Der Chirurg Ulf Bauer operiert im Urlaub in Eritrea und bildet dort Kollegen aus. Dem Land fehlen noch immer gut ausgebildete Fachärzte

Eimsbüttel/Asmara. Auf dem Flughafen von Asmara, der Hauptstadt von Eritrea, wird der Hamburger Arzt Ulf Bauer mit seinem gynäkologischem Team abgeholt. Es ist abends, gegen 22Uhr. Gut 13 Stunden Reisezeit liegen hinter ihm. Jetzt fährt er erst einmal ins Hotel, um zu schlafen. Am nächsten Morgen muss der Facharzt für Chirurgie, Hand- und Unfallchirurgie früh aufstehen. Mehrere gynäkologische Operationen und ärztliche Besprechungen stehen im Orotta-Krankenhaus auf dem Plan, außerdem die Fortbildung junger eritreischer Ärzte. Routine eben. Und schließlich will Ulf Bauer wissen, ob das telepathologische Labor wieder funktioniert. Es sendet Tumordaten von der Klinik direkt zur diagnostischen Auswertung nach Deutschland.

Willkommen im nordöstlichen Afrika – in einem Staat mit rund 6,3 Millionen Einwohnern. Einst war das seit 1993 selbstständige Eritrea italienische Kolonie und Teil von Äthiopien. Die Lebenserwartung der Menschen in dieser Region Afrikas beträgt 64 Jahre. Es gibt zwar in der Hauptstadt, die am Rande eines riesigen Plateaus in einer Höhe von 2300 Metern liegt, ein einigermaßen funktionierendes Gesundheitswesen. Aber es fehlen noch immer gut ausgebildete Fachärzte – besonderes Anästhesisten und Gynäkologen.

Bis 2006 mussten angehende Ärzte im benachbarten Äthiopien studieren. Weil sich erst seit kurzem eine professionelle medizinische Ausbildung im Land etabliert hat, mangelt es noch immer an Fachärzten und qualifizierten medizinischen Lehrkräften. Um hier zu helfen, engagiert sich der Hamburger Arzt Ulf Bauer gemeinsam mit der Facharztklinik und dem Michaelisförderverein im Rahmen der Initiative „My Eritrea“. Normalerweise arbeitet der 72-Jährige in einer Chirurgischen Gemeinschaftspraxis in Eimsbüttel. Doch seine Urlaubszeit nutzt er, um in Afrika zu arbeiten. Und das schon seit fast zehn Jahren.

Bauer war von Beginn an fasziniert von der Lebensfreude trotz aller Armut

Erstmals lernte Ulf Bauer, der in Hamburg „Die Facharztklinik“ mit begründet hat, das kleine Land am Roten Meer durch einen befreundeten Kollegen kennen. Der nahm ihn mit in die pulsierende Metropole Asmara, wo das Durchschnittsalter der Einwohner 18 Jahre beträgt und die Menschen von einer besseren Zukunft träumen. „Die Eritreer und ihre Freude am Leben auch bei schlechten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben mich von Anfang an begeistert“, sagt Bauer. Bald stand für ihn der Entschluss fest, diesem Land im permanenten Aufbruch zu helfen.

Also suchte der Chirurg zunächst mehrere Partner und Organisationen, die bei der Finanzierung seines Einsatzes und der Ausstattung des Orotta-Krankenhauses in Asmara halfen. Bis zum Jahr 2011 arbeitete der Hamburger Mediziner während seines Urlaubs vor allem als Chirurg. Besonders häufig musste er Brandverletzte ärztlich versorgen. „Weil es in vielen Regionen noch keinen Strom gibt, nutzen die Menschen einen Kocher mit Brennstoff. Häufig fallen sie um und verursachen schwerste Verbrennungen.“

Inzwischen hat sich der Mediziner aus der aktiven Operationstätigkeit zurückgezogen. Meist bleibt er im Hintergrund und berät die jungen eritreischen Ärzte. Stärker als früher konzentriert er sich aber nun auf das Management und die Verbesserung der medizinischen Infrastruktur. So ist es ihm in Kooperation mit anderen Kollegen gelungen, ein kleines telemedizinisches Labor aufzubauen. Es ist in der Lage, die Daten eines Mikroskops mit Gewebeproben zum Beispiel einer erkrankten Gebärmutter in ein Fachinstitut nach Potsdam zu übertragen. Dort wird dann die Diagnose erstellt. „Neulich aber war das Gerät in Eritrea kaputt“, sagt Ulf Bauer. „Ein Anwendungsfehler.“ Keiner konnte es reparieren, und so war es mehrere Wochen nicht einsatzfähig. Bis Dr. Bauer auf die Idee kam, einen IT-Techniker aus dem Hotel um Hilfe zu bitten. Innerhalb von drei Minuten, berichtet er, war es wieder startklar.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Einführung der gynäkologischen Bauchspiegelung in der Orotta-Klinik in Asmara. Eine Woche lang führten die Hamburger Gynäkologinnen Kirsten Graubner und Carola Edelmann sowie OP-Schwester Sabine Schwenker gemeinsam mit eritreischen Kollegen 18 Operationen durch – acht davon unter dem Einsatz der Bauchspiegelung. In Deutschland ist die so genannte Laparoskopie seit Jahren Stand in Diagnostik und Therapie von Erkrankungen an Gebärmutter, Eileitern, Eierstöcken und Bauchfell. Und nun auch nördlich des Horns von Afrika.

Viel effektiver als große Organisationen arbeiten kleine Ärzte-Teams

Anders als in früheren Jahren setzt jetzt das Hamburger Ärzteteam aber nicht mehr auf die Unterstützung großer Organisationen. „Viel effektiver sind kleine Teams mit maximal drei Personen. Das hat nach meiner Erfahrung einen höheren Wirkungsgrad“, sagt Bauer. Finanziert wird die Arbeit durch Spenden in Kooperation mit dem Verein Human-Plus – und durch Zeit, die Fachärzte zur Verfügung stellen. Sie kümmern sich nicht nur um Patienten, sondern auch um die Weiterbildung von Fachärzten, vor allem in den Bereichen Gynäkologie und Anästhesie. Mit Erfolg. Inzwischen haben die ersten Mediziner in Eritrea promoviert. Mit einer zusätzlichen Facharztausbildung verfügen sie über ein großes Potenzial, um den dringend notwendigen weiteren Ausbau des Gesundheitswesens voranzutreiben, heißt es bei der Initiative „My Eritrea“.

Alle Arbeitsfelder werden gemeinsam mit den Partnern vor Ort diskutiert und koordiniert. Wie jüngst bei einem internationalen Workshop, der in der Facharztklinik Hamburg stattfand. Dabei erörterten der Dekan des Asmara College of Science sowie die Leiter der Institute für Krankenpflege und Anästhesie gemeinsam mit deutschen Kollegen, wie sie die künftige Zusammenarbeit gestalten wollen.

Für Ulf Bauer jedenfalls steht der nächste Einsatz bereits fest. Im September wird er erneut mit der Gynäkologin Graubner nach Eritrea reisen, um junge Ärzte weiterzubilden und auf neue Patienten zu treffen. Was ihn besonders an den afrikanischen Kranken fasziniert, ist ihre große Dankbarkeit – und ihr Familiensinn. „Wer in Eritrea krank ist“, sagt Bauer, „wird von einem gut funktionierenden sozialen Netz in der Familie getragen.“ Das, fügt er hinzu, gibt es in Deutschland nicht mehr so häufig.