Sexismus-Debatte um Brüderle ebbt zu Recht rasch wieder ab

Über den Umgang mit Menschen hat sich schon der alte Freiherr von Knigge reichlich Gedanken gemacht - und noch heute stellt uns das Zusammenleben mit anderen Individuen täglich immer wieder vor neue Herausforderungen. Doch was der vom Geiste der Aufklärung beseelte Adlige als wohlmeinende Ratschläge zusammengetragen hat, soll in unseren Tagen allzu oft in Gesetzesform oder doch zumindest in allgemeingültige Regeln gegossen werden. Was ausgesprochen schwierig ist, wie die derzeitige Sexismus-Debatte um FDP-Mann Rainer Brüderle zeigt.

Unterhalb der Handgreiflichkeitsschwelle entzieht sich zum einen der exakten Definition, wann ein Kompliment in einen Flirt und der wiederum in eine eventuelle Belästigung übergeht. Da hängt vieles von der Situation und fast alles davon ab, wie es von den Beteiligten empfunden und wie darauf reagiert wird. Das Gleiche gilt für Witze und Bemerkungen aller Art. Es steht jedem frei zu äußern, dass er etwas nicht lustig oder auch beleidigend findet und dass er bitte künftig von derartigen vermeintlichen Scherzen verschont bleibt.

Es gibt allerdings auch den zunehmenden Trend, soziologische Forschung in Sprachpraxis und justiziable Regeln verwandeln zu wollen. Ausgehend von den USA wird versucht, die Alltagssprache diskriminierungsfrei und geschlechtsneutral zu gestalten. In Deutschland hat das unter anderem dazu geführt, dass Familienministerin Kristina Schröder ihrer eineinhalb Jahre alten Tochter von "das Gott" erzählt. Hat sie Gott jemals gefragt, ob er ein Neutrum ist oder sein will? Begriffe wie "Neger" hat sie natürlich aus den Märchen verbannt, die sie zu Hause vorliest. Wie es jetzt auch einige Verlage tun. Die Frage ist nur: Wann kommen die bösen Hexen und Schwiegermütter auf den Index, ist Rumpelstilzchen als kleinwüchsiger Choleriker noch tragbar, implantieren schöne und reiche Prinzen - oder auch Prinzessinnen - nicht völlig antiquierte Wert- und Rollenvorstellungen in die Köpfe von Kindern? Die Reihe ließe sich fortsetzen mit anderen Sprachregelungsversuchen. Aus Negern wurden in Amerika zunächst Schwarze, dann Farbige und derzeit Afroamerikaner. Sprache ändert sich beständig - auch ohne weltverbesserische Eingriffe. Emanzipation aber muss im richtigen Leben und nicht in der Linguistik erkämpft werden.

Wie man behandelt wird, hängt zudem sehr stark davon ab, wie man sich selbst verhält. Tugendterror und versuchte Sprachkontrolle helfen im Alltag nicht weiter. Selbst ernannte Wächter korrekten Verhaltens erinnern eher an Taliban, die wir nicht wollen, und die Inquisition, die wir mühsam und in einem ebenso schmerzhaften wie langwierigen Ringen überwunden haben - und ihre Regeln können sich zudem gegen sie selbst kehren. Im "Fall" Brüderle zum Beispiel war es doch wohl so, dass die Kollegin vom "Stern" nächtens zu ihm an die Hotelbar herangerückt ist und nicht umgekehrt. Sie wollte außer der Reihe zu vorgerückter Stunde etwas von dem Spitzenpolitiker erfahren. Das ist misslungen. Und nach einem Jahr kommt die Rache. Ein Mann, der jahrzehntelang in der Politik gearbeitet hat, wird als "aus der Zeit gefallen" und als Mensch gewordener Herrenwitz dargestellt. Oder diffamiert? Oder fällt er gar einer ganz üblen Form von Altersdiskriminierung zum Opfer, die eines Aufschreis samt gesamtgesellschaftlicher Debatte bedarf?

Nach einiger Aufregung im Internet und der Aufbietung einschlägiger Diskutantinnen von Silvana Koch-Mehrin bis Alice Schwarzer ebbt die Aufregung merklich ab. Das ist auch gut so, denn das Land hat auch noch ein paar andere Probleme. Und das Zusammenleben sollten wir weiterhin ohne Tugendpolizei hinbekommen. Auch wenn es manchmal schwerfällt - gerade zwischen Mann und Frau. Aber auch in Deutschland kann nicht alles per Vorschrift und Ordnungsamt geregelt werden. Jedenfalls nicht, wenn es ein lebenswertes Land bleiben soll.

Anmerkung von Christoph Steegmans, Pressesprecher des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Im Leitartikel des Hamburger Abendblattes vom 30. Januar ist wörtlich zu lesen, „dass Familienministerin Kristina Schröder ihrer eineinhalb Jahre alten Tochter von „das Gott" erzählt. Das stimmt nicht - richtig ist: Die Ministerin hat auf die hypothetische Frage von zwei ZEIT-Journalistinnen, warum alle zu DEM lieben Gott beteten statt zu DER lieben Gott, wörtlich und ohne jeglichen Bezug zu ihrem eigenen Familienleben geantwortet: „Für eins musste man sich entscheiden. Aber der Artikel hat nichts zu bedeuten. Man könnte auch sagen: das liebe Gott.“ Diese Original-Antwort ist so differenziert, dass sie gerade nicht beispielhaft steht für den von Ihnen benannten „zunehmenden Trend, soziologische Forschung in Sprachpraxis und justiziable Regeln verwandeln zu wollen.“