Einen Tag nach dem Großeinsatz in Altona kam es erneut zu schweren Ausschreitungen. Spezialmaßnahmen angekündigt. Warum das Viertel schon seit 2012 im Visier der Ermittler ist.

Altona-Altstadt. Randalierer haben sich in der Nacht zum Sonnabend in der Chemnitzstraße in Hamburg-Altona erneut eine Auseinandersetzung mit der Polizei geliefert. Bis zu 150 Krawall-Macher hätten sich diesmal gegen die Beamten solidarisiert, teilte ein Sprecher der Polizei mit. Es sei zu Widerstandshandlungen gekommen, sagte der Sprecher weiter. Ein Mann, der Steine auf die Beamten warf, wurde festgenommen. Zuvor soll die Polizei durch das Zünden von Feuerwerkskörpern in einem Hinterhof zu dem Einsatz provoziert worden sein. „Man wollte es drauf ankommen lassen“, sagte der Sprecher.

Mehr als hundert Polizisten waren vor Ort. Nur wenige Meter weiter kam es in der selben Nacht ebenfalls zu Ausschreitungen als sich größere Gruppen von Immigranten in der Holstenstraße versammelten. In der Karl-Wolff-Straße brannte ein PKW vollständig aus. Ein weiterer PKW wurde durch Flammen in der Hospitalstraße beschädigt, konnte aber von den eingesetzten Polizeibeamten Rechtzeitig gelöscht werden. Wenig später brannten auch die Reifen eines Autos, das wenige Straßen weiter geparkt war. Als die Ermittler dort eintrafen, seien sie von etwa 40 jungen Menschen mit Steinen beworfen worden, sagte ein Polizeisprecher. Verletzt wurde niemand. Ein 21-jähriger Steinewerfer wurde vorläufig festgenommen.

Um weiteren Auseinandersetzungen vorzubeugen, kündigte die Polizei für die Nacht zum Sonntag Spezialmaßnahmen an. Was dies konkret bedeutet, dazu wollten sich die Ermittler nicht äußern.

Beide Ereignisse stehen in direkter Verbindung zu Ausschreitungen in Hamburg-Altona am Tag davor, bei denen es zu einem Großeinsatz an der Holstenstraße kam: Rund 100 Polizisten haben in der Nacht zum Freitag eine Gruppe jugendlicher Randalierer in Gewahrsam genommen, während sich bis zu 150 Anwohner mit den jungen Leuten solidarisierten und polizeifeindliche Parolen riefen. Nach den krawallartigen Auseinandersetzungen ermittelt die Polizei gegen 16 Männer im Alter von 17 bis 26 Jahren wegen Sachbeschädigung, Landfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollzugsbeamte. Die jungen Männer wurden in der Nacht vorläufig festgenommen.

Der Einsatz hatte um kurz nach 23 Uhr begonnen und sich bis in den frühen Morgen hingezogen. Zuerst blendeten die Jugendlichen sowohl Autofahrer als auch Polizisten, die während eines sogenannten „Schwerpunkteinsatzes“ dort waren, mit Strahlen aus Laserpointern. „Die Beamten wollten daraufhin diese Gruppe überprüfen“, sagt Hauptkommissar Holger Vehren. Einige der Jugendlichen griffen die Beamten sofort an. Vehren: „Bei den polizeilichen Maßnahmen kam es durch diese Jugendlichen zu massiven Bedrohungen und kollektiven Widerstandshandlungen.“ Auch viele Anwohner, die dazukamen, störten laut Polizei „massiv den Einsatz“. Einer soll den Beamten zugerufen haben: „Der nächste Polizist, der dieses Viertel betritt, ist tot.“ Die Polizei reagierte mit einer Strafanzeige.

Für Anwohner Mustafa J., 21, stellt sich die Situation allerdings anders dar: Die Jugendlichen, die nach dem abendlichen Fastenbrechen im Ramadan am Kiosk Süßes und Getränke gekauft hatten, seien plötzlich und ohne Grund von einer Gruppe Polizisten gestellt worden. „Sie hatten keine Ahnung warum das passiert ist“, behauptet Mustafa J. Die Situation sei eskaliert, als die Polizei grundlos Pfefferspray einsetzte. Fest steht: Ein Jugendlicher erlitt Augenreizungen nach dem Einsatz von Pfefferspray, ein weiterer wurde mit Kreislaufproblemen ins Krankenhaus gebracht.

Die Polizei kennt die meisten Jugendlichen schon. Einige von ihnen gehören zu einer Gruppe, die seit mehr als einem Jahr im Visier der Ordnungshüter ist.

Angefangen hatten die Schwerpunkteinsätze im Mai vergangenen Jahres. Der Grund: Immer wieder waren angetrunkene Kiezbesucher überfallen worden, die durch das Viertel gegangen waren. Die Polizei identifizierte eine Gruppe junger Männer im Alter von 16 bis 24 als Drahtzieher dieser Taten. Der „harte Kern“ wird auf zehn Personen, die ganze Gruppe auf 30 Personen geschätzt.

Die Palette der ihnen zugerechneten Straftaten reicht von Körperverletzung über Raub bis hin zu Drogendelikten. Vor allem Zivilfahnder, aber auch uniformierte Polizeibeamte waren bei den Schwerpunkteinsätzen dabei. Federführend ist die Dienststelle ZD 64. Sie ist zuständig für „jugendliche Gewalttäter“. Neben der Polizei waren auch Sozialarbeiter – sogenannte Streetworker – an der Gruppe dran. Der Versuch lief ins Leere. Staatliche Einrichtungen sind bei diesen Jugendlichen offenbar nicht gerne gesehen. Das gilt manchmal auch für die Erziehungsberechtigten. So musste sich eine Polizistin der Wache Altona, in der einer der Jugendlichen in einer Zelle saß, von dessen hereinstürmenden Vater eine sehr frauenfeindliche Bezeichnung mit dem Hinweis „Gib meinen Jungen raus!“ anhören.

Vor allem die jüngeren Männer der Gruppe sind sich ihrer Situation bewusst. „Sie haben den Kollegen ins Gesicht gesagt, dass sie ohnehin nach dem Jugendstrafrecht abgeurteilt werden und damit keine Strafen zu befürchten haben“, sagt ein Beamter. Das ist auch die Einschätzung in einem internen Bericht. „In keinem Fall ist es zu einem nachhaltig wirkenden Urteil gekommen“, steht dort zu lesen.

Thomas Jungfer von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) hält das für nicht akzeptabel. „Hier ist die Justiz gefordert ein Zeichen zu setzen, das solchen Tätern deutlich macht, dass die Gesellschaft ein solches Verhalten nicht hinnimmt.“

Im Winter waren die Schwerpunkteinsätze in der Gegend vorübergehend eingestellt worden. In den vergangenen Wochen war die Polizei wieder präsenter. Mit der warmen Jahreszeit haben in dem Viertel auch die Probleme wieder zugenommen. Rund 70 Anzeigen wurden seit Jahresbeginn gegen Personen aus der Gruppe erstattet.