Der legendäre Flying P-Liner verrottet in New York. Das Museum, dem das Schiff gehört, will es seiner Heimatstadt Hamburg schenken. Fehlt nur noch einer, der dieses Präsent finanziert. Ein Besuch an Bord.

Es müffelt ein wenig streng. Im „Captain’s Saloon“, dem Wohnzimmer des Kommandanten, wabert der Geruch von alter Feuchtigkeit, er weicht nur langsam, wenn man ein Bullauge öffnet. Hier lebten einst die mächtigsten Männer auf diesem Schiff. Hinrich Nissen und Jürgen Jürs zum Beispiel, oder auf der letzten Reise Hans Rohwer. Namen, die untrennbar mit großer Seefahrtsgeschichte verbunden sind. Die Kapitäne der legendären Flying P-Liner waren ebensolche Berühmtheiten wie ihre Schiffe.

Sie residierten entsprechend privilegiert an Bord, ganz anders als die Mehrzahl der rund 30 Seeleute in ihrem Logis, nämlich mit eigenem Bad und großzügigem Schlafzimmer und eben dem „Captain’s Saloon“. Dessen Wände sind mit Mahagoni und Ahorn verschalt, auf einer Bank liegen Kissen wie am Kaiserhofe: purpurfarben. Einst war das hier „der feinste Raum des Schiffes“, wie es auf einer kleinen Tafel an der Wand geschrieben steht. Doch davon ist nicht mehr allzu viel zu sehen. Von der weißen Decke bröckelt Rost, auf dem Boden liegt ein gelber Schutzhelm. Eine gräulich matte Staubschicht hat sich auf alles gelegt, sie lässt Besucher niesen. Verkommener Glanz – ein Synonym fürs ganze Schiff: Die „Peking“ ist eine abgetakelte Diva.

Die geschichtsträchtige Viermastbark könnte einige Schönheitsoperationen vertragen, doch es ist, als habe die Praxis des Schiffschirurgen geschlossen: Nichts passiert. Die „Peking“, einer der vier verbliebenen von ursprünglich rund 80 P-Linern, liegt im Southstreet Seaport in Lower Manhattan, New York. Festgemacht mit Leinen, so dick wie eine Boa Constrictor. Sie bewegt sich sanft auf dem East River, als ein kleiner gelber Schlepper neben ihr manövriert, der die Luft volldieselt. Aber sonst – Stillstand.

Es ist ein merkwürdiges, ein befremdliches Gefühl: Friedhofsruhe, wo einst das Leben tobte. Die beiden mächtigen, übermannshohen Steuerräder, die früher zuweilen von mehreren Leuten gebändigt werden mussten: unbeweglich, festgezurrt. Man schlendert auf knarzendem Holz locker über das Deck, wo dereinst oft nicht einmal Stehen möglich war und das Wasser brusthoch schäumte. Gigantisch, aber nackt die Masten, in denen die Männer ehedem schwankend in höchsten Höhen in den Rahen arbeiteten, Schulter an Schulter, in schwerem Ölzeug. „Das ist alles heute nur sehr schwer vorstellbar“, sagt Jonathan Boulware, der Interimspräsident des Museums, ein netter Kerl mit Augen wie Paul Newman: sehr blau. „Nicht zu ermessen, wie die Seeleute in Stürmen und bei Eiseskälte vor Kap Hoorn in die Rahen mussten. Oder wie die Decks von tosendem Wasser überspült wurden. Die Männer müssen sich vorgekommen sein wie in einer riesengroßen Waschmaschine.“

Boulware ist von der Stadt übergangsweise als Chef des insolventen Museums eingesetzt worden, bis die Zukunft des Hauses geklärt ist. 22 Millionen Dollar Schaden hat der Tropensturm „Sandy“ im Oktober 2012 allein am Museum angerichtet, außerdem stellte ein Gönner seine Zuwendungen ein. Für die „Peking“ ist das eine Katastrophe – und zugleich eine große Chance. Der Unterhalt ist nicht mehr aufzubringen, ihr Platz an der Pier könnte gewinnbringend neu vergeben werden. Sie muss weg. Um jeden Preis. Sogar umsonst. „Wir möchten die ‚Peking‘ nicht verkaufen“, sagt Jonathan Boulware, „wir schenken sie Hamburg.“

Das Problem dabei: Niemand kann sagen, wie teuer dieses Geschenk werden wird. Die „Peking“ ist nicht mehr schleppfähig. Sie müsste entweder vor dem Verholen in ihre alte Heimat – an der Elbe lief sie 1911 bei Blohm + Voss vom Stapel – in einen entsprechenden Zustand versetzt werden oder per Dockschiff über den Atlantik. Da würden enorme Summen fällig, ehe noch die erste Reparatur, der erste Pinselstrich getan ist.

Dennoch bemüht sich Henning Schwarzkopf, ein Hamburger Anwalt, seit Monaten, die „Peking“ in die Hansestadt zu holen: Gemeinsam mit einem Gleichgesinnten von der Handelskammer sucht er nach Spendern, um eine Stiftung errichten zu können, „die dann die Eigentumsgesellschaft der ,Peking‘ wird“, so Schwarzkopf, ein Herr mit buschigen Augenbrauen und engagierter Stimme. Zwei Millionen Euro sollen Medienberichten zufolge von Spendern bereitgestellt worden sein, plus drei weitere, die allerdings trotz Zusagen noch nicht überwiesen sind. Allein für den Transport und seine Vorbereitung braucht es eine Million Euro, „nur eine Million!“, wie Jonathan Boulware sagt. Für New Yorker Verhältnisse ist das ein Taschengeld, no big deal.

Es ist ein himmelblauer, warmer Mittwoch in Manhattan, und der Blick von der „Peking“ verzaubert. Da strahlt „New York by Gehry“ in der Sonne, ein Hochhaus von 267 Metern und aufsehenerregender Architektur. Und die Brooklyn Bridge und drüben, auf der anderen Seite des East River, die Uferpromenade Brooklyns.

Auf der Pier vor der „Peking“ sitzen Touristen, die ihre Rucksäcke abgelegt haben und im Schatten des Schiffs Abkühlung suchen. Von der Ausflugsfähre zur Freiheitsstatue strömen Menschen. Fast reflexhaft schauen sie ins imposante, 51 Meter aufragende Rigg des Rahseglers. 32 Segel hat es einst getragen, bis zu 4100 Quadratmeter Tuch.

Dass solch eine Touristenattraktion Hamburg gleichermaßen zu Gesicht stehen würde – ganz wie es ihr Schwesterschiff „Passat“ für Travemünde tut –, darüber besteht kein Zweifel. Die Frage ist nur, ob sich ein Weg findet, das Geschenk zu finanzieren. Zumal noch völlig unklar ist, wie teuer eine Restaurierung in der Summe letztlich kommen würde. Das Ausmaß der Schäden lässt sich per Augenschein nur grob abschätzen, Experten haben die gesamten Projektkosten mit 30 Millionen Euro überschlagen. Hinzu käme der laufende Unterhalt. Ein Wagnis.

Ebenso unstrittig aber ist, dass die Geschichte der „Peking“ aufs Engste mit Hamburg verbunden ist und die Stadt bereichert hat. Das Schiff wurde einst für den Nitrathandel genutzt, es fuhr im Liniendienst Hamburg–Südafrika. „Das war sein täglich Brot“, sagt Jonathan Boulware, „dafür wurde es gebaut – um 3100 Tonnen Fracht über den Ozean zu transportieren.“

Aber das tat es nicht besonders lange. Schon 1932 stellte die „Peking“ den Frachtdienst ein, fortan lag sie als stationäres Schulschiff auf dem Medway im englischen Rochester, unterbrochen von einem Weltkriegseinsatz als Unterkunft für Angehörige der Royal Navy. Am 31. August 1974 wurde die betagte Lady für 70.000 Pfund an eine New Yorker Stiftung versteigert, seit Sommer 1975 liegt sie nun hier, dem Museum geschenkt.

Doch hier hat sie keine Zukunft. So schnell wie möglich soll sie verschwinden; der Stadt, dem Museum, ganz in der Nähe der Wall Street gelegen, fehlt es an Geld, Raum und Energie. Alle verfügbaren Ressourcen werden derzeit in die Beseitigung der Schäden gesteckt, die „Sandy“ hinterließ. Der Hurrikan hatte Lower Manhattan überschwemmt, auch das Museum soff ab, der Keller, das Erdgeschoss – alles unter Wasser. Die Renovierungsarbeiten gingen langsam voran, wie überall in diesem Teil New Yorks. Noch immer wird hier gebohrt und gestrichen. Der South Street Seaport ist nach wie vor ein Containerdorf, in dem betroffene Geschäfte provisorisch untergebracht sind.

So fristet die „Peking“ nur mehr ein kümmerliches Dasein. Sie wird bloß noch sporadisch für Besucher geöffnet, hin und wieder dient sie als Kulisse für eine Hochzeit oder einen Film. Es wäre ein jämmerliches Ende, wenn sie keinen neuen Hafen in der alten Heimat fände. „Darüber möchte aber lieber niemand nachdenken“, sagt Boulware und verzieht das Gesicht, als habe er in eine Zitrone gebissen. Kurze Pause, dann sagt er: „Fakt ist: Die ,Peking‘ wäre jetzt noch in einem Zustand, in dem sie zu retten ist.“

Dazu liegen Henning Schwarzkopf in Hamburg bereits die Angebote zweier Werften vor: eine aus Kaliningrad, die andere aus Bremen. Fehlt nur noch einer, der bezahlt.