Die 41-jährige Astrid Kleist tritt ihr Doppelamt an St. Jacobi an. Die gebürtige Hamburgerin beendet so die lange Vakanz an der Hauptkirche.

Hamburg. Wenn Astrid Kleist darüber Auskunft gibt, für was sie als Pastorin und Christin steht, macht sie gern mal einen Ausflug in ihre Kindheit. Damals habe sie einen Um-die-Ecke-Gucker gehabt. So eine Art Fernrohr, "mit dem man in den Blick bekommt, was sonst verborgen bleibt". Detektive benutzten das, um Geheimnissen auf die Spur zu kommen, habe sie sich vorgestellt. In ihrem Fall war es die Dreingabe einer Jugendzeitschrift. Mit hoher Faszinationskraft - bis heute. "Der christliche Glaube und sein Auftrag ist auch so etwas wie ein Um-die-Ecke-Gucker", sagt sie und lächelt dabei. "Man sieht mehr und anders."

Es ist zu spüren, dass ihr das wichtig ist. Auch in ihrem neuen Arbeitsfeld. Zehn Jahre hat die unverheiratete Theologin in Alt-Osdorf auf der Kanzel gestanden, künftig wird sie in der Hamburger City unter hohen gotischen Bögen predigen. Astrid Kleist ist die neue Hauptpastorin an St. Jacobi und Pröpstin im Kirchenkreis Hamburg-Ost. Am späten Mittwochabend haben die Kirchenparlamentarier sie zur Nachfolgerin von Kirsten Fehrs gewählt, die seit November 2011 Bischöfin der Nordkirche im Sprengel Hamburg und Lübeck ist. Kleist setzte sich im zweiten Wahlgang mit 84 zu 36 Stimmen gegen ihren Mitbewerber, Pastor Frie Bräsen von der Uhlenhorster Kirchengemeinde St. Gertrud, durch. Die Amtszeit beträgt zehn Jahre. "Ich freue mich auf meine neue Aufgabe", sagt die 41-Jährige. Jetzt wolle sie erst mal alles kennenlernen, und "hören, wo das Herz schlägt".

Mit der Wahl geht eine lange Vakanz in der Leitung der Hauptkirche zu Ende. Der erste Anlauf, die Stelle an St. Jacobi zu besetzen, war vor einem Jahr gescheitert. Die Synodalen hatten den einzigen Kandidaten, den Kieler Theologen und Mitarbeiter im Landeskirchenamt Mathias Lenz, durchfallen lassen. Beim zweiten Versuch befand der Wahlausschuss keinen der Kandidaten für geeignet. Der Posten wurde erneut ausgeschrieben. Entsprechend groß ist jetzt die Freude - und auch die Erleichterung. "Es war eine Wahl mit zwei hervorragenden Kandidaten. Nun wird das anspruchsvolle integrierte Amt sehr kompetent besetzt", sagte Bischöfin Fehrs, die zu den ersten Gratulanten gehörte. Sie wünsche von Herzen Gottes Segen und freue sich auf die Zusammenarbeit. Auch der Kirchgemeinderat, der die Abstimmung von der Besuchertribüne der Bugenhagenkirche in Barmbek verfolgte, reagierte positiv. "Eine vorzügliche Wahl", sagte der Vorsitzende Rüdiger Biskup.

Noch ist nicht sicher, wann Astrid Kleist ihr neues Amt antreten kann. Die gebürtige Hamburgerin, die in Hoheluft aufgewachsen ist und in Bethel, Berlin und Bochum Theologie studiert hat, ist derzeit Gemeindepastorin an St. Simeon in Alt-Osdorf. Dort ist sie sehr beliebt. Sie habe es geschafft, so der Vorsitzende des Wahlausschusses, Propst Kai-Heinrich Melzer, "dass die Gemeinde sich neu erfindet. Geistlich und strukturell." Leicht werde der Abschied für sie sicher nicht, weiß Astrid Kleist, die bei Wind und Wetter mit ihrem mintgrünen Fahrrad im Stadtteil unterwegs ist und gern Folkmusik hört. "Aber ich predige immer, dass man sich offen halten soll für das, wohin der Geist einen sendet, und bereit sein muss, Risiken einzugehen. Und das gilt ja auch für mich", so die Theologin, die regelmäßig als Kolumnistin im Hamburger Abendblatt schreibt. Zu der Bewerbung sei sie ermuntert worden, habe aber nach zehn Jahren auch das Gefühl gehabt, ihre Erfahrungen in einer neuen Situation einbringen zu wollen, "wachen Blicks und offenen Herzens".

In St. Jacobi tritt sie in große Fußstapfen. Sie wolle an die Arbeit von Vorgängerin Fehrs anknüpfen, sagt Astrid Kleist. Auch sollen Schwerpunkte wie die Pilgerarbeit oder die besonderen Gottesdienste für Kriminalitätsopfer oder für Flüchtlinge weitergeführt werden. Eine Herausforderung sieht sie darin, das 1255 erstmals erwähnte Gotteshaus in der Innenstadt für neue Zielgruppen zu öffnen. Dabei ist das nur der eine Teil ihrer Aufgaben. Als Pröpstin im Kirchenkreis Hamburg-Ost ist sie für 15 Gemeinden in Winterhude, Barmbek, Horn und Hamm zuständig und Dienstherrin von 28 Pastoren. Ganz einfach wird das unter dem Druck schwindender Mitglieder und sinkender Einnahmen sicher nicht. Dem Doppelamt kann sie dann auch durchaus Vorteile abgewinnen: "Die Arbeit als Hauptpastorin erdet, die als Pröpstin weitet." Letztlich, sagt Naturliebhaberin Kleist, geht es auch dabei um unterschiedliche Blickwinkel - "wie beim Um-die-Ecke-Gucker".