Ausflüge organisieren. Unterstützt werden sie dabei, auch das ist ein ungewöhnlicher Ansatz, in erster Linie von „Präsenzkräften“. Die haben in der Regel keine pflegerische Ausbildung, sondern es handelt sich schlicht um Hausfrauen oder Hausmänner, die den Menschen zugewandt sind und einen Alltag organisieren können. „Auch die Angehörigen wollen wir mit einbinden“, sagt Heimleiterin Regina Lohmann. Für die ausgebildeten Pflegekräfte, die nur bei Bedarf hinzukommen, sei es anfangs gewöhnungsbedürftig gewesen, dass in den WGs nicht der klassische, straff getaktete Heim-Alltag herrscht. „Hier ist es auch mal unordentlich, hier steht auch mal Geschirr herum“, sagt Lohmann. Aber dafür sei die Atmosphäre viel familiärer.

Natürlich sei das auch ein Ansatz, die Kosten im Griff zu halten, räumt die Heimleiterin ein. Aber in erster Linie gehe es um die Wünsche der Bewohner. Dass die erfüllt werden, bestätigte Egon Böttger ausdrücklich. „Sehr wohl“ fühle er sich seit seinem Umzug in die WG im März, betont der 90-Jährige. Und als ihm die Senatorin zum Abschied alles Gute wünscht, antwortet er schlagfertig: „Daran habe ich keine Zweifel!“

Dass der Senat das Thema so wichtig nimmt, hat einen guten Grund: In Hamburg leben bereits rund 425.000 Senioren, also Menschen, die 60 Jahre oder älter sind. Gut 40.000 von ihnen gelten als pflegebedürftig. Da es auch jüngere Pflegebedürftige gibt, wird die Zahl der „Leistungsempfänger“ mit 47.200 angegeben. Das bedeutet: Jeder 36. der 1,7 Millionen Hamburger ist auf pflegerische Hilfe angewiesen.

Der größte Teil von ihnen, nämlich 18.800, wird zu Hause von Angehörigen betreut, aber mit finanzieller Unterstützung durch den Staat. 13.500 werden zu Hause mithilfe von einem der 360 Pflegedienste gepflegt. Und 14.500 Menschen leben in einem der 153 Hamburger Pflegeheime. Da die Zahlungen der Pflegeversicherung aber oft nicht ausreichen, die Kosten zu decken, muss die Stadt bereits rund 200 Millionen Euro jährlich in Form von Sozialhilfe zubuttern. Diese Summe steigt Jahr für Jahr etwa um fünf Prozent – mit ihr der Handlungsdruck: Wie gehen wir als Gesellschaft damit um?

Zwar ist Hamburg wegen des anhaltenden Zuzugs jüngerer Menschen von dem Trend nicht so stark betroffen wie andere Bundesländer. Aber allein die Zahl der Über-80-Jährigen wird von derzeit gut 80.000 bis 2030 auf rund 120.000 steigen. Das geht aus dem Demographie-Konzept 2030 hervor, mit dem der Senat der Herausforderung begegnen will. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte bei der Vorstellung im März betont, dass man Brücken zwischen Jung und Alt schlagen müsse: „Wir wollen, dass junge Familien genau so gern hier wohnen und arbeiten, wie Ältere hier ihren Lebensabend verbringen.“ Zum Beispiel in einer WG.