50.000 Sendungen prüft das Zollamt in der Hamburger HafenCity jährlich – Tendenz steigend. Dabei machen die Mitarbeiter so manchen kuriosen Fund. Manchmal ist die Sendung sogar lebendig...

HafenCity. Der Exot aus glitzerndem Kalziumkarbonat verbirgt sich hinter einer Lage milchiger Noppenfolie. Katja Günther greift in den Karton, holt das Bündel heraus, schlägt die Folie zurück. In ihren Händen hält sie eine Steinkoralle. Die schneeweißen Verästelungen funkeln in der Sonne, die durch die hohen Fenster scheint. „Ein außergewöhnlich schönes Stück“, sagt die 29-jährige Zollbeamtin.

Das unter Artenschutz fallende Kalkskelett haben ihre Kollegen Minuten zuvor in einem Paket aus den USA entdeckt. Auf der Folie klebt noch das Preisschild: 52,99 Dollar. Als Geschenk gedacht, ist die Einfuhr ohne Ausfuhrgenehmigung verboten. Der Adressat, der am Schalter des Zollamtes HafenCity auf sein Paket wartete, musste mit leeren Händen wieder gehen.

Elektronik aus Japan, Sportschuhe aus Amerika, Arznei aus Fernost: 50.000 Sendungen haben die Zöllner in der HafenCity allein 2013 bearbeitet, in der Spitze 300 am Tag. Sie haben Rechnungen geprüft, Gebühren und Steuern bestimmt und oftmals auch die Inhalte der unzähligen Kartons gesichtet. Und der Strom der Waren aus der Welt außerhalb der Grenzen der Europäischen Union reißt nicht ab. Im Gegenteil: Er steigt, dank ungebremst beliebtem Online-Shopping, mit zweistelligen Zuwachsraten.

Zehn Prozent mehr Sendungen werden die Zöllner an der Koreastraße wohl auch in diesem Jahr bearbeiten. So ist es schon in den Jahren zuvor gewesen, mindestens. Dabei bearbeiten die Zöllner nur einen Teil dessen, was aus aller Welt auf dem Postweg in die Hansestadt verschickt wird. Ihre Sendung an der Koreastraße abholen müssen nur jene Hamburger, an deren Paket beispielsweise die Rechnung fehlt oder deren Inhalt falsch deklariert sein könnte. In allen anderen Fällen bringt die Post die Sendung und treibt die nötigen Gebühren an der Haustür ein.

Angesichts der aktuellen Entwicklungen muss der Zoll weiterdenken. „Wir können uns weiteren Planungen nicht verschließen“, sagt Zollsprecher Oliver Bachmann. Dabei war das schicke neue Zollquartier erst 2011 eröffnet worden. Doch die Warenflut fordert nicht nur den Zoll. Auch Empfänger und Besteller müssen auf viele Formalia achten. Denn die vergessen oftmals nicht nur die Grenzen der Einfuhrbestimmungen wie im Fall der Koralle, sondern auch die Einfuhrabgaben. Und die fallen auch an, wenn etwas in einem EU-Land bestellt, aber aus einem Nicht-EU-Land verschickt wurde.

Vermeintliche Schnäppchen können teuer werden

„Neben der Verbrauchsteuer auf Genussgüter wie Kaffee oder Tabak fallen im Regelfall ab einem Warenwert von 22 Euro auch die Einfuhrumsatzsteuer und ab einem Wert von 150 Euro die Zollgebühr an“, erklärt Sabine Klauer, die Dienststellenleiterin. Ein vermeintliches Schnäppchen kann so schnell den finanziellen Rahmen sprengen. Ein Beispiel: Für 250 Dollar teure Turnschuhe aus den USA, die mit 16,9 Prozent Warenwert verzollt und 19 Prozent Einfuhrumsatzsteuer bewertet werden, müssten so am Schalter zusätzlich knapp 70 Euro entrichtet werden.

Ein Beispiel, aber nicht die Regel. Arne Sibilis, 31, importiert regelmäßig aus Japan Videospiele, etwa Sondereditionen oder solche Versionen, die es in Europa nicht gibt. Ganze acht Euro Einfuhrumsatzsteuer sind es, die der Student im ersten Stock des Zollgebäudes an der Kasse zusätzlich entrichten muss, bevor er das Päckchen entgegennehmen darf. „So oft war ich noch nicht hier“, sagt er, „drei, vier Mal vielleicht, aber meistens werden die Sendungen direkt nach Hause geliefert.“ Warum er diesmal mit zweiwöchiger Frist zum Zollamt gebeten wurde, weiß er nicht.

„Wir sind nicht die Bösen, die alles wegnehmen“, sagt Sabine Klauer im Lager hinter den Abfertigungsschaltern, in dem sich die Pakete bis an die Decke stapeln. „Die wenigsten Sachen werden nicht herausgegeben.“ Allerdings könne die „Informationstoleranz“ besser sein. „Es gibt viele Menschen, die der Meinung sind, wenn etwas bestellt werden kann, dann ist es auch erlaubt.“ Dabei könnten sie sich auf der Internetseite des Zoll (www.zoll.de) informieren.

Es geht auch um Markenrechte und Produktsicherheit

Der Zoll, der mit dem Eintreiben von Gebühren die Staatseinnahmen sichere, wie Klauer betont, sei mit seinem Erstzugriffsrecht „die einzige Stelle, die einen Filter leisten kann, bevor etwas auf den Markt kommt“. Entsprechend weit gehen die Prüfungen der Beamten. Die Grenzen des Einführbaren wird dabei nicht nur vom Artenschutz vorgegeben, auch Markenrechte und Produktsicherheit spiele eine wichtige Rolle.

Gerade Letztere sorgt regelmäßig dafür, dass eben doch viele Sendungen nicht ausgegeben werden dürfen, darunter knapp 95 Prozent aller elektrischen Gerätschaften aus asiatischen Ländern. Beliebt bei Online-Shoppern und gefürchtet beim Zoll sind Tauchpumpen mit undichter Elektrik, Laserpointer, die Papier durchbrennen können, Epiliergeräte, Akkus. „Diese Geräte sind teilweise hochgefährlich, allein wenn sie sich die Stecker anschauen“, sagt Klauer. Sie würden in der Regel zurückgeschickt, auch damit der Käufer einen Anspruch auf Erstattung habe.

Arzneimittel haben keine Chance

Arzneimittel, insbesondere in Tablettenform, haben keine Chance beim Zoll, Lifestyle-Produkte wie Vitaminpräparate müssen vor der Herausgabe genau analysiert werden. Gefälschte Markenartikel werden zerstört. Zahlreiche unechte Luxus-Taschen und Sportschuhe lagern an der Koreastraße in einem kleinen Raum. Einen Monat müssen sie aufbewahrt werden, bevor sie zerschreddert werden können, solange währt die Einspruchsfrist. Insgesamt hat sich die Zahl der Beanstandungen in den letzten Jahren verdoppelt.

Der Zoll als Bundesbehörde arbeitet eng mit Forschungseinrichtungen wie dem Zoologischen Institut oder Landesbehörden wie der Gesundheitsbehörde zusammen, um schnell Klarheiten schaffen zu können. Etwa, wenn ein unbekanntes Präparat auf dem Tisch liegt oder die Sendung noch lebt. 2011 verhalfen die HafenCity-Zöllner den Mitarbeitern des Zoologischen Instituts zu Begeisterungsstürmen, nachdem sie in der Augenhöhle eines Büffelschädels eine Spinne entdeckt hatten.

„Wir haben das Paket gleich wieder zugemacht“, sagt Katja Günther, die Abfertigungsleiterin, „und zur Bestimmung an die Zoologen geschickt.“ Wie sich herausstellte, handelte es sich um eine Schwarze Witwe, eine giftige Spinnenart und ein seltenes Exemplar. „Die Spinne lebt immer noch“, sagt Günther. Auch die Zukunft der Steinkoralle scheint gesichert „Entweder geben wir sie für den Biologieunterricht an eine Schule oder verwenden sie als Anschauungsobjekt in unseren Schulungen.“