Es ist Donnerstag, kurz nach 9.30 Uhr, als eine Sängerin mit langen, schwarzen Haaren zum Mikrofon greift und mit den Musikern des rumänischen Klassik Beat Orchesters Bukarest die Bibelarbeit eröffnet. Dieser Programmpunkt steht am Anfang eines jeden neuen Kirchentages und lenkt die Besucher traditionell auf die Quellen des christlichen Glaubens.

In der Messehalle B 7, wo noch Studenten der Universität Bukarest das Publikum begeistern, wird gleich ein Kirchenprofi auf die Bühne treten - und zwar in Begleitung seiner Frau. Meist sind es bekannte Persönlichkeiten aus Kirche, Wirtschaft und Gesellschaft, die Worte und Geschichten der Bibel auslegen. So auch an diesem Morgen. Es ist Professor Wolfgang Huber, der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ehemalige Bischof von Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Bevor er die Bühne mit seiner Frau Kara betritt, stellt ihn eine Kirchentags-Mitarbeiterin vor. Vier Enkelkinder hat der 70-jährige Theologe, den Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) zu Recht zu den "führenden intellektuellen Köpfen" der Republik zählte.

Auch war Huber einmal selbst Kirchentagspräsident - damals, 1983 bis 1985 in Düsseldorf. Als dies erwähnt wird, klatschen einige Teilnehmer Beifall. Man kennt einander eben aus früheren Zeiten. Einer wie Wolfgang Huber ist immer wieder für Überraschungen gut. Auch an diesem Donnerstag legt er sonst wenig beachtete Facetten über die um Gerechtigkeit bittende Witwe frei, nachdem seine Frau diese Bibelstelle vorgelesen hat.

Die Frau aus der Überlieferung des Lukasevangeliums klagte vor einem nicht gerade menschenfreundlichen Richter ihr Recht ein. Und drohte ihm wohl auch mit einer Ohrfeige, sollte nicht Gerechtigkeit geübt werden. Es ist ein Gleichnis Jesu. Was Wolfgang Huber schließlich so in die Gegenwart übersetzt: "Der Ton in diesem Text ist auf unverschämtes Drängen gestellt." Christen sollten diesem Beispiel folgen und mit Sachkenntnis Veränderungen für "eine gerechte, bessere Welt" in die Wege leiten. Zum Beispiel im Süden Europas, wo derzeit Millionen von jungen Menschen arbeitslos sind.

So unterstützt Wolfgang Huber eine Initiative der alten SPD-Männer Erhard Eppler und Hans-Jochen Vogel. Sie fordern einen europäischen Fonds zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. "Diese Idee", sagt Huber unter dem Beifall seiner Zuhörer, "ist richtig. Ich hoffe, dass die Kirchen die Zukunft der europäischen Jugend zu ihrem Thema machen." Denn was man gegenüber den jungen Menschen versäume, könne man später nicht mehr nachholen. Wie die Witwe aus der Bibel müsse sich niemand mit dem Status quo abfinden.

Das gilt nach Ansicht des renommierten Ethikers auch für die Finanzkrise: "Die Finanzmärkte dürfen nicht weiter Roulette spielen. Und die Regierungen dürfen nicht weiter Schulden machen."

Als Kirchentagsprofi weiß Huber aber auch, dass langes Sitzen auf den Kirchentags-Papphockern möglicherweise Rückenprobleme verursacht. Weshalb er seine Bibelarbeit für den kollektiven Gesang unterbricht und die Gäste auffordert, sich dabei von den Plätzen zu erheben. So kommt an diesem Morgen nicht nur der Glaube, sondern auch der Körper in Bewegung.