Die Hamburgerin Mareike Guhr nähert sich der Erfüllung eines Lebenstraums: als Skipperin im Pazifik segeln. Auf dem Weg dorthin hilft sie Waisenkindern in Haiti.

Elftausend Seemeilen und zwölf Länder hat Mareike Guhr schon im Kielwasser. Vor einem Jahr machte die 44-jährige Hamburgerin die Leinen los, um mit dem Katamaran "La Medianoche" die Welt zu umsegeln. Nicht allein, auch nicht nonstop, sondern mit Chartergästen an Bord, die für einzelne Etappen anheuern. Ihr Traum: Im Pazifik zu segeln. Nach einigen Höhen und Tiefen, hat die Segelsportlerin und Journalistin ihn nun realisiert. Noch bis Ende 2015 wird sie unterwegs sein - und will dabei viele Menschen von dieser Art zu reisen begeistern.

"La Capitana" ist im Hafen von Zar Par bestens bekannt. Die blonde Skipperin des 15 Meter langen elfenbeinfarbenen Katamarans hat ein routiniertes Anlegemanöver hingelegt. Unter den Machos auf der Marina im Süden der Dominikanischen Republik sorgt sie zudem mit ihrem Lächeln für Begeisterung. "La Capitana" ("die Kapitänin"), dass ist in Zar Par der Spitzname von Mareike Guhr.

Seit 2009 arbeitet die 44-Jährige an der Realisierung ihres Traumes. Ohne große finanzielle Mittel macht sie sich damals auf die Suche nach einem geeigneten Schiff. Doch Boote, die sich für eine Weltumsegelung eignen, sind nicht nur teuer, sondern auch selten. Doch schließlich lernt Mareike Guhr die Eigner der "Shaka" eines Bootes der Marke Swan kennen, die zu einem Leihgeschäft bereit sind. Per Vertrag werden die Konditionen festgelegt - dann kann es losgehen. Doch der Deal platzt schon früh: Nach der Atlantiküberquerung muss Mareike Guhr das Schiff aus der Karibik zurück nach Cuxhaven bringen.

"Das war natürlich sehr frustig, aber ich habe mich sofort darangesetzt, ein neues Schiff zu finden." Sie entdeckt den Katamaran "La Medianoche" der Firma Moonsailing und bricht im März 2012 zur Weltumsegelung auf - zum zweiten Mal. "Auf den Kanaren habe ich das Boot übernommen und bin von dort zuerst ins Mittelmeer gesegelt. Die Region war klasse, um sich an das Schiff zu gewöhnen." Der einzige kritische Moment ist ein plötzlicher Wassereinbruch im Motorraum, als Mareike Guhr einhand auf dem Weg von Lanzarote nach Las Palmas ist: "Viel Wind, viel Welle, dann auch noch eine enge Hafeneinfahrt - es war gruselig", erinnert sie sich ungern.

Doch dafür entschädigt die erste Etappe, die Atlantiküberfahrt im Zuge der Atlantic Rally for Cruisers (ARC): Drei Wochen auf See, alles klappt gut, auch wenn es meist sehr stürmisch ist. Weihnachten und Silvester verbringt Mareike Guhr mit Gästen an Bord in der Karibik. Die nächsten Etappen zählen zu den Leckerbissen der Karibik und sind bei den Chartergästen begehrt: St. Lucia, Antigua, Tortola und Santo Domingo. Und mit jeder Seemeile kommt die Skipperin dem Pazifik und ihrem Traum ein Stückchen näher ...

In der Karibik aber liegen Luxusstrände und bitteres Leid nah beieinander. Das weiß Mareike Guhr spätestens seit dem Besuch eines Waisenhauses in Haiti, dem ärmsten Land der westlichen Hemisphäre: "Als ich die erste Tour mit der ,Shaka' startete, war das schwere Erdbeben in Haiti gerade erst passiert. Ich wollte helfen und habe nach einer Möglichkeit gesucht, etwas vor Ort tun zu können." Auf der Seekarte entdeckt Mareike Guhr die kleine Insel Île à Vache, drei Seemeilen vor Haitis Südwestküste. "Sportboothäfen gibt es in Haiti nicht. Vor der Île à Vache, einer Insel ohne Strom, fließend Wasser und Autos ist die einzige sichere Stelle im Land, an der man mit einem Segelschiff ankern und an Land gehen kann." Und auf der Insel fand Mareike Guhr das Waisenhaus der kanadischen Schwester Flora.

"Gerade den Kindern in Haiti geht es oft sehr schlecht, viele wachsen als Waisen auf", sagt die Weltumseglerin. Bei ihrem ersten Besuch 2011 brachte sie Hilfsgüter und Spenden in Höhe von insgesamt 10.000 Euro in das Waisenhaus. Auch mit der "La Medianoche" hat sie die Île à Vache jetzt wieder angesteuert und vorher in einem Supermarkt in Santo Domingo (Dominikanische Republik) für 2500 US-Dollar eingekauft: T-Shirts, Hosen, Handtücher, Windeln, Batterien, kiloweise Pasta, Reis und Zucker sowie etliche Liter Speiseöl und natürlich Spielzeug und Buntstifte. "Zu den Menschen auf der Île à Vache habe ich eine ganz besondere Beziehung, viele habe ich beim zweiten Versuch wiedergetroffen. Sie sind total arm, fragen nach Jobs, wollen Wäsche waschen, das Boot sauber machen und andere Arbeiten erledigen."

Auch im Waisenhaus, das 1,5 Stunden Fußmarsch vom Ankerplatz entfernt liegt, wird sie wieder mit offenen Armen empfangen. "Die Leute grüßen freundlich, Kinder in Schuluniformen staunen über meine weiße Haut und das blonde Haar." Zwei ehemalige Waisenkinder kümmern sich um den Transport der Hilfsgüter von Bord der "La Medianoche" zum Waisenhaus. In einem der wenigen Boote mit Außenbordmotor werden sie zum Anleger von Madame Bernard, dem größeren der beiden Orte auf der Insel, gebracht. Von dort geht es per Esel weiter ins Waisenhaus. Die nach dem Einkauf übrig gebliebene Spendensumme wandert dort in den Tresor. "Seit meinem Besuch vor knapp zwei Jahren hat sich hier enorm viel getan - ich kann sehen, dass jeder Euro, der gespendet wird, hier auch ankommt", sagt Mareike Guhr. "Was den Kindern aber am meisten fehlt, ist Zuneigung. Sie umarmen einen sofort, und lassen nicht mehr los."

Mit dem Versprechen, weiter Spenden für die Waisen auf der Île à Vache zu sammeln und wiederzukommen, verlässt Mareike Guhr die Insel. Bis Colón an Panamas Ostküste sind es etwa 600 Seemeilen. Von dort folgt noch ein Abstecher mit Gästen zu den San-Blas-Inseln, bevor es durch den Panamakanal und in den Pazifik gehen soll: "Der Kanal ist für mich so etwas wie ein kleiner Mount Everest."

Und bevor sie das Segelrevier ihrer Träume erreicht, hat die Skipperin auch noch einen ganzen Berg an Bürokratie und Reparaturen am Boot zu erledigen. Die Pazifik-Etappen mit Gästen an Bord sind schon durchgeplant und tragen verheißungsvolle Namen Galapagos, Marquesas oder Tuamotus. Ziel Ende des Jahres will Mareike Guhr Neuseeland erreicht haben. Dort wird das Boot überholt, und "La Capitana" gönnt sich ein bisschen Erholung. Mareike Guhr fliegt für ein paar Wochen zurück nach Hamburg.