Ungewöhnlich viele Probleme bei der Auszählung und Übermittlung der Stimmen. Fünf Lokale noch ohne Ergebnis. Der Landeswahlleiter zeigte sich zwar enttäuscht, wollte die Probleme aber auch nicht überbewerten.

Hamburg. Selten zuvor hat die Auszählung einer Wahl in Hamburg für derartige Verwirrung, Verunsicherung und Ärger gesorgt. Rechenfehler in der Statistik, verwechselte Erst- und Zweitstimmen, vergessene Ergebnisse – Hamburg übermittelte seine Daten als letztes Land an den Bundeswahlleiter. Der Landeswahlleiter verspricht Aufklärung.

Rückblende: Am Montag um 16.28 Uhr schien sogar ein handfester Skandal auf die Stadt zuzurollen. In dem Augenblick verschickte die CDU eine Pressemitteilung mit dem Hinweis auf „erhebliche Ungereimtheiten“ im Wahlergebnis. Stein des Anstoßes waren zwei Zahlen in der Analyse des Statistischen Landesamtes. Demnach hatten sich 301.884 Briefwähler Unterlagen zuschicken lassen, aber nur von 198.739 war das Votum ins Wahlergebnis eingeflossen. „Wo sind die rund 100.000 Briefwähler und deren Stimmen geblieben?“, fragte CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich und betonte: „Es handelt sich nicht um kleine Abweichungen, sondern um massive Ungereimtheiten.“ Diese könnten sowohl für die Mandatsvergabe als auch für den Volksentscheid über die Energienetze relevant sein. Senat und Landeswahlleiter müssten „schleunigst“ für Transparenz sorgen.

Die Angesprochenen nahmen sich des Themas umgehend an und konnten noch am Abend Entwarnung geben: Es seien keine Stimmen verloren gegangen, teilte die Innenbehörde mit. Vielmehr sei es „nur“ zu Rechenfehlern bei der Erstellung der Statistik gekommen, am Wahlergebnis ändere das nichts. Tatsächlich seien rund 280.000 Briefwahlunterlagen abgegeben worden – mehr als je zuvor. Die Differenz zu den 301.000 ausgegebenen Briefwahlunterlagen entspreche „dem üblichen Schwund von fünf bis zehn Prozent“, dahinter verbergen sich also in erster Linie Wähler, die erst Unterlagen anfordern, dann aber doch nicht wählen.

Der Vorgang warf aber ein Schlaglicht auf eine Wahlnacht, die alles andere als optimal verlaufen war. Das begann schon am frühen Abend, als im Rathaus Übersichten verteilt wurden, wonach vor allem SPD und CDU bei der Bundestagswahl in Hamburg stark verloren hatten. Während sich die ersten Politiker zerknirscht dazu äußerten, stellte sich jedoch heraus, dass das Statistikamt aus Versehen die Zweitstimmen den Erststimmen von 2009 gegenübergestellt hatte. Tatsächlich hatten sowohl SPD als auch CDU hinzugewonnen. Von 22.30 Uhr an kam erneut Unruhe auf, weil Landeswahlleiter Willi Beiß zu dem Zeitpunkt eigentlich das vorläufige Endergebnis für Hamburg vermelden wollte. „Dazu war ich nicht in der Lage“, musste er am Montag einräumen, „das hat mich auch enttäuscht.“ Noch um Mitternacht hätten ihm die Ergebnisse aus 68 der 1686 Wahlbezirke nicht vorgelegen. Erst um 1.34 Uhr meldete Hamburg als letztes Bundesland Zahlen an den Bundeswahlleiter – und auch diese Daten waren noch nicht vollständig. Wie sich erst im Laufe des Montags herausstellte, fehlten zu dem Zeitpunkt noch fünf Wahlbezirke. Sie waren zwar ausgezählt, fielen aber durch die „Plausibilitätskontrolle“ – so muss etwa die Addition der Stimmen für die Kandidaten der Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen entsprechen. Wie Beiß erklärte, werden die Ergebnisse jetzt bis Freitag im Rahmen der Prüfung durch die Kreiswahlausschüsse ermittelt.

Der Landeswahlleiter zeigte sich zwar enttäuscht, wollte die Probleme aber auch nicht überbewerten. So seien auch nach der Bürgerschaftswahl 2008 drei Wahlbezirke noch nicht ausgezählt gewesen, bei der Europawahl 2009 habe ein Wahllokal seine Meldung vergessen, und auch bei der Bundestagswahl 2009 habe Hamburg Zahlen nach Berlin gemeldet, in denen noch drei Wahlbezirke fehlten.

„Daher sprechen wir ausdrücklich von einem vorläufigen Ergebnis“, sagte Beiß. Möglicherweise seien die größeren Probleme am Sonntag darauf zurückzuführen gewesen, dass außer der Bundestagswahl auch der Volksentscheid ausgezählt werden musste. „Wir werden der Frage nachgehen“, kündigte Beiß an. Vorrang habe aber die Ermittlung des amtlichen Endergebnisses, dafür gibt es gesetzliche Vorschriften.

Klar ist bereits, dass auch bei der Auszählung des Volksentscheides nicht alles rundlief. Noch am Dienstagmittag waren sieben Wahlbezirke nicht ausgezählt. Das betraf zwar „nur“ 10.000 Wahlberechtigte und konnte den Ausgang nicht mehr verändern, da die Befürworter des Netze-Rückkaufs mit gut 15.000 Stimmen vorn lagen. Aber das Landeswahlamt hatte kaum Informationen über die Gründe für den Verzug. Am Montag hatte Beiß davon gesprochen, dass offensichtlich einige Wahlhelfer einfach „alles stehen und liegen gelassen“ hatten. „Wir werden künftig bei der Aufstellung der Wahlvorstände noch genauer hinschauen“, hatte er angekündigt. In Hamburg wird nur jeweils der Vorsteher eines Wahllokals und sein Stellvertreter von den Bezirksämtern „bestellt“. Ihre drei bis sieben Beisitzer dürfen sie sich selbst aussuchen – meistens sind diese den Behörden daher gar nicht bekannt.

Am Dienstagabend stellte sich dann aber heraus, dass doch alle Wahlbezirke den Volksentscheid ausgezählt hatten und nur in sieben Fällen die Schnellmeldung vergessen worden war. Auch im Endergebnis blieb es dabei, dass die Befürworter des Netze-Rückkaufs mit 50,9 zu 49,1 Prozent gewonnen hatten.

Möglicherweise droht noch mehr Ungemach. Bei der CDU und auch beim Abendblatt meldeten sich etliche verärgerte Wähler, die über nicht zugeschickte Briefwahlunterlagen berichteten oder dass sie im Wahllokal weggeschickt wurden, weil Unterlagen nicht vorlagen. „Unsere Webseite ist zusammengebrochen“, berichtete CDU-Sprecherin Julia Wagner.