Teil 1: Burn-out, Depression, Angst - psychische Störungen machen vielen Menschen das Leben schwer. Die zehn häufigsten Erkrankungen und ihre Behandlung.

Hamburg. Stress, Erschöpfung, Ausgebranntsein - immer mehr Menschen leiden an einem Burn-out, fühlen sich den Anforderungen von Beruf und Privatleben nicht mehr gewachsen. Gleichzeitig wird immer häufiger die Diagnose einer psychischen Erkrankung gestellt. So erkrankt jeder Vierte im Laufe seines Lebens an einer Depression. Selbst die Kleinsten sind davor nicht geschützt: Die Depression ist die häufigste psychische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen. Das Abendblatt hat diese Entwicklung zum Anlass genommen, um in einer großen Serie über psychische Leiden zu berichten. In den kommenden zwei Wochen informieren Hamburger Experten täglich im Lokalteil über die wichtigsten seelischen Störungen und ihre Behandlungsmöglichkeiten. Betroffene und Angehörige erzählen von ihren Erfahrungen. Die Serie soll auch Mut machen, mehr über diese Erkrankung zu sprechen.

Für viele Betroffene ist das immer noch ein Problem. Sie verstecken ihre Krankheit, weil sie fürchten, ausgegrenzt zu werden. Über einen Herzinfarkt kann man sprechen, über eine Depression eher nicht. Man könnte annehmen, dass der Begriff Burn-out das Reden darüber leichter macht. Aber an diesem Punkt sind selbst Experten uneins. "Der Begriff Burn-out wird deswegen so gern benutzt, weil er suggeriert, dass Menschen nur dadurch krank werden, weil sie zu viel gearbeitet, sich in ihrer Arbeit womöglich aufgeopfert haben. Eine solche Ursache lässt sich nach dem Empfinden vieler Betroffener im persönlichen Umfeld leichter akzeptieren als eine Depression.

Dieser Begriff ist in weiten Teilen der Öffentlichkeit immer noch deutlich negativer besetzt, obwohl es sich um eine weit verbreitete Erkrankung handelt. Sie kann auf die unterschiedlichsten Ursachen zurückgehen, unter anderem auch auf erbliche Faktoren, und wird - ganz zu Unrecht - eher mit Versagen oder persönlicher Schuld assoziiert als der Begriff Burn-out", sagt Dr. Ute Bavendamm, Sprecherin des Hamburger Landesverbandes der Deutschen Psychiater. Ihr Kollege Dr. Guntram Hinz, ebenfalls Sprecher des Verbandes, sieht das anders: "Ich halte den Begriff Burn-out für hilfreich, weil er es Menschen leichter macht, über psychische Beschwerden zu sprechen, wie zum Beispiel Erschöpfung, Ausgebranntsein oder Unzufriedenheit im Beruf."

95.000 Hamburger pro Quartal in Behandlung

Einig sind sich die beiden Psychiater darin, dass es hilft, das Tabu zu brechen, wenn Erkrankungen von Prominenten öffentlich werden. Anlässlich des Suizids des Fußballspielers Robert Enke habe sich im sportlichen Bereich, aber auch darüber hinaus in der öffentlichen Wahrnehmung das Bewusstsein für die Hilfs- und Behandlungsbedürftigkeit der an Depression erkrankten Menschen verstärkt. Dies trage dazu bei, dass Betroffene jetzt früher ärztlichen Beistand suchten, sagt Bavendamm. "Auch wenn Prominente öffentlich berichten, wie sie eine Sucht in den Griff bekommen haben, setzen sich die Menschen mehr mit diesem Thema auseinander", ergänzt Hinz.

Klar ist auch, dass die Diagnose einer psychischen Erkrankung von Jahr zu Jahr häufiger gestellt wird. Das zeigen mehrere Untersuchungen unterschiedlicher Krankenkassen. So hat die Zahl der Fehltage wegen psychischer Leiden in Hamburg laut dem aktuellen DAK-Gesundheitsreport zwischen 2000 und 2012 um 59 Prozent zugenommen. In jedem Quartal suchen laut Hinz insgesamt 95.000 Hamburger die 150 nervenärztlichen und psychiatrischen Praxen in der Hansestadt auf. Weitaus mehr gehen wegen psychischer Probleme zum Hausarzt. Das heißt aber nicht, dass es wirklich eine Zunahme der psychischen Störungen gibt. Es handelt sich eher, so der DAK-Report, um eine Verschiebung. Weil Hausärzte sensibler für diese Thema geworden sind, stellen sie heute auch häufiger eine solche Diagnose, als dass sie allein körperliche Erkrankungen nennen.

Wenn es um die Therapie psychischer Leiden geht, existieren in der Bevölkerung immer noch große Ängste. Viele Menschen fürchten Psychopharmaka. Sie haben Angst davor, dass sie durch die Einnahme von "Psycho-Pillen" nicht mehr sie selbst sind. Zu Unrecht, meinen die beiden Psychiater. Durch die Einführung neuer Medikamente in den letzten Jahrzehnten seien für viele Patienten langfristige stationäre Aufenthalte unnötig geworden, sagt Ute Bavendamm. Wenn die Patienten auf für sie geeignete Psychopharmaka eingestellt seien, sei es ihnen in weit größerem Umfang als früher möglich, in ihrem persönlichen und beruflichen Umfeld zu bleiben und gesund zu werden. "Moderne Mittel gegen Depressionen, sogenannte Antidepressiva, machen nicht abhängig und führen auch nicht dazu, dass man ein anderer Mensch wird." Vorsicht geboten sei aber bei reinen Beruhigungsmitteln, den Benzodiazepinen. Sie könnten abhängig machen. Wichtig ist vor allem eins: "Psychopharmaka gehören in die Hände eines Fachmanns, weil nur dieser Nutzen und Risiken der Medikamentenbehandlung zusammen mit dem Patienten beurteilen können", sagt Hinz.

„Es gibt zu wenige Ärzte für die psychiatrische Versorgung“

Zu einer guten Therapie gehört auch das regelmäßige Gespräch mit den Patienten in der Sprechstunde, die psychiatrische Psychotherapie, die zwischen zehn Minuten und einer Stunde dauert. Diese Behandlung kostet Zeit. Das ist auch der Grund, warum Hinz und Bavendamm in ihren Praxen nur 20 bis 30 Patienten am Tag behandeln, wesentlich weniger als ein Hausarzt. Doch beide spüren täglich den großen Bedarf, der in Hamburg herrscht. "Es gibt zu wenige Ärzte für die psychiatrische Versorgung und damit für die Behandlung von Notfällen", sagt Bavendamm.

Wer akut psychische Probleme habe, rät Hinz, solle sich zunächst an seinen Hausarzt wenden, der dann meist für die schnelle Überweisung zum Facharzt sorge. Wer aber nicht in einer bedrohlichen Notsituation ist, muss auf ein erstes Gespräch beim Facharzt im Durchschnitt sechs bis acht Wochen warten. Noch länger sind die Wartezeiten für eine längerfristige Psychotherapie, die von einem Arzt oder Psychotherapeuten nach Genehmigung durch die Krankenkassen durchgeführt wird. Hier liegt die Wartezeit auf einen Therapieplatz zwischen drei bis sechs Monaten.

Die Hamburger Gesundheitsbehörde will die Versorgung verbessern. "Durch einen verbesserten Zugang zur Behandlung, intensivere Vernetzung von Ärzten und Psychotherapeuten mit Kliniken und ergänzenden psycho-sozialen Hilfen, angepassten Therapiekonzepten und kürzeren Verweildauern in Krankenhäusern und Tageskliniken bestehen Möglichkeiten, die Versorgung zu optimieren. Es gibt bereits verschiedene integrierte psychiatrische Versorgungsmodelle zwischen Krankenkassen, Kassenärztlicher Vereinigung, Krankenhäusern, Ärzte- und Versorgungszentren und gemeindepsychiatrischen Einrichtungen, die verhandelt oder schon umgesetzt werden", sagte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks.