Müssen die Senioren ausziehen, wenn Hamburg das denkmalgeschütztes Gebäude verkauft? Auf dem Areal sollen 140 Sozialwohnungen entstehen

Hoheluft-Ost. So hatten sie sich ihren Lebensabend im Martin-und-Clara-Heimann-Stift nicht vorgestellt. Statt beim gemütlichen Nachbarschaftsplausch über Enkel und Familie zu reden, ist jetzt ihre ungewisse Zukunft Thema Nummer Eins bei den Senioren aus dem Wohnstift an der Löwenstraße. „Wir sollen weg“, sagt Mieterbeirätin Hannelore Rohlf, 71.

Das Grundstück, auf dem die beiden denkmalgeschützten Stiftshäuser stehen, gehört der Stadt. Es soll an eine Investorengruppe verkauft werden. Zu dem „Paket“ gehört auch das Gebäude der Senator-Erich-Soltow-Stiftung, das ebenfalls auf dem Areal, aber zur Breitenfelder Straße hin, liegt.

Es soll abgerissen und durch einen Neubau mit 140Sozialwohnungen ersetzt werden. Auf der Grünfläche, die die Bewohner der Wohnstifte als Garten nutzen, sind drei Häuser mit Eigentumswohnungen geplant. Die Häuser des Heimann-Stifts sollen nach dem Willen der Stadt „in enger Absprache mit dem Denkmalschutzamt“ entkernt werden; hier sollen weitere 63 Sozialwohnungen entstehen.

Die Idee ist, dass die beiden Stiftungen das städtische Grundstück freimachen und dafür im Tausch von der Stadt Baugrund am Grandweg in Lokstedt erhalten. Dort könnten sie einen Neubau mit altersgerechten Wohnungen errichten.

„Unsere Gebäude müssten für einen siebenstelligen Betrag saniert werden. Das Geld haben wir nicht“, sagt Sebastian Kühl, Rechtsanwalt und ehrenamtlicher Vorstand der Heimann-Stiftung. Für das Bauvorhaben könne man einen Kredit aufnehmen, für die Sanierung sei das in diesem Falle nicht möglich. Die Pläne für den Neubau wurden den Bewohnern des Heimann-Stifts 2012 vorgestellt. Seitdem sind sie im Ungewissen. Die Verhandlungen zwischen Stiftungen und Stadt laufen seit Jahren. Trotz eines durchgeführten Ideenwettbewerbs zur Nachverdichtung städtischer Grundstücke 2011 bislang ohne Ergebnis. „Wir hängen in der Luft – und mit uns unsere Mieter“, sagt Andreas Meyer aus dem Vorstand der Soltow-Stiftung. „Die Verhandlungen gleichen Planspielen, bei denen wir nicht mitreden können.“ Mal seien es gestiegene Baukosten, mal geänderte Bauvorschriften, mal eine neue Idee der Stadt, die die Planungen immer wieder verzögerten. Im Frühsommer endet die Phase der Anhandgabe, die dem Investor die Möglichkeit geboten hat, sich mit der Entwicklung des Grundstücks zu beschäftigen. „Dann gilt: Außer Spesen nicht gewesen“, so Meyer.

Für die Bewohner, überwiegend Alleinstehende mit kleiner Rente, ist die Ungewissheit das Schlimmste. „Es ist ein Unding, dass sie nicht regelmäßig über den Stand der Verhandlungen informiert werden“, sagt Rolf Bosse vom Mieterverein zu Hamburg. „Auch wenn es keine Ergebnisse gibt, könnten ihre Vermieter darüber berichten.“ So aber ernte man Misstrauen. Das ungewisse Schicksal der Stiftbewohner hat im Bezirk schon für ziemlichen Wirbel gesorgt. Die Initiative „Wir sind Eppendorf“ kritisiert das Tauschgeschäft von Stadt und Stiftungen als „Kuhhandel“.

Die Bauplanungen seien weder am Gemeinwohl noch an den Interessen der Mieter orientiert, sondern „allein vom fiskalischen Interesse der Stadt und dem kommerziellen Interesse des Bauträgers geprägt“. Kritisch gesehen wird auch der Vorstand der Heimann-Stiftung, Vorstandsmitglied Axel Kloth kommt aus der Immobilienbranche. „Unsere Ämter sind ehrenamtlich“, betont Kloth. Es gebe keine geschäftliche Verbindungen zu den Investoren.

Manche der Mieter würden sich über einen Umzug freuen, denn die 1902 erbauten Häuser des Heimann-Stifts sind alles andere als altersgerecht. Andere aber möchten nicht umziehen. „Ich wohne seit 1938 im Stadtteil, seit 20 Jahren hier im Stift und möchte in dieser Gegend bleiben“, sagt die 93-jährige Erika Bothmann, die noch ziemlich rüstig ist. Und Polina Blickstein, 76 Jahre alt und Holocaust-Überlebende, ergänzt: „Ich bin schwerbehindert. Wie soll ich einen Umzug schaffen?“

Vom derzeitigen Standort sei alles gut zu erreichen, sagt Hannelore Rohlf: Läden, Ärzte, Bushaltestellen, die Martinuskirche und das Kulturhaus. „Das Grundstück am Grandweg ist weit vom Schuss“, sagt sie. Zum Bus müsse man eine ganze Ecke laufen, das sei für viele nicht zu schaffen. Die Entfernung, die laut Stiftungsvorstand nur 500 Meter beträgt, sei für ältere Menschen eine ungeheure Distanz.

Aus Sorge um die Zukunft der Wohnstifte in Hamburg-Nord hatte es auf Initiative der Grünen in der vergangenen Woche eine Öffentliche Anhörung gegeben. Auch zahlreiche Bewohner von Heimann-Stift und Soltow-Stiftung hatten sich auf den beschwerlichen Weg zum Bezirksamt gemacht – in der Hoffnung, hier etwas über die Zukunft ihrer Stifte zu erfahren. Nur: Deren Vorstände waren gar nicht eingeladen. Die Beteuerung der anwesenden Stiftungen, zwar Geldsorgen zu haben, aber weiterhin existieren zu können, halfen den Alten nicht weiter.

Wäre Heimann-Stift-Vorstand Sebastian Kühl eingeladen gewesen, hätte er den Bewohnern des Wohnstifts sagen können, dass sie nicht nach Lokstedt ziehen müssten. „Sie können auch in ihren Wohnungen bleiben, wenn die Stiftung auszieht“, sagt er. Dann hätten sie lediglich einen anderen Vermieter und müssten in Kauf nehmen, dass hinter den Häusern gebaut werde. Vor einer Mieterhöhung müssten sie keine Angst haben, die Mietpreisbindung gelte noch zehn Jahre. Mieterbeirätin Rohlf bezeichnet das als „Augenwischerei“. „Wir können hier nicht wohnen bleiben, schließlich sollen die beiden Häuser entkernt und grundsaniert werden.“ Damit könne man noch warten, sagt Investor Karsten Horx.

Auch Horx bietet den Bewohnern des Heimann-Stifts, die nicht umziehen wollen, im Falle eines Vertragsabschlusses an, zu bleiben. Für die Bewohner der Soltow-Stiftung kommt das nicht in Betracht; ihr Haus wird dann abgerissen. Mit der Umsetzung des Vorhabens rechnet Horx allerdings nicht vor 2015. Mit den 203 Sozialwohnungen, die durch die Umsetzung der ursprünglichen Planungen geschaffen würden, überträfe man die vorgegebene Quote der Bezirksversammlung, sagt Horx. Statt 62 Prozent würden rund 73Prozent öffentlich geförderter Wohnraum entstehen. In den drei Neubauten auf der Grünanlage sind 74 Eigentumswohnungen vorgesehen. Als sogenannte Punkthäuser ließen sie viel freie Fläche, so der Investor. Die könnte auch von den Senioren genutzt werden, sofern sie bleiben wollten.