Sechs Hamburger wollen auf einer Husky-Expedition das Rätsel um Forscher lösen, die vor 100 Jahren auf Spitzbergen verschwanden.

Innset/Norwegen. Noch herrscht Polarnacht auf Spitzbergen, bei minus 30 Grad handelt es sich schon um einen wärmeren Tag, und die mehr als 4000 Eisbären haben großen Appetit. Am tierischen Hunger wird sich bis April nichts ändern, an den Wetterverhältnissen schon. Dann wollen sechs Hamburger mit Husky-Schlitten aufbrechen, um Licht in das Dunkel des größten Unglücks der deutschen Arktisforschung zu bringen.

Vor genau 100 Jahren endete die Schröder-Stranz-Expedition mit einem Fiasko: Acht von 15 Teilnehmern blieben im ewigen Eis verschollen. Bis heute. "Wir wollen das Rätsel des Verschwindens dieser deutschen Forscher lösen oder zumindest Spuren finden", sagte Björn Klauer. Der frühere Offsetdrucker kehrte seiner Heimatstadt Hamburg 1984 den Rücken, um dem Lockruf der Wildnis, der klirrenden Kälte Nordnorwegens, der Einsamkeit und des Abenteuers zu folgen. Gemeinsam mit seiner 48-jährigen Lebensgefährtin Regina Elpers, einer gebürtigen Duisburgerin, und 75 Schlittenhunden wohnt der 56-Jährige auf einer Farm im winzigen Gebirgsort Innset nördlich des Polarkreises.

Die Vorbereitungen für die Husky-Expedition nach Spitzbergen laufen seit eineinhalb Jahren. Sponsoren wie das Hamburger Unternehmen Globetrotter und ein Buchverlag bringen annähernd 100.000 Euro auf, um die Aktion nicht nur wirtschaftlich auf stabile Beine zu stellen. Bis ins Detail soll das Wagnis professionell angegangen werden - damit ein erneutes Drama verhindert wird. Denn hinter dem Verbleib der acht Verschollenen von 1912/13 stehen nach wie vor große Fragezeichen. Eine vom Norweger Staxrud geführte und vom Hamburger Senat mit 5000 Mark unterstützte Hilfsexpedition rettete im Frühjahr 1913 zumindest eine Handvoll der entkräfteten und teilweise schwer verletzten Männer, darunter die Hamburger Christopher Rave und Hermann Rüdiger.

1937 entdeckten Robbenjäger im Duvefjord Reste eines Lagers, das eindeutig der missglückten Deutschen Arktis Expedition zuzuordnen waren. 1945 fanden Wehrmachtssoldaten dort drei Aluminiumteller. Weitere Suchen blieben ergebnislos, bevor Arved Fuchs und Falk Mahnke vor sechs Jahren weitere Ausrüstungsgegenstände fanden, die Schröder-Stranz und seinen Leuten zugerechnet werden. Das Gros der Ausrüstung oder sterbliche Überreste wurden bis heute nicht gefunden.

Das soll sich in drei Monaten ändern. In drei Etappen, über mehrere Monate, heften sich Regina Elpers, Björn Klauer und Mitstreiter auf die Fährte der Verschollenen. Ihr Kalkül: Die letzten Winterwochen auf Spitzbergen im April und Mai garantieren eine schneebedeckte Landschaft, sodass ähnliche Bedingungen wie bei der gescheiterten Expedition vor einem Jahrhundert herrschen. "Eine mögliche Routenwahl der verschollenen Männer wird deshalb besser nachvollziehbar sein", vermutet Klauer. Die ihm bekannten Suchinitiativen fanden allesamt im Sommer statt und beschränkten sich auf den Küstenstreifen im Duvefjord. Das aktuelle Aktionsgebiet umfasst etwa 250 Quadratkilometer und liegt 350 Kilometer von der Hauptsiedlung Longyarbyen entfernt. Drei Etappen sind geplant.

Der Aufbruch in Longyearbyen soll Anfang April erfolgen; in 14 Tagen sollen knapp 500 Kilometer zurückgelegt werden. Dieses Startteam besteht aus fünf Hamburgern. Dazu zählen neben Björn Klauer auch Andreas Bartmann und Thomas Lipke von der Firma Globetrotter, der Architekt Holger Moths sowie der Steuerprüfer Kay Rittmeister. Hinzu kommen 37 Huskys.

Job der Crew: Erkundung einer fahrbaren Route über die Gletscher. Aufgrund zuletzt weniger Niederschläge wird mit sehr schlechten Passierverhältnissen gerechnet. An der Hinlopenstretet, der Wasserstraße zwischen der Hauptinsel und der östlichen Insel Nordaustlandet, soll ein Depot angelegt werden. Es besteht aus vier Stahlfässern, die mit Nahrung für Mensch und Tier, Holz, Treibstoff, Kochern und Munition bestückt sind. Das Hamburger Quintett soll gefriergetrocknetes Essen zu sich nehmen, das mit Wasser zubereitet wird. Für die Schlittenhunde wird Trockenfutter gebunkert.

Etappe zwei beginnt in der zweiten Aprilhälfte - auf den Spuren von Tour eins. Das Team besteht aus Regina Elpers, ihrem Mann Klauer, dem Hamburger Martin Lundius sowie Georg Sichelschmidt aus Osnabrück. Bis Mitte Mai will das Quartett mit vier Schlitten und 35 Hunden von Longyarbyen bis Nordaustlandet 700 Kilometer zurücklegen. Am Endpunkt werden Elpers und Klauer abgesetzt, um nunmehr gut vorbereitet die eigentliche Suchexpedition starten zu können. Zum Transport stehen fünf Huskys und ein Schlitten zur Verfügung, der in der schneefreien Zeit auf Räder gestellt wird. Auf Eis und Geröll kann man so besser vorankommen. Übernachtet wird in einem zwei Quadratmeter großen Zelt. Im Spätsommer, um den 15. August, wird das Paar von einem Schiff abgeholt.

Eine genaue Routenplanung für diese dritte Etappe gibt es noch nicht. "Wir wollen mit unserem Zelt nomadisieren und uns von unserem Gespür und unserem Verstand leiten lassen", sagt Klauer. Motto der Planung: Verschiedene Depots bedeuten kurze Wege und flexible Exkursionen. Zur Ausrüstung gehören Satellitentelefone, GPS und ein Notrufgerät, mit dem in Extremsituationen Hilfe herbeigerufen werden kann.

Diese Technik stand den Verschollenen im Winter 1912/1913 nicht zur Verfügung. Dennoch, so mutmaßen Klauer und Kollegen, müssten sie in der Not irgendwelche Nachrichten hinterlassen haben. Unter Felsvorsprüngen oder Steinen vielleicht? Liegen noch irgendwo Flaschen oder "Steinmänner", als Botschaft aufgeschichtete Hügel aus Geröll und Steinen? Ein im Eis konserviertes Tagebuch womöglich? "Im Gefrierschrank Spitzbergens verwesen die Körper nicht", meint Klauer. Mit klar zuzuordnenden Knochen rechnet er dennoch nicht: "Dafür werden Polarfüchse und Eisbären gesorgt haben."

Auf dem Archipel Spitzbergen leben zwischen 4000 und 5000 Eisbären. Auf der zu 60 Prozent vergletscherten Insel von der Größe Bayerns sind sie also doppelt so stark vertreten wie Menschen. Die wenigen Siedlungen sind nicht durch Straßen verbunden. Als Verkehrsmittel dienen Hubschrauber, Hundeschlitten, Schneescooter oder im Hochsommer auch Boote.

"Unsere Huskys sind hervorragend trainiert und bestens in Form", sagt Regina Elpers. Diese starken, ausdauernden und treuen Hunde stammen ursprünglich aus Russland, werden zwischen 50 und 60 Zentimeter groß und wiegen etwa 15 bis 23 Kilogramm. 75 dieser Huskys auf Klauers Hof bei Innset (elf Einwohner) verzehren im Jahr mehr als 20 Tonnen Fisch und Frischfleisch. Somit tanken die ebenso robusten wie intelligenten Expeditionsteilnehmer Kraft für eine besondere Strapaze, die in gut zwei Monaten beginnt.

Denn Tiere wie Menschen erwarten Probleme zuhauf. Das beginnt mit der Witterung und der Schwierigkeit, die Kleidung kaum trocknen zu können. Die verschneiten Gletscherspalten im Suchgebiet sollen während der ersten Etappe soweit möglich entdeckt worden sein. Weitere Gefahr sind die Eisbären. Zwar wittern Huskys die Bären schon von Weitem und schlagen an, dennoch sind Eisbären sehr neugierig, hungrig und unberechenbar. Um sie zu verjagen, führen die Expeditionsteinehmer Signalmunition mit sich. Für den Fall extremer Not befinden sich großkalibrige Gewehre im Gepäck.

Am 2. April verlässt die Crew der Expedition die nordnorwegische Stadt Tromsö mit einem gecharterten Frachtflugzeug. An Bord werden sich neben den fünf Männern und ihrer Ausrüstung auch 37 Huskys befinden. Das Team besteht aus Profis, die Erfahrung im Umgang mit Kälte, Eisstürmen und Lagerleben haben. Alle erwartet ein Abenteuer - auf den Spuren der Verschollenen. Über die Erlebnisse werden Regina Elpers und Björn Klauer aktuell auf www.abendblatt.de berichten.