Jacqueline Herrmann ist eine von ihnen. Sie läuft am 4. Mai in Hamburg zum fünften Mal

Hamburg. Rudelbildung, ahnt Jacqueline Herrmann, ist wohl noch eine ihrer Schwächen. Sich selbst, dann die Spieler schützen, das sollten die ersten Reaktionen einer Schiedsrichterin sein, wenn sich Fußballer auf dem Platz zusammenrotten, um Meinungsverschiedenheiten ohne Ball zu klären. Da solche Situationen inzwischen wieder seltener vorkommen, fällt das Gesamturteil der Beobachter über Herrmann dennoch „gut“ aus.

Die 23-Jährige darf Spiele in der Zweiten Frauen-Bundesliga, bei den Männern in der Hamburger Landesliga, der sechsten Klasse, pfeifen. An der Linie assistiert sie bereits in höheren Ligen. Läuferisch ist sie ohnehin eine der Besten ihrer Zunft. Das überrascht nicht, startet sie doch beim Haspa-Marathon am 4. Mai zum fünften Mal über die 42,195 Kilometer. Ihre Bestzeit hat sie in den vergangenen Jahren auf respektable 3:57 Stunden gesteigert.

Frauen sind beim Marathon lange Zeit unerwünscht. Ihnen trauen Ärzte, Sportmediziner, vor allem aber männliche Funktionäre nicht zu, die Strapazen der Strecke körperlich zu bewältigen. Noch 1967 wird Katherine Switzer, die sich als K. V. Switzer angemeldet hat, um keinen Hinweis auf ihr Geschlecht zu liefern, in Boston vom Veranstalter mit Polizeigewalt von der Straße geholt. 1972 dürfen in Boston die ersten Frauen offiziell mitlaufen, 1984 in Los Angeles das erste Mal bei Olympia. Heute beträgt bei den großen Stadtmarathons in den USA der Frauenanteil um die 50 Prozent.

Deutschland und Europa hinken da deutlich hinterher. In Hamburg sind zuletzt rund 24 Prozent weibliche Teilnehmer am Start, in Berlin im Herbst knapp 30 Prozent. „Je kürzer die Strecke ist, desto mehr Frauen machen mit“, sagt Hamburgs Marathon-Chef Frank Thaleiser. Frauenläufe über sechs, acht oder zehn Kilometer seien regelmäßig im Handumdrehen ausgebucht, bei der Hamburger Marathon-Staffel, die in vier Abschnitte über 16,3, 11,2, 5,4 und 9,4 Kilometer unterteilt ist, sind etwa 50 Prozent der Läufer Läuferinnen.

Das Training für einen Marathon kostet über Wochen und Monate Zeit. Die hätten viele Frauen nicht, weil sie sich stärker als Männer um familiäre Belange kümmern wollen oder müssen, sagt der Hamburger Sportsoziologe Prof. Hans-Jürgen Schulke, früher selbst ein schneller Marathonläufer. Hinzu käme, dass die meisten Frauen nicht diesen verbissenen Ehrgeiz entwickelten, die Männer oft zu extremen Leistungen treibe. „Für viele Frauen ist Sport ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens, für Männer dagegen kann es der Mittelpunkt werden“, sagt Schulke. Männer seien daher weit stärker gefährdet, dass ihre Laufleidenschaft in eine fast selbstzerstörende Laufsucht umschlägt. „Frauen laufen tendenziell erholsam-gesundheitsorientiert, ältere Läuferinnen eher in Gruppen und Lauftreffs, weniger extensiv, weil sie nur ein begrenztes Zeitbudget zur Vorbereitung haben. Jüngere Frauen rennen lieber allein, ohne große Wettkampfambitionen und Vereinsbindung.“ Weitere Unterschiede gebe es zwischen Stadt, Land und Bildungsgrad.

Für die Abiturientin Jacqueline Herrmann, Kundenberaterin der Haspa, gehört Sport seit nun zehn Jahren zu ihrem Alltag. Zweimal in der Woche trainiert sie beim TuS Osdorf und beim Hamburger Fußballverband in Jenfeld mit anderen Schiedsrichtern, selbst kickt sie bei der Groß Flottbeker Spielvereinigung in der Kreisliga. Am Wochenende spielt und pfeift sie, oft zweimal. In den letzten drei Monaten vor dem Marathon joggt sie zusätzlich mit Kollegen ein- bis zweimal in der Woche vor der Arbeit bis zu zehn Kilometer. „Mein Freund spielt auch Fußball und läuft gern, das passt schon“, sagt sie. Dennoch kann sie sich kaum vorstellen, noch in zehn Jahren Marathons zu bestreiten: „Sollte ich mal Kinder bekommen, wäre das zeitlich alles schwer zu vereinbaren.“ Zuletzt hat sie sich nach ihren Marathons immer ein Woche freigenommen, um ihren Muskelkater auszukurieren. „Vier Tage lang ging fast gar nichts“, sagt sie.

Weil Frauen in den 1980er- und 90er-Jahren eine Marathonbestzeit nach der anderen laufen, glauben damals einige Experten, sie werden demnächst die Männer überholen. „Frauen werden Eigenschaften wie stärkerer Kampfgeist, höhere Erschöpfungsbereitschaft und geringere Schmerzempfindlichkeit zugeschrieben. Das sind natürlich beste Voraussetzungen für einen Marathon“, erklärt der Hamburger Sportmediziner Prof. Klaus-Michael Braumann diese Prognosen. „Inzwischen geht man davon aus, dass aus biologischen Gründen in allen Laufdisziplinen, also auch beim Marathon, Frauen-Weltrekorde immer um die neun bis zwölf Prozent über den Bestmarken der Männer liegen werden.“

Jacqueline Herrmann interessieren diese Zahlen nicht. Sie will Spaß haben, wieder Teil „dieses großartigen Events“ sein – und möglichst unter vier Stunden ankommen. Das schaffen in Hamburg im vergangenen Jahr 31,6 Prozent der Frauen und 56,5 Prozent der Männer (siehe Tabelle rechts).