Gesteine vom Mars, seltene Pflanzen, ausgestopfte Tiere: Zum Jahreswechsel können Besucher die schönsten Exponate der wissenschaftlichen Sammlungen anschauen.

Eine gewaltige Druckwelle kündigte sie an. Feuerschweife hinter sich herziehend, rasten Zehntausende Meteoriten über den Himmel der Kalahari, Bruchstücke eines eisernen Brockens, der vor vier Milliarden Jahren in den eisigen Tiefen des Alls entstanden war, bevor er Kurs auf die Erde genommen hatte. Donnernd schlugen die Himmelsboten in den Savannen ein, Erd- und Sandfontänen spritzten auf, Explosionen erschütterten das Land.

Erst 1836, vermutlich 30.000 Jahre später, entdeckte ein kaiserlicher Geologe die Himmelsboten. Die Eisenmeteorite sind im heutigen Namibia auf einer Fläche doppelt so groß wie Nordrhein-Westfalen verstreut. Aus diesem größten Meteoritenfeld der Erde gelangten drei Brocken nach Hamburg.

Die Jenisch-Stiftung und zahlreiche Gönner kauften sie Anfang des20. Jahrhunderts für die Mineralogische Sammlung der Universität. Ein Zeitzeuge dieses prähistorischen Naturschauspiels, der mit 426 Kilogramm schwerste Eisenmeteorit einer deutschen Sammlung, kann jetzt betrachtet werden: Am 30. Dezember öffnen sieben der insgesamt 20 Sammlungen der Universität Hamburg die Türen zu ihren Schatzkammern der Wissenschaft.

In ihnen schlummern nicht nur Himmelsboten aus dem Asteroidengürtel, vom Mars und Mond. Auch Insekten in ihren Bernsteingräbern, Versteinerungen, Nutzpflanzen aus aller Welt, anatomische Modelle, Mikroalgen, Schriften zur Universitätsgeschichte oder Französischen Revolution, historische Astrofotografien wie die vom Andromeda-Nebel, antike Skulpturen, Orchideen aus Zentralafrika, ein weltweit einzigartiger Narwal-Schädel ... Die Vielfalt der Objekte ist beeindruckend. Die Sammlungen erzählen die Geschichte des Lebens, sie dokumentieren biologische Vielfalt, Klima- oder Kulturwandel, beflügeln die Fantasie. Niemand weiß genau, wie viele Reichtümer die Universität besitzt; allein in der Zoologischen Sammlung lagern mehr als zehn Millionen Objekte. Nur wenige davon sind in den Schausammlungen zugänglich. Manche werden nur am Aktionstag zu sehen sein, den der Arbeitskreis "Sammlungen der Universität Hamburg" vorbereitet hat.

"In unseren Sammlungen steckt so viel Überraschendes, nicht nur für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch für die Hamburger und Hamburgerinnen", schwärmt Dr. Antje Zare. Die Historikerin vom Institut für Geschichte und Ethik in der Medizin am UKE rief den Arbeitskreis ins Leben und koordiniert ihn. Die Arbeit ist auch dringend nötig. Denn die Situation der universitären Sammlungen ist kritisch. Es mangelt an geeigneten Räumen, um sie sicher zu lagern, und es fehlen Stellen für Forscher, Präparatoren und Bibliothekare, um die Objekte zu pflegen und zu präsentieren. "Wir haben viele vergrabene Schätze, die von Wissenschaftlern weltweit genutzt werden und die teilweise in der Existenz bedroht sind", sagt Prof. Dr. Rosemarie Mielke, Vizepräsidentin der Universität Hamburg.

Wie kritisch die Situation ist, zeigt etwa die Wegbeschreibung zur Gipsabguss-Sammlung des Archäologischen Instituts. Um sie zu erreichen, müsse man von "der Grindelallee aus an der Heine-Buchhandlung in die Fröbelstraße und nach 15 m direkt hinter zwei Telefonzellen links abbiegen. Der Eingang zur Sammlung liegt nach wenigen Schritten auf der linken Seite." Dort steht eine ehemalige Backstube, die nach einem Feuchtigkeitsschaden alles andere als ideal zur Lagerung von Gipsfiguren ist. Dazu gehören die berühmte "Athena Lemnia" oder der "Kasseler Apoll" sowie 171 weitere Gipsabgüsse antiker Skulpturen, Reliefs und Porträts. Die Sammlung ist ein Stück Kulturgeschichte, viele der Figuren wurden von Hamburgern gespendet.

Auch in der Zoologischen Sammlung, in der Bibliothek für Universitätsgeschichte oder der Mineralogischen Sammlung wandelt der Besucher auf den Spuren von Hamburger Forschern, Kaufleuten, Kapitänen, Bürgern und Stiftungen. Die botanischen Sammlungen tragen den Namen von Loki Schmidt, Hamburgs bekanntester Forscherin und Botschafterin für die Natur.

"Unsere 20 Sammlungen dienen der Forschung und Lehre, sie erzählen viel über die Arbeit von Wissenschaftlern in Hamburg, aber auch über unsere Stadt, über die Hafen- wie über die Bürgerstadt", sagt Antje Zare. Dieses kulturelle Erbe müsse man pflegen und für künftige Generationen erhalten. "Ich würde mich freuen, wenn die Kinder nicht nur von den Exponaten erzählen, die sie gesehen haben, sondern auch deren Geschichte erfahren, und so mehr über ihre Heimatstadt. Wenn sie erleben, wie lebendig Wissenschaft sich entwickelt, welche Fragen sie sich stellt." Wissenschaft zum Anfassen, Orte der Erforschung und der Präsentation des kulturellen Erbes, das sind die universitären Sammlungen - wenn sie gepflegt werden können.

Und sie sind mehr. "Sie bewahren Wissen für Fragen von morgen", sagt Dr. Zare. Als vor 170 Jahren die ersten Sammlungsstücke ins damals neu gegründete Naturhistorische Museum in Hamburg gelangten, wer hätte da auch nur im Traum daran gedacht, dass einst Analysen des Erbgutes möglich sein und völlig neue Einblicke in Verwandtschaftsverhältnisse und Lebensgemeinschaften liefern werden? Oder dass die 600 detailgenauen Wachsabdrücke von erkrankten Hautpartien ("Moulagen"), seit 1809 erstellt, heute Medizinern den Zugang zu inzwischen seltenen Krankheiten wie Lepra eröffnen? Sammeln, dokumentieren und bewahren ist also kein Selbstzweck, sondern Basis für eine Forschung für die Zukunft.

"Am Aktionstag können alle Hamburger erleben, dass ihre Universität eine kulturelle Bereicherung ist", sagt Professor Heinrich Graener, Dekan der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften. "Wir vermitteln nicht nur Wissen an junge Menschen, wir schaffen nicht nur neues Wissen, um Herausforderungen wie den Klimawandel zu bewältigen oder die Vielfalt des Lebens auf der Erde zu erhalten, wir bewahren auch Wissen."

Graener wünscht sich, dass die naturwissenschaftlichen Sammlungen stärker vernetzt werden. "Die jetzige Vielfalt verstellt ein bisschen den Blick für die Einheit. In einem Naturhistorischen Museum, das Hamburg ja schon einmal hatte, könnten diese Sammlungen zeigen, wie radikal die Wissenschaften unser Welt- und Menschenbild immer wieder verändert haben. Wir könnten den Wendepunkten begegnen, die mit den Namen Galilei, Darwin, Einstein und Freud verbunden sind." Vizepräsidentin Rosemarie Mielke hofft, dass der Aktionstag auch die Diskussion um die Wiedereröffnung eines Naturhistorischen Museums anstößt.

Das Medizinhistorische Museum auf dem Gelände des UKE, das sich vor zwei Jahren mit der Ausstellung "Schnittstellen lebendiger Geschichte" erstmals präsentierte, soll 2013 wieder eröffnet werden. Das ist ein Schritt, um die Schatzkammern der Universität auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie werden sich in der Nacht des Wissens 2013 auch im Ostflügel des Uni-Hauptgebäudes präsentieren. Und 2019, zum Jubiläum "100 Jahre Universität Hamburg", wollen die Sammlungen eine gemeinsame Ausstellung organisieren - der Dialog mit der Öffentlichkeit kommt in Schwung.