Der NSA-Skandal greift unsere Grundordnung an. Doch viele nehmen das ahnungslos hin

Das Erschreckende an den jetzt bekannt gewordenen Lauschangriffen: Vielen Bürgern sind sie völlig egal. Da überwacht die amerikanische National Security Agency (NSA) Millionen Telefonate, SMS, E-Mails und Chats – und viele der Kommentare auf Facebook, Twitter und Nachrichtenseiten klingen gelassen, zynisch oder nach ratlosem Achselzucken: Überrascht mich nicht… War doch jedem klar… Mir doch egal, ob mich die NSA belauscht. „Ich hoffe, sie haben Spaß dabei, HAHA :-))“, schreibt jemand auf „Spiegel Online“. Beispiele einer sorglosen Masse an Bürgern.

Wir werfen unsere Daten achtlos auf den Markt wie schmutzige Wäsche in den Korb. Profilfotos, Wohnorte, Geburtsdaten, Einkäufe, Kontodaten; wir verlinken und kommentieren in unserem Namen. Die Nutzer haben sich daran gewöhnt, dass ein Leben mit dem Internet ein massenhaftes Teilen, Austauschen und Preisgeben ist. Das ist nicht neu. Alltag im Kommunikationskarussell, das uns schwindelig macht. Doch es ist erst dieser Alltag, der wie ein fruchtbarer Nährboden Spionagearbeit und Sammelwut der Geheimdienste wachsen lässt.

Es geht nicht mehr nur um maßgeschneiderte Werbung, die am Rand meiner Webseite auftaucht oder um Fotos wilder Partys, die meine Chefin vielleicht auf Facebook entdeckt. Es geht um private Geheimnisse: E-Mails, persönliche Nachrichten in sozialen Netzwerken, Telefongespräche, Dokumente auf Computern. Offenbar schalten sich die amerikanische NSA und der britische Geheimdienst unbemerkt in unseren Alltag ein.

Die US-Sicherheitsbehörde soll sogar die Bundesregierung samt Kanzlerin im Visier haben. Es geht um Staatsgeheimnisse, um Politik und die Verfolgung politischer Gegner.

Deutschland verliert dabei die Kontrolle über seine Daten und die Daten seiner Bürger an die USA. Währenddessen verfolgen viele eher gelangweilt die Bundestagsdebatten über die Vorratsdatenspeicherung.

Wir ahnen nur, was der NSA-Skandal bedeuten könnte. Das wahre Ausmaß können wir nicht (er)fassen. Das ist die größte Bedrohung.

Wer einen Weckruf braucht, sollte in den US-Bundesstaat Utah reisen. Dort baut die NSA ihr neues Zentrum. Der Journalist James Bamford gibt in seinem Artikel „Inside the Matrix“ tiefe Einblicke in die Zukunft eines Überwachungsstaates. Zwei Milliarden Dollar kostet der Bau. Allein vier gut 7000 Quadratmeter große Rechenzentren stehen in Utah. Gefüllt mit Servern, gebaut, um gesammelte Daten zu filtern und auszuwerten.

Dass Geheimdienste Telefonate abhören, ist bekannt. Doch in Deutschland sind sowohl dem Bundesnachrichtendienst als auch dem Verfassungsschutz vom Bundestag enge Grenzen der Überwachung gesetzt. Die NSA kann sich in der virtuellen Welt mit moderner Technik über diese Grenzen hinwegsetzen. Hochleistungsrechner zapfen offenbar die modernen Glasfaserkabel an, die unsere Daten transportieren. Neu sind die Mengen an Informationen, die Geheimdienste sammeln. Stimmen die Berichte, ist auch neu, dass der US-Geheimdienst freien Zugang (!) auf die Server von Facebook, Google und Co. hat. Laut US-Gesetz sind aber nur punktuelle Abfragen von Daten möglich.

Natürlich gibt es Mahner im Internet und in der Politik und Nutzer, die sich empören. Aber wo sind die Proteste auf der Straße? Wo die massenhaften Austritte aus Facebook? Warum nutzen wir statt Google keine alternativen Suchmaschinen? Weil Google, Facebook und Co. sich eingeschrieben haben in unser Leben und die Politik. Die Menschen nutzen das Internet zum Chatten und Einkaufen, aber auch um politischen Protest zu organisieren. Das ist ein tolles Werkzeug, das ist bequem und effektiv.

Leider auch für den Geheimdienst. Deshalb sollten wir handeln. Und nicht davor kapitulieren.