Warum man sich dieses Ereignis in Hamburg nicht entgehen lassen sollte

Wer noch nie auf einem Kirchentag war, wird erstaunt sein über das, was gerade in Hamburg passiert. Da fällt ein buntes Völkchen an Alster und Elbe ein, junge wie alte Menschen, mit blauen Schals und Rucksäcken, mit Pfadfinderuniformen und jeder Menge Liedern. Und es dauert gefühlt nur ein paar Augenblicke, bis das altehrwürdige Hamburg eine andere Stadt ist. Fröhlicher, heiterer, ausgelassener und, vor allem, optimistisch ist die Stimmung auf den Straßen und an den Kirchentagsorten, und es macht großen Spaß, sich einzureihen in die Menge, um ein Teil dieser wunderbaren Bewegung zu werden.

Was übrigens auch möglich ist, wenn man ansonsten mit Kirche und Kirchen wenig anfangen kann. Den Menschen, die deswegen nach Hamburg gekommen sind, kann sich kaum jemand entziehen.

Der Kirchentag ist, vielleicht neben dem Deutschen Turnfest, eines der am meisten unterschätzten Großereignisse in Deutschland. Was auf den flüchtigen Blick langweilig und überkommen wirkt, ist exakt das Gegenteil. Der Kirchentag verbindet auf eine einzigartige und ambitionierte Art Emotionali- und Intellektualität.

Es gibt wenig Orte, an denen es so leicht ist, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, und noch wichtiger: Die meisten davon haben auch wirklich etwas zu sagen. Man darf nur nicht den Fehler machen und sich abschrecken lassen von Bezeichnungen wie "Bibelarbeit" oder "Mitmachangebote" oder "Hauptperiodenreihe". Hinter den teilweise sperrigen Gattungsbegriffen verbergen sich in der Regel hochinteressante, anregende Termine mit einem Publikum, dessen größte Stärke neben dem Diskutieren das Zuhören ist. Und zwar, auch das nicht typisch für diese Zeit, ohne Handys und Smartphones ständig griffbereit zu haben. Der Kirchentag nutzt die neuen Techniken selbstverständlich. Aber seine Besucher wissen eben auch, dass es hier und jetzt in Hamburg vor allem auf den persönlichen Kontakt ankommt, auf den analogen Dialog. Welch eine Wohltat!

Hamburg, die Großstadt der Singlehaushalte, die Metropole der Individualisten, kann noch etwas anderes vom Kirchentag lernen - nämlich wie gut es ist, in einer Gemeinschaft zu sein. Die Teilnehmer des Kirchentages leben Hamburg quasi das andere Gesellschaftsmodell vor, die Alternative zu der Variante, die sich aktuell in der Hansestadt durchzusetzen scheint. Sie beweisen dabei, dass es gar nicht so schwer ist, ein Wirgefühl zu entwickeln. Der gemeinsame Glaube hilft dabei natürlich, aber fast genauso wichtig sind gelebte Eigenschaften wie Offenheit, Toleranz und Fröhlichkeit. Und am Ende die Frage, was im eigenen Leben wichtig ist, wie viel man selbst, aber eben auch, wie viel andere brauchen.

Dieses ist nicht nur das Kernthema des aktuellen Kirchentages, es ist auch ein Kernthema unserer Zeit. Dass man sich in Hamburg jetzt so eindringlich und ausführlich damit beschäftigt, zeigt im Übrigen auch, dass der Kirche ein Vorwurf zu Unrecht gemacht wird - nämlich, dass sie nicht weiß, was die Menschen heute bewegt. Wenn man sich das Programm der kommenden Tage ansieht, scheint genau das Gegenteil richtig. Die evangelische Kirche spricht die drängenden Probleme zumindest klarer und klüger an, als man es von den politischen Parteien im nahenden Wahlkampf erwarten darf.

So oder so: Möglichst viele Hamburgerinnen und Hamburger sollten die Chancen nutzen, und wenn es nur für ein paar Stunden ist, Teil des Kirchentages und seiner Bewegung zu werden. Denn mit welchen Worten auch immer man versucht, die besondere Atmosphäre, den Geist oder Spirit dieses Treffens zu beschreiben - richtig fühlen wird man all das erst, wenn man es selbst erlebt hat.