Deutschlands ältester Werft geht die Arbeit aus. Komplexes Errichterschiff ist weit fortgeschritten. Neuer Investor steht noch aus.

Hamburg. Spezialschiffbau ist das Zauberwort, das die deutsche Werftindustrie seit Jahren erfreut. Spezialschiffbau ist genau das, was die Arbeiter in einer Halle der Sietas-Werft in Neuenfelde in diesen Monaten betreiben. Gut zehn Meter hohe Stahlröhren stehen eingerüstet nebeneinander. Trupps von Schweißern und Stahlbauern bearbeiten Stahlplatten und Profile in engen Winkeln und Ecken. Das Material ist teils 18 Zentimeter dick. Solche Stahlstärken verwendete man früher auf Schlachtschiffen. Das Metall muss vor dem Schweißen vorgewärmt werden, damit die Schweißnähte den künftigen Belastungen standhalten.

Koker heißen die stählernen Türme mit ihren gut 4,50 Metern Durchmesser in der Fachsprache. Sie sind die Führungen für Stahlstelzen, an denen das fertige Schiff später im Einsatz auf dem offenen Meer empor gestemmt werden soll. Das Schiff muss bei der Montage von Fundamenten und Windturbinen stabil auf dem Meeresgrund stehen, selbst bei mehr als sechs Meter hohen Wellen. "Aeolus" soll es heißen, das bedeutet auf Griechisch "Gott der Winde". Das niederländische Unternehmen Van Oord will damit Windparks auf See errichten. Technologisch ist es eines der komplexesten Schiffe, die Sietas in seiner langen Geschichte je gebaut hat. Und die 400 Mitarbeiter und 26 Auszubildenden hoffen tagtäglich, dass es nicht das Letzte sein wird.

Eine arbeitsreiche Klangkulisse erfüllt die Halle, es hämmert und knistert, zischt, schleift und dröhnt. "So etwas zu bauen ist eine Herausforderung, das kann längst nicht jede Werft", sagt Bauleiter Andreas Müller, 45, im Lärm. "Das macht richtig Spaß. Aber die ungewisse Lage der Werft belastet alle Mitarbeiter." Seit Februar 2012 steht Deutschlands älteste Werft in einem Insolvenzverfahren unter der Aufsicht des Hamburger Insolvenzverwalters Berthold Brinkmann. Die früheren Sietas-Schwesterunternehmen Norderwerft und Neuenfelder Maschinenfabrik (NMF) hat Brinkmann bereits an neue Eigner verkauft. Die Mitarbeiter der Sietas-Werft aber müssen weiter bangen - auch deshalb, weil das Unternehmen derzeit vor allem auf den Markt der Offshore-Windkraft setzt.

2009 wurde der damalige Inhaber Hinrich Sietas auf Druck der Sietas-Hausbank HSH Nordbank durch ein neues Management ersetzt. Es war die erste familienfremde Geschäftsführung in der Geschichte des Unternehmens. Auf dem Höhepunkt der Welt-Finanzmarktkrise waren der Werft eine Reihe von Aufträgen für Containerschiffe weggebrochen, das Unternehmen stand vor dem Ende. Der frühere Airbus-Manager Rüdiger Fuchs richtete Sietas neu aus, weg von der Serienfertigung von Containerschiffen hin zu aufwendigen Konstruktionen von Einzelschiffen oder Kleinserien. Doch den Gang in die Insolvenz konnte er nicht verhindern.

Zumindest legte Fuchs noch das Fundament für den Eintritt in den Offshore-Markt. Ende 2010 bestellte Van Oord ein Errichterschiff für Windparks und vereinbarte eine Option auf ein zweites Schiff. Der Offshore-Windmarkt ist derzeit die Hoffnung einiger deutscher Werften, die mit dem Bau von Handelsschiffen oder Behördenfahrzeugen nicht mehr ausgelastet wären.

Doch der Aufbau der vielen bereits genehmigten Windparks in der deutschen Nordsee und Ostsee stockt aus wirtschaftlichen und technologischen Gründen. Das schlägt auch auf Sietas durch. Van Oord verschob den Auftrag für ein zweites Errichterschiff Ende 2012 einstweilen. Die niederländische Werftgruppe VeKa aber, mit der Brinkmann sechs Monate lang über eine Übernahme verhandelt hatte, wollte Sietas ohne einen neuen Auftrag nicht kaufen. Der Insolvenzverwalter sucht weiterhin einen Käufer für die Werft. "Es besteht Interesse bei einem deutschen Unternehmen aus der metallverarbeitenden Industrie", sagt Brinkmanns Sprecher Cord Schellenberg. "Aber auch dort wartet man auf einen neuen Auftrag für Sietas."

Für den Aufbau der Offshore-Windparks in Nordeuropa werden in den kommenden Jahren ein bis zwei Dutzend hoch spezialisierte Errichterschiffe gebraucht. Sietas ist die erste Werft in Deutschland, die ein solches Schiff baut. Andere Errichterschiffe wurden bislang in Polen und in Südkorea gefertigt. Alles hängt nun davon ab, wie schnell Energiekonzerne, Projektgesellschaften und Finanzinvestoren die Pläne für die vorgesehenen Windfarmen auf See tatsächlich umsetzen.

Sietas bleibt nicht mehr viel Zeit. Bis Ende Februar sind die Stahlarbeiten für das Errichterschiff weitgehend abgeschlossen. Das Schiff wird dann zum Buss-Terminal nach Stade verholt. Dort sollen die vier 86 Meter langen Stahlpfeiler eingebracht werden, auf denen das Schiff später im Meer steht. Letzte Arbeiten etwa an der Fertigstellung des Schwerlastkrans werden später in einem Dock bei Blohm + Voss verrichtet.

Die Konstruktionsabteilung hat ihre Arbeit bis auf Korrekturen und kleine Änderungen an den Plänen bereits beendet. "Zeitweise waren 60 Mitarbeiter mit der Konstruktion des Errichterschiffs beschäftigt", sagt Chefingenieur Claudio Tomassini, 30. "In das Schiff sind neben den Anforderungen des Auftraggebers Van Oord alle Erkenntnisse eingeflossen, die wir vom Offshore-Windkraft-Markt heutzutage haben."

Tomassini und sein Team haben das derzeit wohl modernste Windkraft-Errichterschiff konstruiert. "Das Schiff kann im Hafen Hunderte Tonnen schwere Offshore-Fundamente und Windturbinen laden, ohne dass es dafür aufgeständert werden muss", sagt die Ingenieurin Katharina Voigt, 31. "Das können nicht alle Errichterschiffe. Unsere Konstruktion basiert auch auf der langen Erfahrung, die Sietas beim Bau von Schwergutschiffen hat."

Nun hofft die Belegschaft, dass der Insolvenzverwalter zügig einen neuen Eigner für die Werft findet. Falls kurzfristig kein anderer Auftrag eingeht, kann Brinkmann zunächst Kurzarbeit beantragen. Der nächste Schritt wäre dann eine Transfergesellschaft, in der die Mitarbeiter, finanziert von der Arbeitsagentur, für andere Tätigkeiten neu qualifiziert werden. Im schlimmsten Fall könnte in den kommenden Monaten die Geschichte eines Unternehmens enden, die bis ins Jahr 1635 zurück reicht. "Das wäre sehr traurig", sagt Ingenieurin Voigt, "weil wir doch gerade jetzt ein Pionierprojekt für einen völlig neuen Markt fertigstellen."