Zur Eröffnung der Internationalen Bauausstellung kamen Tausende nach Wilhelmsburg. IBA-Chef wirft Kritikern “soziale Spaltung“ vor.

Hamburg. Andere nennen es Hügel, für Hamburger ist es ein Berg: Auf dem Gipfel der früheren Mülldeponie in Georgswerder ist die Hansestadt aus bisher unbekannter Perspektive zu sehen. Möglich macht es die Internationale Bauausstellung (IBA), die aus dem Müllberg einen Ort der Energiegewinnung und ein neues Ausflugsziel gemacht hat. Zur Einweihung des Rundgangs in 40 Meter Höhe ("Horizontweg") gab es am Sonntag Ansprachen, Luftballons und eine spektakuläre Aussicht über die Elbe.

Am Abend zuvor war die Bauausstellung auf einer schwimmenden Bühne vor dem Wilhelmsburger Bürgerhaus feierlich eröffnet worden. Trotz der eisigen Temperaturen waren Hunderte Zuschauer gekommen. IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg bedankte sich bei den Wilhelmsburgern für die Einschränkungen, die sie in den vergangenen Jahren erdulden mussten. Doch es habe sich gelohnt. "Wilhelmsburg hat die Wende geschafft", sagt er. Mit Blick auf die IBA-Gegner, die sich am Rande der Eröffnungsfeier versammelt hatten und Verdrängung und Mietsteigerung anprangerten, sagte Hellweg: "Kritik an der Aufwertung durch die IBA führt unmittelbar in die soziale Spaltung der Stadt." Schließlich seien durch die IBA neuer Wohnraum, ein Energieverbund und eine Bildungsoffensive entstanden. "Hamburg hat mit der IBA eine dauerhafte Entwicklung angestoßen, die das Gesicht der Stadt verändern wird", sagte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Die Entwicklung des lange vergessenen Wilhelmsburg löse im übrigen Stadtgebiet "neugieriges Staunen" aus auf das, was sich dort getan hat.

Die Besucher der Energieberg-Eröffnung nahmen jedenfalls erstaunt eine frisch aufgelegte Drucksache zur Kenntnis: den ersten Hamburger "Bergführer". Mit dieser kostenlosen Fibel erfahren die Besucher Wissenswertes über die frühere Mülldeponie, die jetzt Energieberg heißt. An 13 Punkten des 900 Meter langen Horizontweges, der teilweise auf meterhohen Stelzen verläuft, wird die Entwicklung vom Umweltfrevel mit Dioxinaustritt 1983 bis zur heutigen Rolle als einer der IBA-Höhepunkte dargestellt. "Energieberg und Horizontweg sollen Geschichte erzählen und wachhalten", sagte Projektkoordinatorin Simona Weisleder am Rande der Eröffnungszeremonie im Informationszentrum an der Fiskalischen Straße. Dort wird auch die Multimedia-Schau "Der gebändigte Drache" gezeigt. Seit 2008 trieb die Architektin die Umsetzung auf dem 45 Hektar großen Areal voran. Vom Gesamtetat in Höhe von 9,5 Millionen Euro übernahm die Europäische Union 4,25 Millionen. Der Bau des Horizontweges kostete rund fünf Millionen Euro.

Wer einen Überblick über Hamburg haben möchte, muss Bergsteigen können: Vom Informationszentrum führen wahlweise geschwungene Wege oder 139 Treppenstufen zum Gipfel. "Die Mühe lohnt sich", stellte nicht nur Helga Schors nach der "Erstbesteigung" am Sonntagmorgen fest. Die Sprecherin des Arbeitskreises Georgswerder, eine engagierte Anwohnerin mit Durchsetzungsvermögen, zählte vor drei Jahrzehnten zu den Demonstranten gegen die Umweltkatastrophe inmitten der Großstadt. Neben Trümmerschutt, Haus- und Sperrmüll waren jahrelang 200.000 Tonnen Sonderabfälle in Flüssigbecken und Fasslagern deponiert worden. Dieser Giftmüll ist keineswegs verschwunden, sondern mit Gras und Sträuchern überdeckt. 450 sichtbar installierte Betriebs-, Mess- und Überwachungseinrichtungen erinnern an die im Berg schlummernden Erbsünden. "Wahrscheinlich jedoch gibt es kaum einen Ort in Hamburg, der intensiver beobachtet und kontrolliert wird", meinte Helga Schors. Dann freute sie sich mit den anderen Premierengästen über blaue Luftballons, die mit dem stürmischen Wind auf die Reise geschickt wurden. Der geplante Staffellauf von Kindern war wegen der Eiseskälte ebenso abgesagt worden wie Ansprachen unter freiem Himmel.

Die Reden wurden stattdessen im Informationszentrum gehalten. "Die Planungen eines neuen Stadtteils im Rahmen der Bürgerbeteiligung Berg und Deich machen den Wandel des Müllbergs deutlich", sagte Manuel Sarrazin, stellvertretender Landesvorsitzender der Grünen und Wahlkreisabgeordneter vor Ort. Es entstehe neues Leben: "Heute sind naturnahes Wohnen, neue Freizeitangebote und wohnverträgliches Gewerbe nebeneinander die Schwerpunkte der Bürgerplanung." Nach den Reden wurde geklettert. Auch Umweltsenatorin Jutta Blankau (SPD) und IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg erklommen die Stufen. An ihrer Seite schritt EU-Kommissar Johannes Hahn empor. Der Österreicher konnte nur schmunzeln über das, was die Hamburger einen Berg nennen.

Vom Energieberg ging es für viele Besucher dann per IBA-Bus zu den Leuchtturmprojekten der IBA, darunter Energiebunker, IBA-Dock, Harburger Schlossinsel und das Herz der IBA, die "Bauausstellung in der Bauausstellung". Hier herrschte gegen Mittag Volksfeststimmung. Die innovativen Gebäude waren Publikumsmagneten. Staunend standen die Besucher vor dem grünen Algenhaus, dessen Fassade Elemente mit blubberndem Wasser enthält: Heimat für Algen, die Energie erzeugen. Schlangen bildeten sich auch vor dem Soft House, dessen Textilfassade sich ähnlich einer Blüte der Sonne zuwendet; im Innern gibt es Vorhänge mit integrierten LED-Lichtern, die die Stärke des Windes abbilden können. Vor dem Gebäude "Smart ist grün", das seinen Bewohnern eine Ladesäule für Elektromobile bietet, war ein Parcours aufgebaut. Auch hier herrschte großer Andrang: Die Besucher konnten mit E-Bikes, Segways und elektrischen Skateboards fahren. "Das macht Spaß", sagte Emilie, 10, aus Eimsbüttel. Sie war mit ihren Eltern gekommen - eine der vielen Familien, die einen Ausflug zur IBA-Eröffnung gemacht hatten. "Wir haben uns schon etliche der neuen Gebäude angeschaut, aber es gibt ja noch so viel mehr zu entdecken", sagte Emilies Mutter, Anna Maria Vogelsanger. "Im Sommer werden wir sicher häufiger Fahrradtouren nach Wilhelmsburg unternehmen."

Genau so soll es sein, finden Heide und Günther Reese, die seit mehr als 50 Jahren auf der Elbinsel wohnen. Obwohl direkt neben ihrem Zuhause seit drei Jahren gebaut wird, sind sie der IBA freundlich gesonnen. "Sie lockt viele Menschen an, das wertet unseren Stadtteil auf", sagen sie. Zwar seien einige der innovativen Gebäude in Wilhelmsburg-Mitte "architektonisch und farblich gewöhnungsbedürftig, aber das so etwas Einzigartiges gerade bei uns entsteht, ist doch faszinierend." Ähnlich wie sie würden viele Wilhelmsburger die IBA begrüßen - die Kritiker und Demonstranten, meinen die Reeses, kämen aus anderen Teilen der Stadt.