Eine Befriedung des Landes ist nur mit einer ethnisch ausgewogenen Regierung möglich

Beim Kampf um die zweitgrößte irakische Stadt Mossul sollen 30.000 Regierungssoldaten vor nur 800 Kämpfern der radikalislamischen Terrorgruppe Isis das Hasenpanier ergriffen haben. So gut ist Isis auch wieder nicht, dass sich dafür eine militärische Erklärung finden ließe.

Die Kernprobleme im Irak sind das Alterbe der USA sowie die Regierung von Ministerpräsident al-Maliki. Dass die US-Administration von George W. Bush schwere strategische Fehler begangen hat, als sie die den Staat tragende Armee und die regierende Baath-Partei auflösten, ist bekannt. Es geschah dann in bester Absicht, dass man den unter dem Tyrannen Saddam Hussein jahrzehntelang drangsalierten Schiiten, die immerhin mehr als 60 Prozent der Bevölkerung stellen, die Regierungsverantwortung übertrug. Nur besitzt der Schiit al-Maliki leider nicht die Größe, das Gemeinwohl des irakischen Staates im Auge zu haben. Ihm geht es allein um die Macht der Schiiten und um Rache an den Sunniten. In dieser Hinsicht ist sein Programm ähnlich sektiererisch und politisch destruktiv, wie es bei den gescheiterten Muslimbrüdern in Ägypten der Fall war.

Zwar hat Isis seit Jahren diese Offensive geplant und vorbereitet. Doch ein derartiger Siegeszug mit der Eroberung von bislang zwei irakischen Provinzen und sämtlichen Grenzübergängen nach Syrien und Jordanien wurde nur durch die aktive Unterstützung der von al-Maliki schwer verprellten sunnitischen Stämme möglich. 2007 und 2008 hatten die mächtigen Stämme sich noch gegen den Isis-Vorgänger „Al-Qaida im Irak“ gestellt. Doch al-Maliki hat nichts daraus gelernt. Es ist keineswegs so, dass die Sunniten politisch völlig auf einer Linie mit den Fanatikern der Isis wären. Das Ziel der meisten dürfte kaum ein Gottesstaat sein, sondern der Sturz des verhassten Regierungschefs. Isis ist aufgrund der Eroberungen in Syrien und im Irak und der Unterstützung aus dem Ausland zur reichsten Terrorgruppe der Geschichte geworden. Allein bei der Einnahme Mossuls dürften Isis eine halbe Milliarde Dollar in die Hände gefallen sein. Hinzu kommen nun die Erlöse aus der eroberten Ölraffinerie in Baidschi. Damit können Unmengen an Waffen gekauft werden, die die Bürgerkriege im Irak und Syrien befeuern werden.

Die entscheidende Frage ist, ob Isis bei der geplanten Schaffung eines radikalislamischen Emirates auf syrisch-irakischem Gebiet weiter so brutal wie bisher vorgeht. Weit mehr als 6000 Menschen hat Isis im Irak bereits ermordet. Sollte Isis weiter den salafistischen Kurs mit Enthauptungen und Amputationen fortsetzen, werden ihr die sunnitischen Stämme früher oder später die Gefolgschaft aufkündigen. Es ist eine alte Wahrheit, dass Gebiete manchmal leicht zu erobern, aber schwer zu verwalten sind.

Indessen ist es fraglich, wieweit US-Luftschläge der demoralisierten irakischen Armee wirksam helfen können. Das Risiko, dass sich weitere Iraker aus Protest gegen eine neue US-Einmischung Isis anschließen werden, ist erheblich. Das Dilemma: Isis muss gestoppt werden, bevor die Gruppe den gesamten Mittleren Osten destabilisieren und einen Terrorstaat errichten kann, der auch für Europa eine ernste Bedrohung wäre.

Andererseits ist es kontraproduktiv, al-Maliki zu unterstützen – denn sein Regime ist schließlich die aktuelle Ursache der jüngsten Krise. Eine Befriedung des Konfliktes kann allenfalls dann möglich werden, wenn Maliki durch eine ethnisch-religiös ausgewogene Regierung ersetzt worden ist. US-Außenminister Kerry ist bislang wenig Erfolg dabei beschieden, dies zu erreichen. Falls auch der neue Vorstoß nicht gelingt, könnte der Konflikt eskalieren und stärker auf die übergeordnete Ebene durchschlagen – den Kampf zwischen der sunnitischen Vormacht Saudi-Arabien und der schiitischen Schutzmacht Iran.