Hamburgs Top-Ökonom Thomas Straubhaar über die Euro-Krise, den Arbeitsmarkt der Zukunft und die Wirtschaftsaussichten für Hamburg.

Hamburg. Thomas Straubhaar ist überzeugter Europäer. Der Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) hält deshalb nichts von Untergangsszenarien für den Euro, sondern warnt vielmehr vor den hohen Kosten eines Niedergangs der Gemeinschaftswährung. Das Abendblatt sprach mit ihm über die Euro-Krise, Geldanlagetipps und die Chancen des Wirtschaftsstandorts Hamburg im internationalen Wettbewerb.

Abendblatt: Herr Professor Straubhaar, Sie leben nahe Hamburg, sind aber gebürtiger Schweizer. Bringen Sie angesichts der Euro-Krise Ihr Geld bereits in Ihrer alten Heimat in Sicherheit?

Straubhaar: Nein. Das wäre auch der größte Fehler. Ich habe unser Geld schon immer fifty-fifty in Euro und Schweizer Franken aufgeteilt und hatte damit eine gute Diversifikation. Seit September 2012 ist der Schweizer Franken durch einen Mindestkurs von 1,20 Franken jedoch fest an den Euro gebunden und pendelt zwischen 1,20 und 1,21 Euro. Der Nachteil ist, dass der Franken für mich damit keine Diversifikationswährung mehr ist. Die Schweiz gehört faktisch der Europäischen Währungsunion an und hat ihre Funktion als sicherer Hafen abgegeben. Der Franken liegt mit der großen Domina Euro im selben Bett, hat aber als kleiner Partner nichts zu sagen.

Was machen Sie konkret mit Ihrem Geld, und was würden Sie einem Europäer als Geldanlage empfehlen?

Straubhaar: Mein größtes Vermögen ist mein monatliches Einkommen, das ich durch meine Arbeit verdiene, und unser Haus. Insofern muss ich mir nicht so den Kopf über Kapitalanlagen zerbrechen. Anlegern, die etwas außerhalb des Euro-Raums suchen, würde ich jedenfalls nicht die Schweiz empfehlen, sondern eher Norwegen, Schweden, Kanada oder rohstoffreiche Länder wie Australien. Interessant sind weiter selbst genutzte Immobilien. Zwar sind die Preise in Hamburg deutlich gestiegen und die Goldgräberstimmung ist vorbei, doch der Markt ist noch nicht überhitzt. Metropolregionen wie Hamburg, München, Berlin und Frankfurt bleiben attraktiv. Nur in der Fläche muss man bei Käufen sehr vorsichtig sein.

Werden wir in fünf Jahren noch mit dem Euro bezahlen?

Straubhaar: Klar, absolut - das sage ich nicht nur, weil ich überzeugter Europäer bin. Es gibt in Europa keine staatstragende Partei, die sich nicht den Erhalt des Euro auf die Fahnen geschrieben hätte. Keiner möchte den Euro abschaffen - auch nicht der Zahlmeister Deutschland. Dies ist im Übrigen auch das Dilemma von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück: Er könnte Angela Merkel nur mit einem noch freundlicheren Euro-Kurs überholen.

Bereitet Ihnen Italien Sorgen?

Straubhaar: Ich halte Mario Montis Rückzug als Regierungschef für ein taktisches Manöver und bin sicher, dass Silvio Berlusconi nicht zurückkommen wird. Das wäre ein verheerendes Signal und würde möglicherweise extreme politische Tendenzen verstärken. In Italien ist es die Lega Nord, und auch anderswo in Europa gibt es national orientierte Parteien, die sich gegen den Euro stemmen, doch keine von ihnen befindet sich in Regierungsverantwortung.

Was würde der Zusammenbruch des Euro bedeuten?

Straubhaar: Ein Aus des Euro wäre vor allem eine sehr viel kostspieligere Lösung als das jetzige Durchwursteln zum Erhalt der Währung. Andererseits warne ich vor Weltuntergangsszenarien. Kein Land in Europa verschwindet von der Weltkarte, wenn der Euro zerbricht. Auch Griechenland würde weiter existieren. Alle Gebäude, Fabriken und die Infrastruktur blieben erhalten. Dies ist anders als nach einem Krieg, der unglaubliche Zerstörungen hinterlässt. Beim Euro handelt es sich am Ende nur um bedrucktes Papier. Allerdings müssten sich die Euro-Länder nach einem Zerfall des Euro neu organisieren. Es würde in den ersten Monaten zunächst mit Ersatzwährungen - wie Dollar, Gold oder handgeschriebenen Schuldtiteln - gehandelt, bis eine neue Währung geschaffen wird. Dieser Übergang würde etwa ein Jahr dauern. Die deutsche Industrie würde langfristig gestärkt hervorgehen, der Export jedoch würde unter einer aufgewerteten neuen nationalen Währung leiden. Und der europäische Binnenmarkt wäre auch am Ende.

Wer verliert und wer gewinnt?

Straubhaar: Die Welt wird nicht an ihren Schulden zerbrechen - und geht nicht unter. Es geht immer um Gläubiger und Schuldner: Die Schulden der einen sind das Vermögen der anderen. Weltweit summieren sich beide Seiten auf null. Geht der Euro in die Brüche, wäre dies schrecklich für die Gläubiger, die auf ihre Forderungen verzichten und eine Riesenfreude für die Schuldner, die ihre Schulden nicht mehr begleichen müssten. Ökonomisch geht es bei der Euro-Rettung im Kern nicht um Wachstum oder Beschäftigung, sondern letztlich darum, wer was zu bezahlen hat - also um Verteilungsfragen.

Schaut man nach Griechenland oder Portugal, sind es vor allem die kleinen Leute, die durch Sparprogramme, Gehaltseinschnitte zur Kasse gebeten werden. Wird dies auch auf andere Länder zukommen?

Straubhaar: Wohl ja. Es ist immer das gleiche Muster: Bei ökonomischen Verwerfungen leidet die Masse der Bevölkerung am stärksten. Zumeist die Ärmeren und Einkommensschwächeren.

Gleichzeitig werden beispielsweise Garantien in Milliardenhöhe für die HSH Nordbank gegeben. Müsste man in der Krise nicht auch über einen größeren Beitrag der Banken nachdenken?

Straubhaar: Die Bankenlandschaft muss sicher in Teilen restrukturiert werden, manche Institute brauchen neue Geschäftsmodelle. Aber die Banken sind nicht alleine schuld an der Misere. Auch die Anleger - öffentliche wie private - haben mit ihren Ansprüchen auf höhere Gewinne zur Krise beigetragen. Wir brauchen gesunde Banken, damit die reale Wirtschaft funktionieren kann. Wenn wir auf dem Reißbrett die Bankenlandschaft neu konstruieren könnten, kämen wir mit Sicherheit mit weniger Landesbanken aus. Auch heute sollte eine Zusammenarbeit zwischen HSH Nordbank und NordLB nüchtern geprüft werden.

Fast alle Industriestaaten sind stark verschuldet. Warum setzt man sich nicht zu einer großen Weltschuldenkonferenz an einen Tisch, um gegenseitig einen weltweiten Schuldenerlass zu vereinbaren?

Straubhaar: Solche Überlegungen gibt es ja. Doch ein weltweiter Schuldenschnitt würde das Vertrauen aller Menschen in die Geldwirtschaft vollständig zerstören. Es gibt ja nicht nur Staatsschulden, sondern es geht schließlich auch um die Vermögen der kleinen Sparer. Jeder, der über Jahre brav in seine Lebensversicherung eingezahlt hat, um für sein Alter vorzusorgen, würde sich betrogen fühlen, wenn er am Ende nur einen Bruchteil davon ausgezahlt bekommt. Ich halte nichts von Schuldenschnitten. Jeder Schuldner wird damit seiner Verantwortung entbunden. Er würde sein Verhalten nicht ändern, würde am nächsten Tag weitermachen wie zuvor und hätte ein paar Jahre später wieder einen gleich hohen Schuldenberg aufgetürmt.

Wie bewerten Sie die aktuellen Hilfen und Fonds? Reichen Sie, um alle Krisenländer vor der Insolvenz zu schützen?

Straubhaar: Mit dem europäischen Stabilitätsmechanismus hat man eine Konstruktion geschaffen, in ruhigeres Fahrwasser zu gelangen. Mit dieser Basis kann in den nächsten Jahren gut agiert werden. Die Brandmauern stehen, nun muss man schauen, wie gut sie halten. Deutschland darf laut Bundesverfassungsgericht 190 Milliarden Euro einsetzen. Wenn diese Summe nicht reicht, kann sie mit Zustimmung des Parlaments erhöht werden. Somit benötigt man keine neuen Instrumente.

Hätten Sie konkret drei Empfehlungen oder Anmerkungen für das kommende Jahr zur Euro-Krise?

Straubhaar: Erstens: Es gibt keine absolut richtige Lösung, sondern verschiedene Möglichkeiten, die alle teuer und langwierig sind. Keiner kann die Folgen der Euro-Krise voraussehen, weil es für diese Situation keine historischen Vorbilder gibt. Zweitens plädiere ich für mehr Gelassenheit. Die Politik hat alle Mittel, den Euro zu erhalten. Drittens: Da niemand weiß, wie sich die Krise weiterentwickelt, sollten alle ihr Vermögen diversifiziert anlegen, wobei eben für die meisten ein sicherer Job das größte Vermögen ist.

Noch merkt die deutsche Bevölkerung wenig von der Euro-Krise, zum Beispiel in Form deutlich steigender Preise. Wann wird sich dies ändern?

Straubhaar: Das ist die Frage, die ehrlicherweise niemand beantworten kann. Die ökonomischen Lehrbücher, mit denen Sie und ich groß geworden sind, geben keine Antwort darauf. Nach den Theorien des Monetarismus müssten wir heute bei der bereits erfolgten massiven Erhöhung der Geldmenge durch die EZB längst eine hohe Inflation haben. Doch sie ist in ganz Europa nicht da. Der Monetarismus war in normalen Zeiten eine gute Theorie, doch in außergewöhnlichen Lagen ist er nicht imstande zu erklären, wie Real- und Geldwirtschaft zusammenhängen.

In Europa haben wir 25 Millionen Arbeitslose. Deutschland steht noch recht robust da. Wird sich dies 2013 ändern?

Straubhaar: Deutschland hat sich seit Beginn der Agenda 2010 strukturell stark zum Guten verändert - und jetzt ernten wir die Früchte. Das Wichtigste ist, dass die Menschen Arbeit haben. Im Jahr 2012 hatte Deutschland die höchste Erwerbstätigkeit und niedrigste Arbeitslosigkeit. In der Tendenz bleibt dies auch in den nächsten Jahren so. Auch 2013 wird die Beschäftigung weiter zunehmen.

Immer häufiger handelt es sich aber auch um Jobs, mit dem sich der Lebensunterhalt nicht bestreiten lässt.

Straubhaar:

Richtig, nicht alle Stellen sind Vollzeitjobs. Doch Teilzeit ist immer noch besser, als keinen Job zu haben. Manche Menschen bevorzugen sogar Teilzeitarbeit. Gleichzeitig gab es schon in diesem Jahr in vielen Branchen reale Lohnerhöhungen, und ich erwarte, dass die Reallöhne auch in den nächsten Jahren weiter steigen.

Wie ist Hamburgs Wirtschaft in der Euro-Krise aufgestellt?

Straubhaar: Hamburg hat exzellente Bedingungen für die Zukunft, bessere als jedes andere Bundesland. Wir sind durch den Hafen von der geografischen Lage her nicht auf Europa fixiert. Die Stadt wird somit auch vom Aufschwung in Asien und Amerika profitieren.

Was muss Hamburg unternehmen, um nicht abgehängt zu werden?

Straubhaar: Hamburg muss mehrere Hausaufgaben erledigen, die ich unter dem Begriff Triple-I zusammenfassen möchte. Erstens: die Infrastruktur. Um Teil einer globalen Wertschöpfungskette zu sein, muss man eine exzellente Infrastruktur bieten. Umweltschutz ist wichtig, doch es müssen die wirtschaftlichen Folgen abgewogen werden, wenn beispielsweise eine Elbvertiefung nicht kommt. Es gibt in der Weltgeschichte Staaten, wie die ehemalige Hochkultur der Wikinger, die starben, weil sie die Zeichen der Zeit nicht erkannten. Es bringt nichts, wenn man in einem Land nur noch ökologische Ziele verfolgt, aber keine Ökonomie mehr hat. Zweitens: Hamburg braucht Industrie. Handel und Dienstleistungen alleine reichen nicht als ökonomische Basis, wie man dies in Frankreich oder England sehen kann. Dabei ist es wichtig, dass Energie nicht zu teuer werden darf, um konkurrenzfähig zu bleiben. Das dritte I steht für Internationalisierung: Hamburg muss offenbleiben für ausländische Kapital, Investitionen und Fachkräfte.

Wie kritisch sehen Sie den vorläufigen Baustopp der Elbvertiefung?

Straubhaar: Die Verzögerung ist für Hamburg ein verlorenes Jahr, in dem Konkurrenzhäfen beschleunigt ihre Ausbaupläne vorantreiben konnten. Der im September 2012 in Betrieb genommene JadeWeserPort steht bereit, hier als Ersatz einzuspringen.

Welche Pläne haben Sie für Ihr Institut - das HWWI - im nächsten Jahr?

Straubhaar: Wir sind neben Hamburg in Bremen und Erfurt mit insgesamt 50 Beschäftigten vertreten. Die Struktur ist sehr gut, wir gewinnen zunehmend Unterstützung. Mein langfristiges Ziel ist die Europäisierung. In Brüssel und dann vor allem in Polen oder der Türkei - also den Tigern vor der Haustür - könnte ich mir durchaus Dependancen vorstellen, allerdings noch nicht im nächsten Jahr.