Die Abstimmung bei der Bezirkswahl ist ein Denkzettel für Olaf Scholz – und für die Bürgerschaft insgesamt

Das hatte sich Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz doch etwas anders vorgestellt. Noch am Sonntag feierten sich die Sozialdemokraten für ihr Abschneiden bei der Europawahl. 33,8 Prozent hatte die SPD an Elbe und Alster gewonnen – der Zugewinn von 8,4 Prozentpunkten löste fast Euphorie aus. „Es ist ein Ergebnis von Schulz, Scholz und Fleckenstein“, frohlockte der erfolgreiche Hamburger EU-Kandidat. 24 Stunden später sieht die Welt für die SPD ganz anders aus. Denn bei der Bezirkswahl haben die Vorzeichen gedreht – hier schlägt ein Minus von fast zehn Prozentpunkten zu Buche. Nun sind die Sozialdemokraten auch ein Opfer der Statistik: Das Europawahlergebnis 2014 wird mit ihrem Desaster von 2009 verglichen, als die SPD bundesweit nur auf 20,8 Prozent kam. Die Veränderungen bei der Bezirkswahl hingegen beziehen sich auf die letzte Abstimmung am 20. Februar 2011, also den Tag, als Olaf Scholz triumphierte. Wahlergebnisse sind immer relativ – der Sieg von gestern wird morgen zur Hypothek, die Niederlage hingegen birgt schon den Aufschwung in sich.

Die Mathematik allein kann das schwache Abschneiden der SPD aber nicht erklären: Ihr geht am linken Rand viel verloren, die Linkspartei ist der eigentliche Sieger der Bezirkswahl. Und auch die Grünen gehören zu den Gewinnern. Die SPD mag sich damit trösten, dass die kleineren Parteien traditionell ihre Anhänger leichter motivieren. Doch was 2014 so ist, könnte am 15. Februar 2015, dem Tag der Bürgerschaftswahl, noch gelten. Der Triumph, den Olaf Scholz 2011 eingefahren hat, er wird kaum zu wiederholen sein. Der pragmatische Stil des Regierungschefs – etwa beim Umgang mit den sogenannten Lampedusa-Flüchtlingen oder der Einrichtung von Gefahrengebieten auf St. Pauli – verschreckt zwangsläufig viele idealistische Wähler am linken Rand. Einige Linke haben Olaf Scholz längst zu ihrem Lieblingsgegner erkoren.

Auf der anderen Seite könnten ihm die Verluste nach links den Sieg in der Mitte bescheren. Die CDU hat sich zwar von der krachenden Niederlage 2011 etwas erholen können, aber hinkt in allen Bezirken der SPD hinterher. Es darf bezweifelt werden, dass der Ärger über Busbeschleunigung und Dauerstau daran in den nächsten Monaten noch viel ändern wird. Der Union fehlt derzeit abseits von schwarz-grünen Illusionen jegliche Machtoption – stärker als die SPD wird sie kaum werden, die FDP hingegen leidet an Schwindsucht. Das Ergebnis der Bezirkswahl liefert allen Parteistrategen reichlich Stoff zum Nachdenken.

Die weitaus wichtigste Denksportaufgabe aber bleibt das Wahlrecht. Das komplizierte Verfahren mit Panaschieren und Kumulieren, mit Dutzenden für die meisten Wähler unbekannten Namen in mehrseitigen Stimmbüchern überfordert viele Menschen. Eine Wahl mit zu vielen Unbekannten aber bekommt rasch den Charakter einer Lotterie – da zählen plötzlich Berufe oder Altersangaben, nicht aber die politischen Positionen.

Der Landesverband von „Mehr Demokratie“ hatte das personalisierte Verhältniswahlrecht einst erstritten, das Ziel aber verfehlt: Die Beteiligung bei dieser Bezirkswahl lag noch deutlich unter der extrem mäßigen Quote bei der Europawahl. Fast sechs Prozent der Wähler machten ihr Kreuz nur für Europa, wo eine einfache Stimme ausreichte; von der Möglichkeit, zugleich Kandidaten in die Bezirksversammlung zu entsenden, machten sie hingegen demonstrativ keinen Gebrauch. Auch deshalb sank die Wahlbeteiligung von 54 auf 41 Prozent. Das personalisierte Wahlrecht, das in bayerischen Kommunen oder niedersächsischen Dörfern seit Langem gut funktioniert, wirkt in einer Millionenmetropole überfordernd, übermotiviert, überfrachtet. Mehr Demokratie hat es jedenfalls nicht gebracht. Wieder einmal gilt: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.